Letztens hatte ich schon mal angedeutet, dass ich gerne etwas zum Thema Gewissen schreiben möchte, und nun traue ich mich mal an dieses interessante, aber auch nicht unkomplizierte Thema ran. Die Rede des Papstes vor dem Bundestag weist in meinen Augen auf die Bedeutung des Gewissens in der Politik hin, und es gibt viele päpstliche Schreiben und auch Veröffentlichungen von Kardinal Ratzinger, die sich mit diesem Thema, direkt oder indirekt beschäftigen. Ich möchte diesmal vermeiden, viele Quellen zu zitieren sondern einfach dokumentieren, was ich verstanden habe, und lade jeden ein, mich zu korrigieren oder zu ergänzen, insbesondere dann, wenn ich mich vielleicht von der Lehre der katholischen Kirche entfernen sollte!
Landläufig versteht man wohl unter dem Gewissen das Gefühl, meist ein schlechtes, wenn man über vergangene Taten nachdenkt, die aus eigener Sichtweise nicht in Ordnung waren. So belastet das kleine Kind sein Gewissen, wenn es vielleicht einen Freund schlecht behandelt hat. Wobei schlecht behandelt natürlich auch eine Einschätzung dieses Kindes ist, die dazu führt, dass sich das Gewissen meldet. Dieses Beispiel habe ich ausgewählt, weil es zwei Dinge deutlich macht: das Gewissen meldet sich hier im Anschluss an eine Tat, und es trifft eine subjektive Einschätzung zur Bewertung der Tat. Subjektiv auch deshalb, weil auch gutes Zureden, vielleicht in dem Sinne, dass es doch nicht so schlimm gewesen sei, das Gewissen zumindest kurzfristig nicht beruhigen kann: das Kind weiß, dass es besser hätte handeln können und fühlt sich schuldig. Auch der Punkt ist wichtig: das Schuldgefühl kommt aus der Gewissheit etwas falsch gemacht zu haben.
Ergänzend zu dem Beispiel möchte ich noch hinzufügen: auch wenn man umgangssprachlich davon ausgeht, dass sich das Gewissen erst im Nachhinein meldet, arbeitet es doch auch vor und während der Tat: das Kind hätte auch schon vorher wissen können, dass der Umgang mit dem Freund nicht in Ordnung war. So kann man also sagen: das Gewissen macht Vorschläge zum Handeln, leitet mich in meiner (Gewissens-) Entscheidung und gibt mir anschließend Rückmeldung in Form einer Bewertung meiner Handlung. Klingt doch alles in allem wie ein lückenloses System, aus dem heraus sich eine vom Kleinen (das Kind im Umgang mit seinem Freund) bis ins ganz Große (Weltpolitik) schöne neue Welt entwickeln müsste, in der jeder jeden so behandelt, wie es richtig und gut ist.
Naja, offensichtlich ist die Welt noch nicht direkt auf dem Weg in diese wahrhaft schöne neue Welt. So bleibt die Frage, wieso eigentlich nicht, was (oder wer) hindert uns, gut zu sein, das Gute zu tun? Meine These dazu: vielleicht ist es die mangelnde Erkenntnis was gut ist, resultierend aus einer mangelnden Beschäftigung mit dem Thema!
Ist doch nicht so schlimm!
Was meine ich damit: überwiegend scheinen mir die Beweggründe der Welt, und oft eben auch meine, in Fragen der Nützlichkeit zu liegen. Wie erreiche ich meine Ziele, was sind meine persönlichen Ziele, was sind politische Ziele etc. Bleiben wir, weil es so schön ist, bei dem Beispiel mit dem kleinen Jungen: er ist vielleicht in der Schule nicht besonders angesehen, und hat nun die Möglichkeit, zu einer Geburtstagsfeier eines beliebten Mitschülers zu gehen muss dann aber seinem Freund absagen, der selbst nicht eingeladen ist. Schnell ist da die Entscheidung gefallen: den Freund kann ich immer noch mal treffen, der Besuch der Feier macht mich bestimmt beliebter, ist doch auch nichts Schlimmes! Nun möchte ich dem armen Kleinen keine Vorwürfe machen, sein Handeln ist nur allzu menschlich, führt aber dazu, dass sich sein Freund zurückgesetzt fühlt.
Was bei dem Jungen noch menschlich verständlich und vielleicht eher niedlich erscheint (natürlich nicht für seinen Freund) zeigt sich im großen Maßstab schon deutlich abgesetzt vom Guten: um auf der Karriereleiter aufzusteigen, vernachlässige ich Freunde, verleugne sie vielleicht sogar, spiele Kollegen gegeneinander aus. Um im politischen Umfeld an der Macht zu bleiben, oder an die Macht zu kommen, werfe ich Überzeugungen moralischer Art über Bord und gehe auf Kompromisse ein, die mit meinen eigenen moralischen Ansprüchen nichts mehr zu tun haben.
Beim ersten mal tuts noch weh!
Diese Diskrepanz führt dann also anschließend zu einem schlechten Gewissen, obschon man schon vorher hätte wissen können, dass man etwas nicht Gutes tut. Der Effekt, vorher nicht sein Gewissen zu befragen, ist dabei bestimmt auch nachvollziehbar: der Nutzen meiner Entscheidung steht im Vordergrund und verdeckt die moralische Einschätzung. Gewöhnung an diesen Zustand und vielleicht auch der Wunsch, schnelle Entscheidungen zu treffen, führen dann zu aus Sicht des Gewissens fehlerhaftem Handeln. Da muss man dann nicht besonders helle sein, um festzustellen, was oder besser wer hinter dem Zeitdruck und dem Nutzen steckt. Jesus hat schon gewarnt, wir könnten nur einem Herren dienen und nicht gleichzeitig Gott und dem Mammon (wobei ich unter Mammon nicht nur Geld sondern auch eigene Vorteile subsumieren würde). Nun kommt der Mammon nicht vom Teufel, aber er hat ihn sich deutlich nutzbar gemacht. Wie ich Kardinal Ratzinger schon mal an anderer Stelle in freiem Wortlaut zitiert habe: der Teufel ist nicht dumm genug, uns die Anbetung des Bösen anzubieten, er bietet uns das Nützliche an.
Noch schlimmer als der Effekt, das Gute nicht im Vorfeld zu erkennen und zu tun ist aber die Gewöhnung an das schlechte Gewissen und dessen Abstumpfung. Natürlich ist es kein gutes Gefühl, ein schlechtes Gewissen zu haben, dazu ist es ja in der Situation da. Also lege ich mir die Nützlichkeitserwägungen wieder zurecht, zum Beispiel indem ich meine Bewertungsmaßstäbe im beruflichen Bereich von meinen privaten trenne und betäube so mein Gewissen. Früher oder später bemerke ich dann nicht mal mehr im Nachhinein, wenn ich schlecht gehandelt habe. Das Gewissen liegt auf Eis, der Teufel hat gewonnen und in Zukunft leichtes Spiel. Und die Beziehungen zu anderen Menschen leiden natürlich darunter: der kleine Junge verliert um die Beliebtheit willen einen guten Freund, wir alle verlieren im Umgang mit den anderen den Maßstab der Liebe!
Kein zwingender Weg
Muss das so enden? Natürlich nicht: die Beispiele von Heiligen, die diesen verhängnisvollen Weg nie gegangen sind oder rechtzeitig umgekehrt sind, geben uns Hinweise, wie wir den Abstieg vermeiden. Und auch wenn es für den einen oder anderen langweilig sein mag, der beste Weg scheint mir noch immer das Gebet und die Betrachtung zu sein. Wenn ich im Gespräch mit Gott bleibe, oder wieder mit ihm ins Gespräch komme, gehen mir mehr und mehr die Augen auf für die faulen Kompromisse, die ich gemacht habe. Es ist eben ein Unterschied, ob der kleine Junge, die Entscheidung seinen Freund zu versetzen einfach alleine trifft oder seinen Vater vorher um Rat fragt?
Ich bin sicher, dass das Gewissen nie ganz ausgeschaltet werden wird, also bleibt der Rest eines schlechten Gefühls, das mich zu dem Gespräch mit Gott einlädt. Und der, das ist das eigentlich wunderbare, will uns mit dem schlechten Gewissen nicht strafen sondern uns zur Umkehr bewegen. Wie der Vater des verlorenen Sohnes freut er sich über unsere Umkehr zu ihm das ist, ganz nebenbei und in meiner persönlichen Sicht, der Sinn des schlechten Gewissens! Gott straft uns in diesem Leben nicht, Christus ist nicht gekommen um zu richten sondern um zu retten. Und wie wunderbar er das anstellt, ohne uns unseren freien Willen zu nehmen!
Und ganz langsam wird uns Gott dann auch die bereits tief vergrabenen Begebenheiten aufzeigen, in denen wir uns vom Guten abgewandt haben; und uns lehren, bereits im Vorfeld die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass dieser Weg langwierig aber auch wunderschön ist, denn Gott nimmt mir an dieser Stelle nichts, er verhilft mir zu einem besseren Leben. Ich bleibe in jeder Handlung frei, aber abseits der Nützlichkeit erwerbe ich ein weiteres wichtiges Kriterium zur Entscheidung, das mein Handeln, in weltlicher wie in göttlicher Sicht, besser macht!
Nun, das soll hier erst mal genügen, ist schon starker Tobak. Gerne möchte ich das Thema aber fortsetzen, vielleicht mit Beispielen, bestimmt auch mit einer vertiefenden Betrachtung, was das denn nun ist: das Gute! Ich selbst finde das Thema spannend, einmal aus theologischer, eher abstrakter Sicht, vor allem aber auch aus Sicht meines täglichen Lebens: so gerne ich mich von Gott auch zur Umkehr rufen lasse, so würde ich doch lieber auf dem richtigen Weg bleiben und meine eigenen Umwege soweit wie möglich reduzieren!