Eigentlich hätte ich auch diesen Artikel wieder unter der Rubrik „Meine Frau meint“ einsortieren müssen, aber drei davon (fast) in Folge würden auch einen völlig falschen Eindruck vermitteln. Dennoch war mal wieder meine Frau der Auslöser, die meinte, ich solle doch mal einen Blog über unseren Sohn (knapp 2 1/2) und meine Beziehung zu ihm schreiben, vor allem vor dem Hintergrund des nun bald zu Ende gehenden Urlaubs, in dem – liegt in der Natur der Sache – ich deutlich mehr Zeit mit der Familie und damit mit ihm verbringen konnte, als das normalerweise geht. Und es ja, ich hoffe, andere Väter werden mir das bestätigen, nicht nur die reine quantitative Zeit, es ist auch das, was man neudeutsch „Qualitiy Time“ nennt, also gemeinsame Zeiten, in denen man nicht nur rein körperlich zusammen ist, sondern vor allem auch etwas gemeinsam unternimmt und sich so näher kennenlernt.
Dieses Kennenlernen ist schon ein bisschen provokant zu schreiben: wen sollte man denn besser kennen als sein eigenes Fleisch und Blut? Und dennoch: wenn man als Vater die Woche über einer geregelten Arbeit nachgeht, dann hat man, selbst wenn man es so flexibel einrichten kann wie ich, nur ein paar Minuten am Morgen und den Abend mit ein bisschen spielen, Abendbrot, Zubettgehen inklusive Gebet und vielleicht noch mal den Blick ins Bettchen in der Nacht. Man bemerkt Entwicklungssprünge, bei deren Entstehen man aber meist nicht dabei sein kann – wie viele Väter haben wohl die ersten Schritte ihrer Kinder verpasst oder die ersten richtigen Worte und hören ein bisschen schmerzhaft von der Mutter die Worte „Hat er gestern schon mal gemacht“ wenn man stolz berichtet, dass das Kind ein Abendlied fast auswendig mitgesungen hat? Das alles ist nicht wirklich schlimm, ich will darum auch gar nicht jammern, und ich bin sicher, dass es viele Väter gibt die, aus freier Entscheidung oder weil es eben nicht anders geht, noch weniger Zeit mit ihren Kindern verbringen können.
Trotzdem, gerade in der Beziehung zwischen Vater und Sohn sollte mehr „Qualitiy Time“ sein, als man es im normalen Alltag einrichten kann. Umso wunderbarer sind dann eben die Urlaubszeiten, in denen man sich – genau – besser kennenlernen und die Vater-Sohn-Beziehung vertiefen kann. Das bedeutet auch, dass andere Aktivitäten auch mal ein wenig zurückstehen müssen. Ich hatte bereits im vorletzten Beitrag berichtet, dass ich eine kleine Bergwanderung mit meinem Sohn geplant hatte. Witterungsbedingt (Schnee auf dem Berg und schlammige Wege) konnten wir die nicht machen, wir haben aber eine Ausweichroute gefunden, die ich jedem Besucher von Bergen im Chiemgau nur ans Herz legen kann: einen Rundwanderweg nach Maria Eck, einem Marienwallfahrtsort. Rundwanderweg ist aber natürlich nur die weltliche Bezeichnung: eigentlich war es für uns eine Wallfahrt. Wir waren schon einen Tag zuvor in der Kirche des Klosters gewesen und hatten eine Kerze für unsere Lieben entzündet – und auf meine Frage an unseren Kleinen, ob er denn mit Papa noch mal zu der Kirche wandern wolle, antwortete er nur bestimmt „Kerze anzünden!“ Die gesamte Route ist für 2 1/2 Stunden beschrieben, wenn man einigermaßen fit ist geht die aber auch locker in zwei Stunden, hat einen Höhenunterschied von rund 300 m, die sich aber auf wenige Streckenabschnitte konzentrieren, sodass man schon ein bisschen gut zu Fuß sein sollte. Und so wanderten wir halt los, der kleine in der „Kraxel“, also einem Rucksack, in dem er sitzen kann und mir während der mühsameren Streckenabschnitte immer wieder vorschlug, Lieder zu singen – was ich etwas keuchend auch versucht habe :-) In Maria Eck angekommen stiefelte der kleine Hosenmatz auch direkt los: „Kerze anzünden“ – wir haben also ein paar Kerzen für unsere Familie, Freunde und Verstorbene angezündet – wieder draußen kam seine neue Anweisung „Viele Jesus!“ – Ich musste erst mal überlegen, bis er mich auf den Weg hinter die Kirche zog, in der Wallfahrtskreuze aufgestellt sind, die wir am Vortag schon gesehen hatten: eine Vielzahl von Kreuzen, Kruzifixen, geschmückt teilweise auch mit Marienfiguren und Rosenkränzen. Das hatte er sich offenbar gemerkt und wollte noch mal hin! Als Vater kriegt man da schon ein bisschen „Wasser in die Augen“ wenn es den Sohn zu den „Vielen Jesus“ hinzieht!
Wir sind dann wieder zurück gewandert und waren schon mittags wieder zu Hause – also eine Halbtagstour. Warum erzähle ich das alles? Es geht mir, wie ich schon angedeutet habe, nicht um die reine Zeit, die wir zusammen verbracht haben, es geht nicht um die Wegstrecke, die wir zurück gelegt haben: es geht um das miteinander Verschweißen, was man, ich jedenfalls, im normalen Alltag nicht hinbekommt. Es geht darum, dass der Kleine nach solchen Zeiten, auch ganz anders mit mir umgeht – das Vertrauensverhältnis zwischen Vater und Sohn, das hoffentlich schon nicht ganz schlecht war, wird noch vertieft – wir haben uns besser kennengelernt. Dazu kommt noch, dass er in der Zeit hier im Urlaub in vielen Dingen gewachsen ist. Er ist – ich hoffe, er wird mir das in ein paar Jahren nicht übelnehmen, sollte er dies lesen – ein eher ängstlicher Junge, aber ich habe ihm im Urlaub mehrfach zu erklären versucht, was ich unter dem Begriff „tapfer“ verstehe, wenn ich ihn so nenne: Tapferkeit bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern die Angst zu überwinden und Dinge, vor denen man Angst hat, trotzdem zu tun. Und – natürlich, er ist erst ein bisschen über zwei Jahre und ich bin nicht sicher, wie viel er davon verstanden hat – so beobachte ich, wie er die Welt für sich neu entdeckt: gestern Nachmittag ist er mit Vergnügen Seilbahn gefahren, vor deren Betreten er noch ein paar Tage zuvor, aus Angst geweint hat. Er geht auf Haustiere zu, zu denen er noch vor wenigen Tagen gehörigen Abstand gehalten hat. Er klettert Leitern von Rutschen hoch, und auch wenn ihm ab und zu noch der Mut fehlt, die letzte Sprosse zu erklimmen … ich selbst habe Höhenangst und jetzt schon Respekt vor seinen Klettertouren! Er wächst innerlich von Tag zu Tag und es ist einfach eine Freude für mich als Vater, das zu beobachten, besonders dann, wenn er sich nach einer erfolgreichen Kletterpartie zu mir dreht, ob ich das wohl auch gesehen habe. Der kleine Mann ist in diesen Urlaubstagen, in denen wir ganz viel Zeit verbracht haben, zusehends größer geworden. Das heißt nicht, dass das nicht auch mit meiner Frau so gegangen wäre, nun ist es aber passiert, als ich dabei war, es beobachten und auch mit Applaus und Anerkennung habe honorieren können – und ich glaube, das macht eben schon einen Unterschied aus. Heute haben Söhne nicht viele männliche Vorbilder: Kindergärtner sind zu gefühlt 99 % Kindergärtnerinnen, bei Lehrern ergibt sich nur ein unwesentlich besseres Bild, durch den Beruf des Vaters ist die Hauptbezugsperson der Kinder die Mutter oder eben die Erzieherin. Das ist an sich nichts schlechtes, reicht aber nicht!
Woher soll ein kleiner Kerl wie unserer denn erfahren, wie das geht, ein Mann zu sein? Wie soll er denn von seinem Vater erfahren, dass er „der geliebte Sohn“ ist, der es drauf hat, ein echter Mann zu werden (wer hier einen Bezug zu John Eldredges „Der Weg des ungezähmten Mannes“ sieht liegt richtig), wenn Papa nur zum Abendbrot zu Hause ist? Wer soll ihn denn in seinen ersten Schritten hin zu Abenteuern begleiten und bestärken, wenn nicht der Vater? Schwarz/Weiß gemalt bietet die Mutter Schutz und Trost, der Vater Ansporn und Anerkennung (nicht zu vergessen bieten hoffentlich beide bedingungslose Liebe) – ein Junge, der nur den Vater als Bezugsperson hat wird eher zu „hart“, wenn aber nur die Mutter (oder eine weibliche Bezugsperson) da ist wird er aber eher zu weich und letzteres scheint mir heute der Normalzustand zu sein. Ein paar Tage Urlaub im Jahr reichen dazu als Ausgleich natürlich nicht aus, aber wenn ich in diesen Tagen von meinem Sohn etwas gelernt habe, dann dass er auf mich schaut, meine Liebe, auch meinen Ansporn und meine Anerkennung braucht – auch und gerade in den Zeiten, in denen es ganz normal zugeht, also wenn wir wieder zu Hause sind. Der kleine Mann hat ein Anrecht darauf, dass Papa für ihn da ist – und ich habe die Pflicht, mir zu überlegen, wie ich das tun kann. Ich habe viel in diesem Urlaub von meinem Kleinen gelernt und bin ihm dankbar für die Zeit und für die Abenteuer, die sie beinhaltet. Und, wenn das geht, liebe ich ihn noch mehr als vorher und hoffe und bete, für ihn der Vater sein zu können, den er braucht!
Anmerkung: Natürlich gelten analoge Dinge auch für meine kleine Tochter, die mit ihren sechs Monaten aber noch andere Dinge braucht, die im Wesentlichen nur meine Frau bieten kann – zu gegebener Zeit werde ich aber sicher auch etwas über die Vater-Tochter-Beziehung berichten und ich bin sicher, auch die wird abenteuerlich!