Okay, ich muss mich lossagen, Abschied nehmen, ich war versucht, den Beitrag mit Tschüss zu betiteln, habe mich dann aber doch für das zukunftsoffene Auf Wiedersehen entschieden. Nein, ich werde nicht diesen Blog einstellen, aber
Ich bin kein konservativer katholischer Blogger mehr! Jedenfalls möchte ich nicht mehr zu diesem Kreis gezählt werden, wenn der sich im Moment in großen Teilen dadurch auszeichnet, die Worte von Papst Franziskus beispielsweise im Gespräch mit einem atheistischen Zeitungsverleger nach Fehlern zu durchforsten und dabei auch nicht davor zurückschreckt, seine Worte einfach zu verdrehen!
Zwischenzeitlich habe ich Dank an JürgenPB von Zwischen Kirche, Kreuz und Kreuzkümmel die englische Version des Interviews mit Eugenio Scalfari lesen können, und bin nach wie vor von der Glaubenstreue des Papstes überzeugt! Dass ich eine solche Versicherung mal abgeben müsste, hätte ich mir auch vor kurzem noch nicht vorstellen können. Dabei habe ich mir schon fast beim ersten Satz auf die Lippe gebissen, war mir doch klar, dass sich eben jene konservativen Blogger und Kommentatoren wieder darauf stürzen würden::
The most serious of the evils that afflict the world these days are youth unemployment and the loneliness of the old. The old need care and companionship; the young need work and hope but have neither one nor the other, and the problem is they don’t even look for them any more. They have been crushed by the present. You tell me: can you live crushed under the weight of the present? Without a memory of the past and without the desire to look ahead to the future by building something, a future, a family? Can you go on like this? This, to me, is the most urgent problem that the Church is facing.
Die schlimmsten Übel, die die Welt in diesen Jahren heimsuchen, sind die Jugendarbeitslosigkeit und die Einsamkeit, der man die Alten überlässt. Die alten Menschen brauchen Pflege und Gesellschaft, die Jungen brauchen Arbeit und Hoffnung, doch sie haben weder das eine noch das andere und suchen deshalb noch nicht einmal mehr danach. Sie werden von der Gegenwart erdrückt. Sagen Sie mir: Kann man so leben, von der Gegenwart erdrückt? Ohne Erinnerung an das Vergangene und ohne den Wunsch, sich für die Zukunft etwas aufzubauen, eine Familie etwa? Kann man so weitermachen? Das ist aus meiner Sicht das dringendste Problem, das die Kirche vor sich sieht… Diese Situation verletzt nämlich nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen. Und für beides muss sich die Kirche verantwortlich fühlen.
(Übersetzung von Radio Vatikan)
Und was passiert? Einige Blogger kritisieren, der Papst habe gesagt, das Hauptproblem der Kirche seien die Jugendarbeitslosigkeit und die Einsamkeit der Alten. NEIN, das hat er nicht gesagt! Er hat gegenüber einem Atheisten als die größten aktuellen weltlichen Probleme, der die Kirche sich zu stellen habe (besser übersetzt eben gegenüberstehe oder wie bei Radio Vatikan dafür verantwortlich fühlen müsse), die Jugendarbeitslosigkeit und die Einsamkeit im Alter benannt. Das ist missionarisch perfekt! Hätte der Papst zum Gesprächseinstieg wohlgemerkt in diesem Kontext tatsächlich, wie in einem Blog vorgeschlagen von Glaubenskrise, Glaubensverlust, Entchristianisierung sprechen sollen? Es geht darum, mit Menschen, die nicht glauben, im Gespräch zu bleiben, und nicht ihnen unsere Themen aufzuzwängen, die sie gar nicht als relevantes Thema wahrnehmen, nicht mal wahrnehmen können.
Ein anderes Beispiel fehlerhaften Zitierens: Auf die Frage Scalfaris, was denn als gut gelten solle, wenn es unterschiedliche Vorstellungen davon gäbe und wie das mit der Autorität des Gewissens gemeint sei, dem man folgen müsse, antwortet der Papst (wiederum die englische Übersetzung):
Each of us has a vision of good and of evil. We have to encourage people to move towards what they think is Good. [ ]
Everyone has his own idea of good and evil and must choose to follow the good and fight evil as he conceives them. That would be enough to make the world a better place.
Jeder von uns hat eine Vision von gut und böse. Man muss die Menschen ermutigen sich in die Richtung zu bewegen, die sie für gut halten.
Jeder hat seine Vorstellung von gut und böse und muss sich entscheiden, dem guten zu folgen und das böse zu bekämpfen, so wie er es wahrnimmt. Das wäre schon genug, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
(eigene Übersetzung)
Ein Blog gibt dies sinnentstellend wieder, der Papst habe nachdrücklich betont, daß es nur und einzig darauf ankomme, seinem Gewissen zu folgen und Gutes zu tun- der Glaube oder Nichtglaube spiele für die Erlösung keine Rolle. NEIN, auch das hat er nicht gesagt! Er bezieht sich hier lediglich auf den Primat des Gewissens, den auch der Katechismus in den Vordergrund stellt. Da heißt es zum Beispiel: 1787 Der Mensch steht zuweilen vor Situationen, die das Gewissensurteil unsicher und die Entscheidung schwierig machen. Er soll jedoch stets nach dem Richtigen und Guten suchen und den Willen Gottes, der im göttlichen Gesetz zum Ausdruck kommt, erkennen. [ ] 1790 Dem sicheren Urteil seines Gewissens muß der Mensch stets Folge leisten. Würde er bewußt dagegen handeln, so verurteilte er sich selbst. Es kann jedoch vorkommen, daß das Gewissen über Handlungen, die jemand plant oder bereits ausgeführt hat, aus Unwissenheit Fehlurteile fällt.
Natürlich, der Katechismus weist auch auf die Notwendigkeit der rechten Ausbildung des Gewissens hin und unterbindet so eine einfache Relativierung des Guten. Damit wären wir jetzt aber an der Stelle der Interpretation, ob der Papst etwas nicht gesagt habe, weil er es nicht meine oder es auch andere Gründe womöglich in der Gesprächsführung begründet geben kann, warum er darauf nicht hingewiesen hat. Dabei sollte man erstens wiederum auch berücksichtigen, dass der Papst diese Antwort nicht Priestern oder Bischöfen oder katholischen Theologen gegeben hat sondern einem gesprächsbereiten Atheisten und sich zweitens selbst die Frage stellen, ob man einen Papst haben möchte, der auf Knopfdruck den Katechismus aufsagt. Noch mal festzuhalten ist jedenfalls: Der Papst hat nicht gesagt, dass es ausreiche, seinem Gewissen zu folgen, um die Erlösung zu erreichen!
Im Gegenteil hat der Papst ganz nachdrücklich etwas zum Thema Erlösung gesagt, was aber ganz anders klingt! Auf die Frage Scalfaris, ob er falsch liege, wenn er Jesu Lehren so interpretiere, dass die Liebe (Agape) zu den Menschen der einzige Weg zu Gott sei, antwortet der Papst:
You’re not wrong. The Son of God became incarnate in the souls of men to instill the feeling of brotherhood. All are brothers and all children of God. Abba, as he called the Father. I will show you the way, he said. Follow me and you will find the Father and you will all be his children and he will take delight in you. Agape, the love of each one of us for the other, from the closest to the furthest, is in fact the only way that Jesus has given us to find the way of salvation and of the Beatitudes.
Sie liegen nicht falsch. Der Sohn Gottes ist in den Herzen der Menschheit Mensch geworden, um ihnen das Gefühl der Gemeinschaft beizubringen. Wir alle sind Brüder und alle Kinder Gottes. Abba, wie er den Vater genannt hat. Ich werde euch den Weg zeigen, hat er gesagt. Folgt mir, und ihr werdet den Vater finden und ihr werdet seine Kinder sein und er wird seine Freude an euch haben. Agape, die Liebe eines jeden von uns für die anderen, vom Nahestehendsten bis zum Fernsten, ist tatsächlich der einzige Weg, den Jesus uns gegeben hat um den Weg der Erlösung und der Seligpreisungen zu finden.
(eigene Übersetzung)
Und so geht die Kritik munter weiter, haarscharf vorbei an dem, was der Papst wirklich gesagt hat, immer auf der Suche, was er denn falsches gesagt haben könnte (oder unterlassen darauf hinzuweisen). So antwortet er auf die Frage, ob er (der Papst) Scalfari bekehren wolle mit den Worten:
Proselytism is solemn nonsense, it makes no sense. We need to get to know each other, listen to each other and improve our knowledge of the world around us. Sometimes after a meeting I want to arrange another one because new ideas are born and I discover new needs. This is important: to get to know people, listen, expand the circle of ideas. The world is crisscrossed by roads that come closer together and move apart, but the important thing is that they lead towards the Good.
Proselytismus ist pathetischer Unsinn, er macht keinen Sinn. Wir müssen uns kennenlernen, einander zuhören und unsere Kenntnisse über die Welt um uns herum verbessern. Nach so manchem Treffen möchte ich ein weiteres vereinbaren, weil neue Ideen entstehen und ich neue Bedürfnisse entdecke. Das ist wesentlich: Menschen kennenlernen, zuhören, den Horizont der Ideen erweitern. Die Welt ist durchzogen von Straßen, die sich nähern und sich wieder entfernen, wichtig ist aber, dass sie zum Guten führen.
(eigene Übersetzung)
Auch hier versuchen einige, dem Papst zu unterstellen, dass er Proselytismus mit Evangelisierung gleichsetze und damit eigentlich gesagt habe, Evangelisierung sei Unsinn. NEIN, das hat er damit genau nicht gesagt. Was er, und dazu muss man sich schon die Mühe machen, zumindest die Antwort des Papstes vollständig zu lesen, erläutert (und damit auch seine Interpretation des Begriffes Proselytismus klarstellt), ist, dass es darum geht, sich gegenseitig besser kennenzulernen, sich auszutauschen, sich dadurch auch zu ändern, neue Wege einzuschlagen, die zum Guten führen. Dreimal darf man raten, was der Papst mit diesem Guten meint. Der Papst spricht sich nicht gegen Evangelisierung aus, er spricht sich aber gegen Niederbibeln aus, vor allem dann, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die die Bibel gar nicht als Autorität betrachten.
Es wird man muss es so sagen versucht, dem Papst nachzuweisen, nicht richtig katholisch zu sein, und das aus katholischen Kreisen, die oft für sich in Anspruch nahmen, papsttreu zu sein. Wortlaut des Papstes? Uninteressant! Kontext des Gesagten (hier: das Gespräch mit einem atheistischen Zeitungschef)? Nicht wichtig! Wenn der Papst nicht in jedem seiner Sätze den Katechismus zitiert, wird ihm genau das vorgeworfen! Bislang habe ich mich in der „Schublade“ der „konservativen Katholiken“ wohlgefühlt, erstens weil ich mich als konservativ (das heißt das Gute bewahrend, wie wir es in Bibel, Überlieferung und Lehramt vorfinden) betrachte, zweitens auch weil man die Modernisten damit ein bisschen ärgern kann (die Bibel, Überlieferung und Lehramt für den Zeitgeist über Bord werfen wollen), jetzt scheint es mir aber an der Zeit, mich aus dieser Schublade zu verabschieden. Ich muss mich also ein bisschen selbst korrigieren: Ich bin weiterhin konservativer katholischer Blogger, empfehle aber jedem Leser, genau zu überlegen, was das bedeutet und nicht von einem dieser Kategorie einfach auf den anderen zu schließen!
Claudia Sperlich
Sei weiter konservativ. Im Wortsinn – also bewahrend.
Manche Leute verwechseln halt konservativ und destruktiv – werden letzteres und behaupten, das sei ersteres. Schade, aber ich sehe keine übergroße Gefahr, daß Du so wirst.
Franzer
Danke! Was soll´s der Worte mehr?
ankerperlenfrau
Gut gebrüllt Löwe!
Völlig d’accord!