Die evangelische (vertreten durch den Rat der evangelischen Kirche, EKD) und katholische Kirche (vertreten durch die Deutsche Bischofskonferenz, DBK) in Deutschland haben mit Datum vom 28.02.2014 ein gemeinsames Papier mit dem Titel Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft – Initiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung herausgegeben. Entsprechende Verlautbarungen findet man neben der eigens erstellten Webseite www.sozialinitiative-kirchen.de auch auf der Seite der EKD und der DBK.
Und im Netz und in den Zeitungen finden sich bereits Bewertungen dieses Papiers, von denen ich zugeben muss, dass sie mich durchaus beeinflusst haben mögen bei meiner Lektüre dieses immerhin 64 Seiten starken Werkes. So bezeichnet es der Cicero-Kolumnist Alexander Kissler in gewohnt bissiger Art als derzeit günstigstes Einschlafmittel und Sedativum und befindet gleich im Titel seiner Kolumne, dass die Kirche mit dem Papier als Binsenproduzent und Schwafelladen auftritt. Dazu muss ich direkt sagen: das mit dem Sedativum kann ich so nicht bestätigen, wenn auch aus vielleicht anderen Gründen, als Kissler diese Diagnose stellt.
Ich habe das Dokument jedenfalls gelesen und meine Randkennzeichnungen wechseln von Seite zu Seite von Fragezeichen mehr und mehr zu Blitzen und Kreuzen. Denn sowohl aus katholischer als auch aus libertärer Sicht enthält das Dokument durchaus einen durchgängigen Sprengstoff, der zwischen den zweifellos vorhandenen Platitüden unterzugehen droht: Es ist ein Dokument der totalen Staatsgläubigkeit, es huldigt soviel sei zugestanden nicht dem Mammon, aber es huldigt dem anderen Leviathan Staat!
Moralisches Handeln, so zieht sich das wie ein roter Faden durch das Thesenpapier, gehört staatlicher- und neuerdings auch überstaatlicherseits reglementiert. Dabei will ich nicht übersehen, dass die Grundthesen durchaus richtig sind, wie christlich-moralisches Handeln insbesondere im Wirtschaftsleben aussehen könnte. Natürlich ist es unchristlich, das Geld, den Profit als allseligmachenden Götzen anzubeten. Natürlich ist es unchristlich, Menschen, in Deutschland oder in anderen Ländern dieser Welt, für einen Hungerlohn auszubeuten. Und natürlich sind Christen gehalten, die Schöpfung zu bewahren und also auch mit der Umwelt verantwortlich umzugehen.
Das, und auch eine Erläuterung der jeweiligen Zusammenhänge beispielsweise welchen moralischen Prinzipien eine christliche Unternehmensführung in Krisensituationen folgen sollte ist das, um den weltlichen Begriff zu verwenden, Kerngeschäft der Kirche. Hier muss sie sich äußern, hier muss sie auch ihr noch vorhandenes gesellschaftliches Gewicht in die Waagschale werfen. Das kommt aber bis auf Spurenelemente in dem Dokument nicht vor. Dabei startet das Dokument nach ein paar Platitüden ganz richtig:
Für die Bewältigung der Herausforderungen, vor denen wir stehen, bedarf es eines möglichst hohen Maßes an Sachkompetenz. Im Diskurs um Sachfragen müssen die besten Lösungen gefunden werden. Hinter den Sachfragen stehen aber immer auch Orientierungsfragen, die ebenfalls zu reflektieren sind. Welchen Zielen soll wirtschaftliches Handeln dienen? Und welche Priorität kommt den jeweils unterschiedlichen Zielen zu? Um für diese Fragen eine Basis zu gewinnen, bedarf es ethischen Orientierungswissens. Eine Gesellschaft tut gut daran, solches Orientierungswissen zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Schon in der ersten von zehn Thesen, bezeichnet mit dem Titel Gemeinsame Verantwortung heißt, wirtschaftliches Wachstum in den Dienst für den Menschen zu stellen. wird dann aber entlarvend vom Primat der Politik gesprochen, dem sich die Wirtschaft, und das ist ja keine Institution (Unternehmen und ganze Branchen), das sind die dort handelnden Personen, unterzuordnen hätten.
Es wird dann im Folgenden immer wieder nach ordnungspolitischen Weichenstellungen gerufen, es wird gesprochen von Partizipation und Inklusion, die staatlicherseits sichergestellt werden soll, es wird zu supranationaler Bekämpfung von Steuerhinterziehung aufgerufen, die soziale Marktwirtschaft, in einer Deutung die Ludwig Erhard und die Gründerväter der Bundesrepublik im Grab rotieren lassen wird, wird flugs erweitert zu einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, der demographische Wandel soll ebenfalls mit einer Reform des staatlichen Rentenversicherungssystems begegnet werden, anstatt mal auf den Skandal 100.000 (statistisch erfasster) abgetriebener Kinder pro Jahr in Deutschland hinzuweisen, zur Bildung fällt den Autoren auch nichts mehr ein als nach mehr Staat zu rufen, und selbst in den Bereichen, in denen man von Subsidiarität spricht, wie im Arbeitsmarkt, findet die in den Augen der Kirchenvertreter ihre unterste Ebene in Tarifverträgen.
Feigenblattartig wird an der einen oder anderen Stelle darauf hingewiesen, dass zu staatlicher Förderung auch eine Bereitschaft zu Leistung, Bildung und persönlicher Verantwortungsübernahme vorhanden sein sollte, die aber wie sollte es auch anders sein ebenfalls durch staatlich organisierte Anreize zu erreichen sein soll.
Ein solches Dokument unbändigen Staatsglaubens findet man sonst bei links- bis mainstreamorientierten Politikern. Dort wundere ich mich aber auch nicht darüber, bei kirchlichen Dokumenten dagegen, die durchaus mit der selbstkritischen Einschätzung an den Start gehen, in wirtschaftspolitischen Fragen nicht über besondere Kompetenzen zu verfügen, bin ich aber doch erstaunt. Dabei ist es nicht so, dass man den Verfassern den guten Willen zu einem Weg zu mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit absprechen könnte.
Beobachtete und dokumentierte Missstände bestehen durchaus, nur bereits in der Ursachenanalyse mit Schwerpunkt fehlender staatlicher Steuerung erliegt man der Versuchung, dem entsprechenden Zeitgeist hinterher zu laufen, sodass man auch bei den Lösungsvorschlägen auf kein vernünftiges Konzept jenseits der nationalen und internationalen Ordnungspolitik kommt. Der Staat soll es regeln, wo Moralvorstellungen der Gesellschaft sich gewandelt haben hin zu einem gesteigertem Hedonismus, hin zur reinen Profitorientierung. Nebenbei bemerkt nutzen in vielen Fällen von Quasimonopolen Unternehmen staatlich Regulierungswut weidlich zur Gewinnmaximierung, wo kleinere Betriebe aufgeben müssen, man siehe nur auf das Beispiel des Mindestlohns, das auch im kirchlichen Thesenpapier verteidigt wird.
Sollte der Schwerpunkt eines solchen Papieres dagegen nicht viel mehr auf die generellen Fragen von Moralität im Geschäftsleben fokussieren ohne einen angeblichen Lösungsvorschlag an Politik und Wirtschaft zu senden? Wäre nicht ein Appell an Unternehmer und Manager notwendiger, sich nicht von kurzfristigen Profitaussichten blenden zu lassen sondern ein wirklich verantwortbares, nachhaltiges Management im Sinne der Gesellschaft zu betreiben? Und wenn man sich schon an die Politik wendet, sollte es dann nicht ein Appell an die Moral von Politikern sein, an der sie sich bei Entscheidungen orientieren sollten, jenseits von Lobbyeinfluss und Korruption?
Es mag bei den Formulierungen aber auch der Gedanke vorherrschend gewesen sein, mit dem Hinweis auf Nachhaltigkeit und Erfolgsmöglichkeiten von christlich orientiertem Handeln nicht mehr punkten zu können, damit niemanden mehr überzeugen zu können: Eine Bankrotterklärung kirchlicher Evangelisierungstätigkeit, die nurmehr durch staatlichen Zwang christliche Vorstellungen als durchsetzbar einschätzt. Es ist richtig, wie es im Papier steht, dass die Gesellschaft keine Gemeinschaft von puren Egoisten, aber auch keine von reinen Altruisten ist. Dem Egoismus aber statt mit Überzeugungsarbeit und Evangelisierung mit staatlichem Zwang beikommen zu wollen ist ein Armutszeugnis der Mission, der Moral und auch des wirtschaftlichen Sachverstands.
David7419
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