Das gestrige Sonntagsevangelium war, wie so viele in der Fastenzeit, wieder mal eine Herausforderung für vortragende Priester oder Diakone: Johannes 11, 1-45, also nicht weniger als 45 Verse. In den meisten Gemeinden wird man daher wohl den Weg gegangen sein, den Text liturgisch korrekt oder passend für die Predigt abzukürzen. Trotzdem ist das ein so dichter Text, den durchzulesen sich immer mal lohnt.
Aus einem Gespräch mit ein paar Freunden darüber ist mir aber ein Punkt besonders im Gedächtnis geblieben, der sich an folgenden Versen ablesen lässt:
Als Jesus das hörte [dass sein Freund Lazarus krank war], sagte er: Diese Krankheit wird nicht zum Tod führen, sondern dient der Verherrlichung Gottes: Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. [ ]
Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt.Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. [ ]
Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen. [ ]Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus.
Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. [ ]. Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. [ ]Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb?
Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast.
Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen!
Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.
Was passiert hier? Jesus hört von seinem kranken Freund, aber er eilt nicht zu ihm hin, um ihm zu helfen. Die Schwestern Martha und Maria hatten nach ihm schicken lassen, damit er zu ihm kommen und ihn heilen könnte denn sie haben geglaubt, dass er die Macht hat, Krankheiten zu heilen. Und er wartet ab, weiß, dass Lazarus sterben wird und lässt ihn sterben! Er weiß auch, dass er ihn auferwecken will aber ist das nicht ein grausames Spiel, die Schwestern und die anderen Freunde des Lazarus trauern zu lassen?
Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. das sagen Martha und Maria gleichlautend. Sie glauben an ihn, aber jetzt, da Lazarus gestorben ist, ist auch ihre Hoffnung vergangen. Jesus kam zu spät, und zu dem Zeitpunkt mögen sich auch seine Jünger gefragt haben, wie es einige der Umstehenden taten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? Sie wussten, dass Jesus die Ankunft verzögert hatte, er hatte ihnen gesagt, dass Lazarus nun gestorben sei, und dass er jetzt zu ihm wollte.
Hier ist eine Parallele zu unserem Leben: Als Christen trauen wir Jesus eine Menge zu, und wir beten auch um seine Hilfe für erkrankte Menschen, für eine Prüfung, für Erfolg in der Arbeit, für unsere Kinder und ihr Wohlergehen aber was, wenn unsere Gebete enttäuscht werden? Da kommen einem dann schon manchmal Zweifel, wozu denn der Tod eines Menschen, der Misserfolg oder die Schwierigkeiten der Kinder gut sein sollen wieso hat Gott das zugelassen? Wärst du hier gewesen, dann In diesem eigentlichen Glaubenssatz von Martha und Maria liegt auch ein Vorwurf, den wir Gott, manchmal nur in unserem Herzen, machen: Warum warst Du nicht da?
Und doch, die Geschichte um Lazarus zeigt: Jesus war zu jeder Zeit Herr dieser Geschichte: Er wusste, wann Lazarus sterben würde. Was er getan hat, hat er getan, um den Glauben zu stärken. Denn neben dem Vorwurf enthält der Satz auch einen Zweifel an Jesus und Gott: Jetzt, da du zu spät gekommen ist, kannst selbst du nichts mehr tun! Und Jesus beweist in der Geschichte: Und ob!
Jesus erweckt unsere verstorbenen Lieben nicht wieder zu einem irdischen Leben, das Happy End dieser Geschichte hat sich nicht wiederholt. Aber sie kann mir aufzeigen, dass Gott eben doch noch etwas anderes vorhat, als das Leben eines jeden Menschen, von dem ich mich nicht trennen mag, zu retten. Denn er hat Lazarus nicht auferweckt um Martha und Maria zu trösten: er hat ihn auferweckt, damit diese beiden und alle anderen Umstehenden zum Glauben an ihn kommen!
Wir haben so manches mal das Gefühl, dass Gott für unsere Wünsche zu spät kommt, sich nicht eingemischt hat aber wenn ich wirklich an ihn glaube, dann muss ich auch glauben, dass meine Bitte nicht an ihm vorbei gegangen ist, und dass er sich etwas dabei gedacht hat, sie nicht zu erhören. Und das muss mein Gedankengang sein kein Vorwurf, keine Einschränkung seiner Macht, sondern die Frage: Warum mag Gott so handeln wie er es tut? Die Kunst, der wahre Glaube, ist, die Antwort abzuwarten und ich kann selbst nicht sagen, dass mir das immer gelingt.