12 Comments

  1. Vielen Dank für diese sehr interessanten Gedanken!

    Ehrlich gesagt verstehe ich diese utilitaristische Konzentration auf die Wirkung der Kirchensteuer überhaupt nicht. Die Kirchensteuer ist nicht zweckgebunden, sie ist zum Betrieb sozialer Anstalten weder vorgesehen noch nötig; der Schaden, den die Kirchensteuer nach sich ziehen soll, entsteht, wenn überhaupt, nicht daraus, daß Kirchensteuer hereinkommt, sondern daraus, wie und wofür sie ausgegeben wird.

    Wobei ich nicht glaube, daß es gerade die Kirchensteuer ist, woran die deutsche Kirche krankt. In Holland und Frankreich, wo es keine Kirchensteuer gibt, ist die Kirche m.E. noch viel schlimmer dran. Man muß auch in Betracht ziehen, daß die deutsche Kirchensteuer schon hundert Jahre bestand, und zwar in einem starken, selbstbewußten und rechtgläubigen deutschen Katholizismus, und das unangefochten selbst während des Kulturkampfes.

    Nein, die Kirchensteuer muß es geben, weil sie der Kirche zusteht. Punktum. Dieser Sachverhalt ist der Frage nach dem Nutzen vorgeschaltet. Wer — von kirchlicher oder staatlicher Seite — den Sinn der Kirchensteuer anhand des Nutzens in Frage stellt, negiert damit den Anspruch, den die Kirche an den Staat billigerweise hat. Man darf also nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun und sollte, so finde ich, die Grundlagen des jetzigen Zustandes prüfen, bevor man die Auswirkungen angreift. Oder besser: man sollte sich davor hüten, eine Antwort auf eine Frage zu geben, die zugleich auch eine andere Frage beantwortet, aber vielleicht nicht richtig.

    Wenn eine tote Hand der anderen etwas wegnimmt, wie es in der Säkularisierung und Mediatisierung geschehen ist, resultiert daraus, wo Gerechtigkeit herrscht, notwendig ein ewiger Entschädigungsanspruch. Wer den ohne Kompensation abschafft, macht damit die Enteignung zum Diebstahl. Wie dieser Anspruch aber erfüllt werden kann, darüber kann man mit Sicherheit reden, und vielleicht findet sich eine bessere Möglichkeit, als der Kirche den Einzug von Steuern zu gestatten.

    Tatsächlich hat sich die Kirchensteuer in ihrer heutigen Ausgestaltung überlebt, denn die heutigen Umstände entsprechen nicht mehr denen, in der sie eingeführt wurde. Tatsächlich hat nämlich die Kirche ihren Anspruch an das Staatsganze zu stellen, nicht nur an ihre eigenen Mitglieder. Zu der Zeit, als in den einzelnen deutschen Staaten die Kirchensteuer eingeführt wurde, waren praktisch alle deren Einwohner Angehörige einer Religionsgesellschaft; die Erlaubnis an die Kirchen, selbst Steuern einzuheben, erfüllte also die Schuldverpflichtung des Staates vollständig und umschiffte zugleich das Problem eines gerechten Verteilungsschlüssels.

    Heute ist das anders: wo früher das gesamte Staatsvolk für die Entschädigung der Kirchen aufkam, sind es heute gerade mal noch die zwei Drittel Kirchenmitglieder. Damit ist die absurde Situation entstanden, daß der Gläubiger zugleich die Aufgabe des Schuldners übernimmt und sich selbst befriedigt, während der Schuldner — gegen Gebühren — das Inkasso übernimmt. Das aber ist doch sehr ungerecht.

    Eine gerechte, aber unbefriedigende Lösung könnte die Erhebung einer allgemeinen Kirchensteuer von allen Bürgern sein. Befriedigender wäre vielleicht die Einrichtung eines Stiftungsfonds durch den Staat, wie es etwa in Polen geschehen ist. Daß eine Restitution im Sinne einer vollkommenen oder auch nur anteilsmäßigen Übertragung von Werten, aus deren Früchten die Kirche auch nur einen Teil dessen erhielte, was dem Staat das der Kirche weggenommene Gut einbringt, möglich wäre, kann ich mir hingegen kaum vorstellen.

    Natürlich ist es immer auch möglich, daß die Kirche einfach verzichtet. Das ist dann aber keine Frage, die der Staat zu beantworten hat, und auch keine, die auf dem Gebiet des Staatskirchenrechtes verhandelt werden könnte, sondern der Verzicht oder Nichtverzicht muß allein der Kirche als der Anspruchsberechtigten vorbehalten sein. Darum halte ich es nicht für sinnvoll, die Frage nach dem Nutzen der Kirchensteuer für das Staatsganze zu stellen. Die Kirche nützt schließlich immer allen, egal woher sie ihre Mittel hat.

    Angemessener als den Verzicht fände ich es persönlich, wenn die Kirche wieder zu einem Weg zurückfände, die ihr zur Verfügung stehenden gewaltigen weltlichen Mittel zur Ausübung ihrer Liebestaten zu verwenden, ohne die persönliche Armut und Demut der Kleriker zu korrumpieren.

    Dabei sollte ihr die Epistel des gestrigen Sonntages Richtschnur sein: „Ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine, wer weint, als weine er nicht, wer sich freut, als freue er sich nicht, wer kauft, als würde er nicht Eigentümer, wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht.“

    • Papsttreuer

      Vielen Dank für den Kommentar, der in der Tat auf eine Lücke in meiner Argumentation hinweist, deren Inhalt auch noch mal deutlich macht, wie unterschiedlich die Positionen von Atheisten und Christen sind:

      Als Christ sehe ich die Abschaffung der Kirchensteuer in der Tat nicht als einen Akt, den der Staat, der damit vertragsbrüchig würde, einfach entscheiden kann. Meine Argumentation geht ja dahin, dass das System der Kirchensteuer der Kirche mehr schadet als nutzt, und sie selbst ein Interesse an einer – nennen wir es mal so – geordneten Ablösung haben müsste. Atheisten dagegen werden eher argumentieren, dass die Rechtsgrundlage der Kirchensteuer und anderer staatlicher Mittel für die Kirche (die Sie in Ihrem Kommentar nicht angesprochen haben, es geht dabei ja nicht nur um die Kirchensteuer) nicht mehr relevant wäre – woran immer sie das fest machen wollen.

      Ich gebe zu, die Forderung „Abschaffung der Kirchensteuer“ ist in meinem Kopf noch nicht im Detail durchdacht, ich bin dennoch davon überzeugt, dass dies der richtige Weg wäre, den die Kirche einschlagen sollte. Ich verweise gerne auch auf meinem Beitrag im Buch Freiheitskeime 2015, einem „libertären Lesebuch“, in dem es insbesondere auch um die Frage geht, inwieweit die Kirchensteuer eigentlich eine Steuer ist im Gegensatz zu einer freiwilligen Leistung.

      Gottes Segen!

    • Herzlichen Dank für Ihre Antwort! Wie ich gerade beim nochmaligen Überfliegen merke, hatte ich mich etwas in Rage geschrieben; ich bitte um Verzeihung. Leider bin ich wegen meiner Lebenssituation dazu verdammt, die Kirchensteuer als Ganzes überall verteidigen müssen, und kann derzeit nicht die höhere Stufe erklimmen, mir mit irgend jemandem Gedanken machen zu können, wie es besser sein könnte. Ihr Buch klingt da auf jeden Fall interessant; ich hab‘ es mir gleich bestellt und bin gespannt.

      Auch Ihnen Gottes Segen und herzliche Grüße!

  2. A.I.

    „… Atheisten, die die angebliche Vorzugsbehandlung der Kirche, vergleichsweise geschichtsvergessen, kritisieren.“
    Neben der EKD und der RKK existiert keine Weltanschauungsgruppe, deren Mitgliedsbeiträge vom Staat eingetrieben werden – was soll daran ‚angeblich‘ sein? Und was heißt hier geschichtsvergessen? Sollte man nicht über zeitgemäße Modelle nachdenken?

    „Atheisten dagegen versuchen, die Religion aus dem öffentlichen Rahmen gänzlich zu verdrängen, da ist die Kirchensteuert eher ein kleines, wenn auch für sie ärgerliches Detail.“
    Nein, die Kirchensteuer ist ein größeres Ärgernis, da die Kirchen noch immer behaupten, sie würden damit die sozialen Einrichtungen tragen und weil der Staat durch die Absetzbarkeit der Steuer 3 000 000 000 Euro im Jahr verliert.

    „… vermutlich würden Atheisten, die die Gefahr erkennten, die ihrer Weltsicht durch die Abschaffung der Kirchensteuert droht, zu heftigsten Verfechtern dieses im Grunde glaubensschädlichen Instruments werden“
    Welche Gefahr denn bitte?

    • Papsttreuer

      Danke für den Kommentar, der mir die Möglichkeit zu einer Klarstellung bietet, die ich in einem kurzen Blogbeitrag nicht angebracht habe:

      Von „angeblicher“ Vorzugsbehandlung spreche ich, weil Kirchensteuer und staatliche Unterstützungleistungen eine ausgehandelte Kompensation darstellen. Insfofern greift der Vergleich mit anderen Weltanschauungen auch nicht. Dass man dabei allerdings über zeitgemäßere Formen nachdenken sollte, ist aber gerade der Inhalt meines Beitrags – ein Fan der Kirchensteuer bin ich bei weitem nicht, weder als gläubiger Katholik, noch weniger als Liberaler.

      Ob die Kirchensteuer ein großes oder kleines Ärgernis ist, liegt sicher im Auge des Betrachters; ich habe versucht, mich in einen Atheisten hineinzuversetzen und als solchem wäre mir doch eine Kirche, die zwar ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen lässt und andere Vorteile genießt, lieber als eine, die die Gesellschaft in allen Bereichen beeinflusst …

      … womit ich zum letzten Punkt komme: Als Katholik bin ich davon überzeugt, dass die bequeme Kapitalaustattung die Kirche unbeweglich gemacht hat. Mir erscheint die Kirche nicht mehr als ausreichend missionarisch. Alleine der Hinweis auf den sozialen Beitrag der Kirche (noch dazu nicht in dieser Höhe berechtigt) weist darauf hin, dass sich die Schwerpunkte ungesund verschoben haben. Daher ist meine Prognose, dass die Kirche – ohne Kirchensteuer – wesentlich besser in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen kann. Nähe zum Staat tut der Kirche nicht gut, entfernt sie sich davon, wird ihre Mission effektiver. Wenn Sie das als Atheist nicht als „Gefahr“ sehen, wäre es okay. Wenn ich gegen der Einfluss der Kirche in der Gesellschaft kämpfen würde, hätte ich aber in der Tat Sorge vor einer erstarkten wenn auch weniger finanzstarken Kirche.

      Herzliche Grüße und Gottes Segen!

    • Soweit ich weiß, gibt es sehr wohl einige Weltanschauungsgemeinschaften, die über EKD und Kirche hinaus noch Kirchensteuer erheben, die vom Staat beigetrieben wird, etwa die jüdischen Gemeinden, die Unitarier und die Altkatholiken. Andere, wie die Jüdische Gemeinde zu Berlin und die hiesige Hugenottengemeinde, nutzen ebenfalls die Möglichkeit, Kirchensteuer zu erheben, ziehen sie aber selbst ein, weil es für sie günstiger ist.

      Einige anerkannte muslimische Gemeinden, die Humanistenverbände und viele Freikirchen verzichten auf die Erhebung von Kirchensteuer, obwohl sie es dürften.

      Wo ist die Ungleichbehandlung?

    • A.I.

      Ja, da war ich wohl vorschnell. Pardon dafür.

      „Wo ist die Ungleichbehandlung?“
      Ich konnte leider nicht in Erfahrung bringen, ob Juden, Altkatholiken und Unitarier das sog. Kirchgeld in glaubensverschiedenen Ehen verlangen (der Humanistische Verband Deutschland tut es nicht) und ob die oben genannten Religionsgemeinschaften die Einstellung von Personal in ihren sozialen Einrichtungen von der Zugehörigkeit zur Religion abhängig machen, indem sie auf der Lohnsteuerkarte nachsehen.

    • Alle diese Anstalten sind sogenannte Tendenzbetriebe; sie haben alle das Recht, nur solche Mitarbeiter zu beschäftigen, die ihre Weltanschauung teilen oder zumindest nicht öffentlich ablehnen. Diese Frage hat allerdings mit der Kirchensteuer nichts zu tun.

      Insgesamt kann man aber nicht von Ungleichbehandlung sprechen, wenn in einer Gruppe manche auf ein ihnen zustehendes Recht verzichten, andere aber nicht. Da laufen Sie vielleicht etwas in die falsche Richtung.

    • A.I.

      Die Tendenzbetriebe sind, was die großen Kirchen angeht, nur auf dem Papier kirchliche Einrichtungen. Es kann nicht sein, dass die Kirchen (nahezu) nichts dazu beitragen, gleichzeitig aber bestimmen, wer eingestellt wird und wer flieg. „Wer die Musik bezahlt bestimmt die Melodie“

      (Die Kirchensteuer wird auf der Lohnsteuerkarte vermerkt, was es abzuschaffen gilt. Damit kann der Arbeitgeber nämlich sehen, ob man im ‚Verein‘ ist oder nicht.)

      Sollte es das besondere Kirchgeld in glaubensverschiedenen Ehen auch bei anderen Religionsgemeinschaften geben, werde ich meine Kritk gerne auf diese ausweiten.

  3. A.I.

    „Von “angeblicher” Vorzugsbehandlung spreche ich, weil Kirchensteuer und staatliche Unterstützungleistungen eine ausgehandelte Kompensation darstellen.“
    Eigentlich ist das egal (weil rechtlich unerheblich), aber trotzdem: Was für Kompensationen?

    „Insfofern greift der Vergleich mit anderen Weltanschauungen auch nicht.“
    Laut Gesetz können Körperschaften des öffentlichen Rechts Steuern erheben. Dass der Staat sie eintreibt ist aber nicht Teil der Gesetzgebung und dadurch genießen die Kirchen eine eindeutige Vorzugsbehandlung vor den anderen KdöR.

    „Ob die Kirchensteuer ein großes oder kleines Ärgernis ist, liegt sicher im Auge des Betrachters; ich habe versucht, mich in einen Atheisten hineinzuversetzen und als solchem wäre mir doch eine Kirche, die zwar ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen lässt und andere Vorteile genießt, lieber als eine, die die Gesellschaft in allen Bereichen beeinflusst …“
    Das ist doch eine falsche Dichotomie. Es ist auch möglich (und sogar sehr realistisch), dass die Kirchen die Gesellschaft in keinem oder nur wenigen Bereichen beeinflussen.

    „Daher ist meine Prognose, dass die Kirche – ohne Kirchensteuer – wesentlich besser in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen kann. Nähe zum Staat tut der Kirche nicht gut, entfernt sie sich davon, wird ihre Mission effektiver. Wenn Sie das als Atheist nicht als “Gefahr” sehen, wäre es okay. Wenn ich gegen der Einfluss der Kirche in der Gesellschaft kämpfen würde, hätte ich aber in der Tat Sorge vor einer erstarkten wenn auch weniger finanzstarken Kirche.“
    Das bezweifle ich doch stark. Selbst als die Caritas-Legende noch wenigen bekannt war, hatten die Kirchen mit einem immer stärkeren Mitgliederschwund zu kämpfen. Anfang der 50er waren noch über 90% der Deutschen in den Kirchen; Mitte der 90er wurde die 2/3-Marke unterschritten und in den letzten paar Jahren die 60%-Marke. In dieser Zahl sind neben den praktizierenden Christen auch unmündige Kinder, Caritas-Legende-auf-den-Leim-Geher, U-Boot-Christen und Zwangskonfessionalisierte enthalten. Dabei bekomme ich immer wieder mit, wie die Kirchen versuchen neue Mitglieder zu werben und es – offensichtlich – nicht schaffen. Verlören die Kirchen auch noch die finanzielle Unterstützung des Staates, wäre das wohl das entgültige (besser gesagt das offizielle) Aus für die „Volkskirchen“.

    „Herzliche Grüße und Gottes Segen!“
    Das hatten wir doch schon. Fänden Sie es nicht auch blödsinnig, wenn Ihnen ein Muslim ein frohes Zuckerfest wünschte? Sie hätten mir auch ‚Möge die Macht mit Euch sein‘ schreiben können.

    • Sie kennen sich offenbar mit der Kirchensteuer nur wenig aus. Wenn Sie sich schnell und leicht informieren möchten, kann ich Ihnen den entsprechenden Artikel in der Wikipedia empfehlen, der ist für den ersten Einstieg gar nicht schlecht. Auch der Artikel „Staatsleistungen“ gehört zum Themenkomplex und ist nicht uninteressant.

  4. Papsttreuer

    Da die Diskussion hier schon weiter gediehen ist, und ich nicht Auslöser für einen Rückschritt sein möchte, nur noch ein kleiner Hinweis: Falls das nicht deutlich geworden sein sollte, ich bin ein Gegner der Kirchensteuer, ich sehe es wie A.I., dass die Kirche nicht den Betrieb von „Tendenzbetrieben“ in den Vordergrund stellen sollte, da die Kritik an den dort getroffenen Regelungen wegen der Finanzierungsform nur allzu berechtigt ist. Inwieweit der Staat einseitig aus der Kirchensteuerregelung austreten könnte (kann er offenbar nicht), ist darüber hinaus für mich gar nicht der Punkt, auf den es mir ankommt.

    Die Hauptdifferenz liegt also wohl in der Frage, ob die Abschaffung von Kirchensteuern (und anderen staatlichen Verpflichtungen gegenüber den Kirchen) der Kirche nutzen wird – dieser Meinung bin ich, den Beweis muss ich aber – aus verständlichen Gründen – bislang schuldig bleiben.

    Meine Segenswünsche richte ich an alle, die sie annehmen wollen – ich würde mich von einem Moslem auch über gute Wünsche zum Zuckerfest freuen, und – auch wenn es bisweilen nicht den Eindruck machen sollte – habe genug Humor für einen Star-wars-Gruß :-)

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