Meine Frau meint: #regrettingmotherhood ernst nehmen!

Lesezeit 4 Minuten

Man kann über #regrettingmotherhood, das „Bereuen“ der Mutterschaft, jedenfalls wenn es öffentlich präsentiert wird, die Stirn runzeln. Pauschal urteilen verbietet sich aber.

Die Rubrik „Meine Frau meint“ hatte ich vor einigen Monaten mal aufgenommen und länger nicht mehr benutzt. Sie war gedacht für Hinweise meiner Frau zu meinen Beiträgen. Wie in vielen Ehen ist die Ehefrau die beste Kritikerin des Mannes – wohlwollend aber auch offen und ehrlich. Und als solche habe ich gestern zu meinem Beitrag „#regrettingmotherhood – #regrettingchildlessness – #regrettinganything?“ erst mal von ihr zu hören bekommen, dass wir da „mal drüber reden“ müssen.

Einerseits ging es dabei um ein Missverständnis: Ich bereue nicht, so spät Kinder bekommen zu haben. Gemeint war, dass ich, wenn ich denn etwas in dieser Richtung bereuen könnte, dann das. Ich dachte, ich hätte das klar gemacht, aber meine Frau ist da auf meiner Linie: Vielleicht hätten wir mit dem Wissen von heute früher Entscheidungen anders getroffen, das heißt aber nicht, dass wir unsere Entscheidungen bereuen. Es wird schon gut sein, so wie es ist und wir sind froh, dass Gott uns zwei wunderbare Kinder anvertraut hat. Reue ist – ich hatte es geschrieben – unproduktiv, und wir haben tatsächlich keinen Grund wehmütig auf unsere Vergangenheit zu schauen und uns eine andere zu wünschen.

Davon abgesehen ist das eigentliche Thema aber komplexer. Meine Einlassungen zur Hashtag-Kampagne #regrettingmotherhood sind zugegeben geprägt von einer generellen Abneigung gegen diese Art von Themenverbreitung. Die Parallele stellt für mich die damalige #aufschrei-Kampagne dar, die nur dazu führte, dass Frauen, die mal von einem Mann ein unerwünschtes Kompliment gehört haben, sich über eine sexuelle Belästigung beschweren konnten. Die damals, im Januar 2013  von Anne Wizorek aufgesetzte Kampagne ist für mich ein Prototyp des „Missbrauchs“ der sozialen Medien. „Missbrauch“ (in Anführungszeichen) deshalb, weil es natürlich nicht verboten ist, Twitter und andere Soziale Medien so zu benutzen, es gaukelt aber eine gesellschaftliche Realität vor, die so gar nicht existiert. Mit #aufschrei wurde der Eindruck erweckt, fast jede Frau sei schon mal Opfer sexistischer Übergriffe geworden und fast alle Männer hätten sich solcher Vergehen „schuldig“ (meist nicht im rechtlichen Sinne) gemacht.

Ähnliches vermute ich hinter #regrettingmotherhood, und möglicherweise habe ich es mir damit zu einfach gemacht. Denn meine Einschätzung, dass doch klar sei, was mit der Elternschaft ansteht, kann heute nicht mehr ganz so vorausgesetzt werden. Die Kommunikation über die Themen Geburt und Tod ist weitgehend abgeflacht, vielfach sind in familiären Patchworkkonstellationen auch keine hinreichenden Ansprechpartner für Frauen oder werdende Familien verfügbar, die vor und nach der Geburt unterstützen. So meinte auch meine Frau kurz nach der Geburt unseres Sohnes, sie wolle ihr altes Leben wieder haben: „Wann kann ich wieder ein Buch lesen, eine Mail schreiben, telefonieren, Freunde treffen … wenn ich es will!“ Objektiv war schon vorher klar, dass das „freie“ Leben eines Doppelverdienerhaushalts ohne Kinder vorbei sein würde – wie das dann in der Realität wirkt, auch auf die Psyche inklusive mehr oder weniger ausgeprägter Wochenbettdepression, darüber kann man nur spekulieren (ich als Mann sowieso).

In den meisten Fällen – so die Annahme – geht diese Phase vorbei und man kommt an den Punkt, wo man das neue, und gänzlich andere, Leben genießen kann. Dazu gehört aber eine eigene innere Einstellung, eine psychische Disposition genau so wie das passende Umfeld von Ehemännern, vielleicht Eltern und Schwiegereltern, Freunden, fürsorglichen Nachsorgehebammen etc.pp. Nicht auszuschließen, dass es auf diesem Weg zu Fehlern, zu falschen Abbiegungen kommen kann. Nicht auszuschließen, dass es eine nicht geringe Zahl von Frauen gibt, die aus unterschiedlichsten Gründen in einer Depression bleiben, sich zwar mit ihrem Kind, nicht aber mit ihrer neue Lebenssituation anfreunden können. Nicht auszuschließen, dass sich diese Situation über Jahre hinzieht, ohne dass die betreffende Frau eine Möglichkeit findet, das irgendwo zu artikulieren: Mütter nicht verfügbar, Freundinnen ohne Verständnis, Männer dito, und die Gesellschaft zumindest gefühlt mit dem hohen Anspruchdenken, eine Mutter müsse die perfekte Hausfrau, treusorgende Gattin, gleichzeitig erfolgreiche Geschäftsfrau und Managerin ihres und des Familienlebens sein.

Kommt dann eine Kampagne wie #regrettingmotherhood daher, wird sich die eine oder andere Frau auch ermuntert fühlen, sich Luft zu verschaffen: Ich liebe mein Kind, aber ich kann mich nicht mit meinem neuen Leben anfreunden! Es ist nicht mein Leben sondern das der Mutter dieses Kindes! Meine Kritik an einer Hashtag-Kampagne bleibt, denn ob es wirklich Zehntausende sind, die dieses Problem haben oder doch nur wieder ein Großteil der Beteiligten auf einen Zug aufspringt … wer will das beurteilen. Ich kann aber, gerade in Zeiten von Kita-Betreuung kurz nach dem Wochenbett, der Forderung nach „Frauen zurück in den Job“, der geringen Akzeptanz der Rolle der Familie generell und der Mutter im Besonderen, nachvollziehen, dass bei vielen Frauen ein Gefühl der Überforderung bleibt. Ob faktisch begründet oder nicht spielt dann übrigens keine Rolle.

Der – so möchte ich es mal eingrenzen – ernsthafte Teil von #regrettingmotherhood ist dann ein Gesellschaftsphänomen, das es früher möglicherweise wirklich nicht in der Form gab, in der noch familiäre Unterstützung von Familien und Müttern eine Selbstverständlichkeit war und niemand darauf geschielt hat, ob die Mutter auch schnell wieder zurück in den Job geht, dabei aber ihre Kinder ja nicht vernachlässigt. Diesen ernsthaften Teil von #rerettingmotherhood nicht ernst zu nehmen wäre – den Kampagnencharakter mit seinen Mängeln mal außen vor gelassen – ein fataler Fehler für die gesellschaftliche Entwicklung. Die Kunst wird darin bestehen, diesen Teil aus einer kurzlebigen Kampagne herüberzuretten in eine echte gesellschafftliche Diskussion, um eine Besserung für Mütter, Kinder und Familien zu erreichen.

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One Comment

  1. Pirkl

    Ich finde, Sie beide haben recht. Eine betagte Freundin, über 80, die in den 50er Jahren überlegte Ordensfrau zu werden, sich aber dann für Familie und Kinder entschied, sagte vor kurzem zu mir, heute hätten Frauen viel öfter seelische Probleme als damals. Grund sei nach ihrer Beobachtung, dass Frauen heute innerlich gespalten seien zwischen Beruf und Familie, egal wie sie dann äusserlich ihr Leben heute gestalten. Eine nachdenkenswerte Analyse.

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