Man kann beim Thema Streikrecht und Tarifeinheitsgesetz Politiker, Unternehmer und Gewerkschaften wie Arbeitnehmer verstehen … und doch sind sie alle im Unrecht!
Nach zwei Tagen Streik der Lokführer, der mich dazu gezwungen hat, mit dem Auto statt der Bahn zur Arbeit zu fahren, was wir familienintern glücklicherweise organisieren können, mich allerdings neben Fahrtkosten auch noch Parkgebühren gekostet hat, ist es vielleicht Zeit sich mal zurückzulehnen. Hintergrund dieses Streiks ist ja nach wie vor nicht, dass hier Mitarbeiter um mehr Lohn kämpfen, sondern das eine kleine Gewerkschaft das Recht erkämpft, für eine andere, an sich größere aber in ihrem Umfeld nicht führende Gewerkschaft den Tarifvertrag mit auszuhandeln. Das ist kompliziert und doch nur ein Vorgeplänkel, dass sich aus der anstehenden gesetzlichen Neuregelung des Tarifrechts, die unter dem Titel „Tarifeinheitsgesetz“ bekannt geworden ist, ergibt.
Was hat es damit auf sich: In aller Kürze – man korrigiere mich, wenn ich dabei Wesentliches vergesse – soll geregelt werden, dass je Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gelten soll, wohl der Vertrag der für den Betrieb mitgliederstärksten Gewerkschaft. Dass sich vor allem die Kleingewerkschaften dagegen wehren ist kein Wunder, sind sie doch häufig zwar an einer recht mächtigen Stelle eingesetzt – die Räder der Bahn stehen still, wenn deren starker Arm es will – würden dann aber unter die Fuchtel der Großgewerkschaft fallen, deren Tarifverträge übernehmen und sich auch an Friedenspflichten dieser Verträge halten müssen. Kurz: Es gäbe für solche Mitarbeitervertretungen keinen wirklich Zweck mehr, wenn man von der gewerkschaftsinternen Politik absieht.
Die Macht der Kleingewerkschaften ist es auch, die die Politik auf den Plan gerufen hat, ein solches Gesetz zu planen. Egal ob es Lokführer, Zugbegleiter, Piloten, wie jetzt gerade wieder aktuell Kita-Erzieherinnen oder wer auch immer sind: Streiken sie, ergeben sich erhebliche Probleme nicht nur für deren Arbeitgeber sondern auch für deren Kunden. Der Begriff der Erpressung ist dabei nicht mehr weit, wobei der sich juristisch kaum verwenden ließe: Es gibt in Deutschland, unter bestimmten Bedingungen, ein Streikrecht, das heißt Mitarbeiter können in den gewerkschaftlich organisieren Ausstand treten und dabei nicht gekündigt werden. Stehen also wegen eines Eisenbahnerstreiks irgendwann die Fließbänder in der Automobilindustrie still, dann kann daraus ein Rechtsstreit zwischen Bahn und Kundenunternehmen entstehen, die Mitarbeiter, vertreten durch die Gewerkschaften, tangiert das aber erst mal nicht.
Also wird die Lösung darin gesehen, nur noch eine Gewerkschaft zuständig, bzw. nur noch einen Tarifvertrag gültig sein zu lassen. Für die Unternehmen eine Verfahrenserleichterung, eine höhere Verbindlichkeit der Verhandlungsergebnisse inklusive, die Bedeutung der Kleingewerkschaften mit ihren aber im Zweifel in der Tat anders gelagerten Interessen als die des Großteils der Arbeitnehmer eines Betriebs fallen aber unter den Tisch. Ergebnis: Gewerkschaftsmonopole mit all den negativen Auswirkungen, die ein solches Monopol – nicht nur für die betreffenden Arbeitnehmer – dann hat.
Schaut man von außen auf diesen scheinbar gordischen Knoten könnte man auf den Gedanken kommen, alle hätten irgendwie Recht und man müsse nun nach einem Kompromiss suchen, sowas wie ein wie auch immer geartetes eingeschränktes Vetorecht der Kleingewerkschaften oder was auch immer einem in den Sinn kommen mag. Schaut man aber mit einer liberalen Brille darauf sieht man des Pudels Kern in einem anderen, bislang nicht in Frage gestellten Zustand: Wieso dürfen Mitarbeiter eigentlich überhaupt streiken? Dass sie als freie Menschen ihre Arbeit einstellen können, ist natürlich zugestanden, aber wieso sollte das ohne Konsequenzen bleiben? Zieht man diese Frage ins Kalkül sieht man schnell, dass es am Ende nicht um dieses oder jene Gehaltsprozent geht, sondern ganz profan um Macht! Und hier hat sich der Staat auf die Seite der scheinbar „Machtlosen“, die Mitarbeiter, gestellt und sie mit einem Streikrecht ausgerüstet, unter dem nun nicht nur die direkt bestreikten Unternehmen sondern auch deren Kunden, im Fall der Bahn Millionen von Fahrgästen leiden.
Dabei ist es erst mal unerheblich, ob die Fahrgäste das Anliegen möglicherweise teilen: Wer meint, die Gehälter von Lokführern, Stellwerksmitarbeitern oder Zugbegleitern seien zu gering, kann seinen Unmut beim Arbeitgeber kundtun, mit Boykott drohen, die Leistung nicht mehr in Anspruch nehmen: Kundenstreik! Dass das in aller Regel nicht passieren wird, deutet nur darauf hin, dass die meisten Verständnisbekundungen für Gehaltsforderungen darauf beruhen, dass man als Kunde das Geld ja nicht – zumindest nicht direkt – zahlen muss. Soll doch „die Bahn“, soll doch „die Bank“, soll doch „der Staat“ mehr zahlen. Dass die Rechnung am Ende wieder beim Kunden und Bürger landet, dazu fehlt bislang vielen noch die Phantasie.
Und in einer Welt ohne Streikrecht, gäbe es da keine Streiks, gäbe es keine Arbeitnehmerrechte mehr? Natürlich nicht, man würde sich nur an den tatsächlichen Marktverhältnissen orientieren. Der Preis für Arbeit würde sich wieder an der Knappheit und nicht an Machtfragen entscheiden. Der Preis für eine Leistung – eine viel zu oft im Rahmen um sich greifender Staats- und Sozialwirtschaft übersehene Binsenweisheit – orientiert sich nicht an den Kosten sondern umgekehrt: Was wir als Kunden für eine Leistung zu zahlen bereit sind muss wieder die Kosten bestimmen, damit auch die Gehälter der Produzierenden. Wird dieser Grundsatz außer Kraft gesetzt, werden entweder Unternehmen weniger wettbewerbsfähig oder eine ganze Branche wird plötzlich abhängig von staatlichen Regulierungen … und monopolartig verhandelten Tarifverträgen.
Wer also heute über die geringen Gehälter von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, Pflegekräften oder eben Lokführern Krokodilstränen vergießt, vergisst dabei, dass er sich nicht in einem marktwirtschaftlich ausbalanzierten System bewegt sondern in einem quasi-planwirtschaftlichen Korporatismus zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Regierung. So unglaublich es klingt: Wer gerechten Lohn für Lokführer will, der kann nicht nur für oder gegen das Tarifeinheitsgesetz sein, der muss gegen das bestehende Streikrecht sein, das weder Arbeitnehmer- noch Unternehmens- und schon gar nicht Kundeninteressen verteidigt.
Damit ist der eben angesprochene gordische Knoten natürlich aus heutiger Sicht nur dicker geworden. Ich bin nicht blauäugig genug zu glauben, dass die Abschaffung des Streikrechts auf der Agenda irgendeiner nach Wählerstimmen ernstzunehmenden Partei steht. Ich hoffe aber, dass zumindest deutlich geworden ist, dass Regulierungen wie das Tarifeinheitsgesetz nur eine Symptombehandlung ist, die das Grundproblem des Korporatismus nur verschlimmbessert! Mehr Gerechtigkeit, wie allenthalben gefordert, wird so nicht erreicht!
Pirkl
Den wirtschaftlichen Aspekten sei noch ein rechtlicher Aspekt hinzugefügt, der den Alltag, auch den der Politiker, immer mehr prägt. Dass nun ein Tarifeinheitsgesetz geschaffen werden soll, liegt daran, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner Rechtsprechung den von ihm selbst entwickelten, jahrzehntelangen Grundsatz von der Tarifeinheit aufgegeben hat. Es hat nach Jahrzehnten „entdeckt „, dass er in Gesetzen und Verfassung keine ausreichende Grundlage habe. Das ist ein immer häufiger zu beobachtendes Phänomen. Dinge, die bis vor kurzem rechtlich selbstverständlich waren, werden plötzlich anders gesehen. Die durch rechtliche Verwicklungen ausgelösten Politikerrücktritte sind nur ein weiteres Symptom dieser Entwicklung. Man kann das positiv oder negativ sehen. Eine Folge ist klar: es ist nix mehr fix. Nicht nur, wer morgen noch ein politisches Amt hat oder Manager ist, sondern auch mit welchem Fortbewegungsmittel man morgen zur Arbeit kommt oder wer morgen die Kinder betreut.
Papst Benedikt hat auch dieses Phänomen in seiner Rücktrittserklärung auf den Punkt gebracht: „rapidis mutationibus“.
Papsttreuer
Danke für den Kommentar. Ergänzen möchte ich noch, dass ich es gar nicht für problematisch halte, dass „nix fix ist“. Kritisch sehe ich, wenn der Auslöser der Veränderungen der Staat selbst ist, ein Monopolist vom Schlimmsten.
Gottes Segen!