Dass ich im Zusammenhang mit dem Bahnstreik mal etwas Positives über Claus Weselsky schreiben würde, hätte ich auch nicht gedacht.
Erst mal vorneweg: Der aktuelle Bahnstreik nervt! Eine ganze Nation, unbescholtene Kunden der Bahn, werden in Geiselhaft genommen. Das Problem dabei ist nicht nur, dass es bei diesem Streik nicht zuletzt um die Vertretungsfunktion anderer Bahnangestellter durch die GDL und das von der Regierung geplante Tarifeinheitsgesetz geht – es sich also zu einem nicht unerheblichen Teil um einen politischen Streik handelt – sondern auch, dass generell für den Kunden die „Schuldfrage“ schwer zu durchschauen ist. Beide Parteien zeigen mit den Fingern auf die jeweils anderen, denen vorgeworfen wird, sich nicht adäquat um eine Lösung zu bemühen und damit die Verantwortung für die weitere Eskalation zu tragen.
Stehen heute also Millionen Kunden am Bahnsteig weil Claus Weselsky eine Profilneurose auslebt oder weil er für die von ihm vertretenen Mitarbeiter einfach nur das beste Ergebnis erzielen will? Warten viele vergeblich auf den Anschlusszug weil die Bahn auf Zeit spielt oder weil die Forderungen der GdL einfach unvernünftig sind und man ihnen aus unternehmerischer Sicht nicht mit gutem Gewissen nähertreten kann? Als Marktwirtschaftler habe ich wenig Verständnis für Gewerkschaften, andererseits muss man anerkennen, dass sie, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden wollen, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen sollten.
Zu diesen Mitteln gehört in Deutschland das Streikrecht, was außerhalb der sogenannten „Friedenspflicht“ bedeutet, dass man als Arbeitnehmer unter bestimmten Bedingungen ohne Konsequenzen vertragsbrüchig werden kann. Über den Anstellungsvertrag hat man sich zur Arbeitsleistung verpflichtet, die man nun aber nicht mehr erbringt – zum Schaden zunächst mal des Arbeitgebers aber eben auch der Kunden oder Abnehmer, was im Falle von Zulieferungen dazu führen kann, dass ein „kleiner“ Streik ganze Branchen lahmlegen kann. Die streikenden Mitarbeiter erhalten Streikgeld statt Lohn oder Gehalt, sind aber vor weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt. Eine gut gefüllte Streikkasse, wie sie offenbar bei der GdL und ihren verbündeten Gewerkschaften vorliegt, macht einen Streik für die Belegschaft damit in weitem Umfang konsequenzenlos.
Claus Weselsky also: Wenn man ihn in den Interviews dieser Tage sieht, wie er den Wind auch von vermeintlichen politschen Freunden von schräg vorn bekommt, muss man davon ausgehen, dass er überzeugt ist von dem, was er tut. Die mediale Wiedergabe seiner Position ist eine mittelschwere Katastrophe, und wenn ihn Caren Miosga in den Tagesthemen zu einen Kommentar dazu verleiten will, dass er derzeit wohl der „meistgehasste“ Mann in Deutschland wäre, dann ist diese Beschreibung auch ein Ergebnis der Darstellung dieses Themas in den Massenmedien. Warum also sollte man ihm nicht abnehmen, dass er meint, das Beste für die Lokführer, die anderen Bahnangestellten, „seine“ Gewerkschaft, natürlich auch für sich persönlich zu tun? Ob es das wirklich beste ist, steht auf einem anderen Blatt, aber Handlungsfreiheit beinhaltet auch, Fehler machen zu können, selbst wenn die mehr als nur ihn persönlich betreffen. Und diese Handlungsfreiheit, den finanziellen und gesetzlichen Spielraum den er hat, nutzt er nun aus. Warum sollte man das kritisieren?
Sucht man also einen „Schuldigen“ für die jetzige Situation, wird man nur an zwei anderen Stelle fündig, nämlich im oben beschriebenen Streikrecht und in der Quasi-Monopolstellung der Bahn, die zwar formal eine AG ist, sich aber im Besitz des Bundes befindet. Es gibt für viele Kunden und Abnehmer aufgrund der geschichtlich bedingten Monopolposition keine Alternativen zur Deutschen Bahn AG (immerhin gibt es die in Teilen in privaten Bahnunternehmen, die sich über Zusatzumsatz freuen dürfen), und in Kombination mit dem Streikrecht führt das zum maximalen Schaden für die Volkswirtschaft, wenn an neuralgischen Punkten „gestreikt“ wird. Das ist das eigentliche Druckmittel, das Claus Weselsky und die GDL in der Hand halten. Das ist aber auch – zugegeben – das Druckmittel, dass die Bahn selbst in der Hand hält: Ausweichmöglichkeiten der Kundschaft sind kaum vorhanden, Preisanhebungen, die sich durch gestiegene Löhne und Gehälter argumentieren lassen, haben kaum Einfluss auf die Nachfrage. Die Leitung eines solchen Unternehmens in der Hand des Staates kann Tarifverhandlungen und sogar Streiks vergleichsweise gelassen entgegen sehen.
Die einzig Leidtragenden sind also die Kunden, die nun wahlweise auf die GdL und ihren Chef Claus Weselsky oder die Bahn und deren Personalvorstand Urich Weber schimpfen. Der Kern des Problems liegt aber nicht im Mächtespiel zwischen Bahnern und Bahn, Angestellten und Arbeitgebern sondern in der Einmischung der Politik in dieses austarierte Gefüge. Eine tatsächliche Privatisierung der Bahn einhergehend mit einer Aufhebung des Streikrechts – mindestens in seiner heutigen Form der Konsequenzenlosigkeit für die streikenden Arbeitnehmer – würde das Machtgefüge wieder vom Kopf auf die Füße stellen, die Interessen von Unternehmern und Arbeitnehmern in der richtigen Art und Weise zur Geltung bringen. Stellvertreterauseinandersetzungen wie dieser Streik zu Lasten der Kunden würden deutlich reduziert, wenn Kunden die realistische Möglichkeit hätten, einen anderen Anbieter auszuwählen. Der Druck sowohl auf Unternehmer wie Angestellte, eine Lösung zu finden, wäre ungleich höher als wir ihn heute bei der Bahn beobachten. Und ein deutlich eingeschränktes Streikrecht würde auch die Machtverhältnisse zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden wieder normalisieren.
Das alles ist nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen, der politische Prozess für Entwicklungen in die beschriebene Richtung werden sich deutlich komplizierter darstellen als mein „libertärer Elfenbeinturm“ das nachzeichnen kann. Aber Fakt bleibt: Überzeugungstäter wie Claus Weselsky wird man nicht mit Appellen, schon gar nicht mit persönlichen Verunglimpfungen, wie sie mir beim Warten auf die Bahn oder im durch den Streik verursachten Stau auch ab und zu in den Kopf und über die Lippen kommen, von weiteren Streikaktionen abhalten. Die einzige Möglichkeit, die uns als Kunden als Reaktion bleibt ist, auf Konkurrenten, wo es sie denn gibt, auszuweichen, und bei den nächsten Wahlen dafür zu sorgen, dass nicht wieder die Neosozialisten aller derzeit im Bundestag vertretenen Parteien das Ruder übernehmen. Dort sitzen die politisch und ursächlich Verantwortlichen für den Streik, die mit staatlichen Einmischungen zum vermeintlichen Wohle von Arbeitsnehmern und Unternehmen kritische Situationen nur verschärfen. Wenn Sie also morgen auf dem Bahnsteig schimpfen, dann nicht auf Weselsky oder Weber sondern auf Merkel und Gabriel.