Nach der gestrigen Sendung von Anne Will stellt sich eigentlich nur noch eine Frage: Glaubt Angela Merkel eigentlich noch selbst an ihr „Wir schaffen das“?
Es hätte ein Fest für einen Journalisten sein können: Eine Stunde gegenüber der Bundeskanzlerin sitzen und mit ihr alle Facetten der Flüchtlingskrise durchdeklinieren – welcher Moderator wünschte sich das in diesen Tagen nicht? Anne Will dagegen schien eher unvorbereitet und schlich wie ein zahnloser Tiger um die wesentlichen Fragen herum. Gleich nach dem Einstieg hatte ich mir schon die Frage gestellt, wie eine solche Sendung für eine Stunde tragen soll … und so ergebnisarm war sie denn auch.
Das kann man dem Gast, Bundeskanzlerin Merkel, nicht anlasten; sie hat, wie immer souverän, ihren Job gemacht. Sie beteuerte, dass sie (und sie meinte damit offenbar nicht nur bei der Frage sondern auch bei vielen anderen der Regierungsarbeit, sich persönlich) habe einen Plan, mir ist bis zum Ende aber nicht klar geworden, worin der außer der Forderung an andere EU-Staaten, es den Deutschen mit der Aufnahme von Flüchtlingen gleich zu tun, bestehen soll. Ich möchte nicht behaupten, dass das nicht jede Menge Arbeit ist („Ich denke den ganzen Tag über nichts anderes nach.“), aber die Erfolgsaussichten sind, betrachtet man die bisherigen Reaktionen, auch nicht ermutigend.
Zieht man dazu in Betracht, mit welchen dogmatischen Festlegungen Merkel argumentiert – nämlich: kein Aufnahmestopp, keine Grenzschließungen, keiner wird in das Erstaufnahmeland zurück geschickt, die nationalen Grenzen sind de facto nicht kontrollierbar – stellt sich dann am Ende die Frage, worin der Plan denn nun bestehen soll. Und bei all diesen Fragen sitzt der Bundeskanzlerin eine Journalistin gegenüber, die weder in der Lage war, den Wortschwall zu unterbrechen, noch ihre eigenen Fragen so zu formulieren, dass ihre Gesprächpartnerin zum Punkt hätte kommen müssen. Will man nicht Unfähigkeit unterstellen, ist es dann Absicht gewesen? Oder umgekehrt?
Denn wenn das alles so ist, wenn die Flut von Menschen erstens an den Grenzen Europas nicht aufgehalten werden kann, wenn zweitens Aktionen in den Herkunftsländern zur Ursachenbekämpfung wenn überhaupt nur sehr langfristig wirken, und man drittens die Menschen, einmal in die EU gelangt, nicht wirksam daran wird hindern können – und im Sinne der „Politik des freundlichen Gesichts“ offenbar auch nicht wollen – nach Deutschland zu kommen, dann ist die von Frau Will zweimal gestellte Frage, wie sich Deutschland verändern wird, elementar. Und insbesondere auf die hatte die Kanzlerin keine Antwort, die über die Beschwörung der Nachbarländer (als Antwort auf die zum ersten mal gestellte Frage) und der Hilfsbereitschaft im Inland, die in der Tat grandios ist (als Antwort auf die Nachfrage), hinausgehen. Der Wunsch mag vorhanden sein, aber ein Plan oder wenigstens Realismus sehen anders aus.
An vielen Stellen hat man nun gehört, die Bundeskanzlerin habe sich gut geschlagen, vor allem habe sie „mit dem Herzen“ gesprochen. Aber im Ernst: Niemand wird Bundeskanzlerin, der nicht mit solchen Interviews – insbesondere unter solch schwacher Führung – umgehen kann. Aber dass sie die aktuelle Dramatik durch kleine (Selfies) und große (De-facto-Abschaffung der Dubliner Vereinbarungen) Gesten mit verursacht hat, sieht Frau Merkel offenbar immer noch nicht ein. Insofern war da viel von notwendigen Änderungen im politischen Umgang mit dem Thema die Rede, so dass ich mich unwillkürlich frage, wer das Land denn seit 10 Jahren regiert? Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck gewonnen, dass sie die Lage richtig einschätzt, geschweige denn, dass sie, wie behauptet, einen Plan hätte.
Aber eines ist mir, gerade wenn man das restliche politische Personal betrachtet, gestern auch wieder klar geworden: Eine realpolitische Alternative zu Bundeskanzlerin Merkel ist auch nicht in Sicht. Es ist schlicht niemand da, der sich als Alternative anböte, der einen Plan aufweisen würde, der erfolgversprechender ist als das „freundliche Gesicht“ der Kanzlerin. Ein Freund meinte erst vor kurzem, dass ihn bei allem ihm sonst eigenen Optimismus die Sorge beschleiche, dass Deutschland diese Herausforderung möglicherweise nicht meistern werde. Die Sorge wird gestern nicht kleiner geworden sein!
akinom
Noch ein Spagat! Vielleicht hat Franziskus einen Plan…
Siegfried Simperl
Die exzessiven 16 Tage des Münchner Oktoberfests dürfen in diesen Zeiten als eine Insel der „Normalität“ gelten. Obwohl die Besucherzahlen des Vorjahres nicht erreicht wurden – manche scheuten wohl das durchwachsene Wetter und das Chaos an der Grenze – ist der Vollrausch vermutlich die adäquateste Reaktion auf die aktuelle Chaospolitik der Bundesregierung.
Genauer gesagt handelt es sich erneut um einen Alleingang von Angela Merkel, die bereits mit der „Dauerrettung“ des Euro und der „Energiewende ins Nichts“ den Rechts- und Vertragsbruch salonfähig machte. Nun der Abend bei Anne Will gefüllt mit Kuschelfragen. Dagegen wird selbst Putins Bürgerdialog – ich wage eine Prognose – als ein geradezu anarchistisches Format erscheinen. Die Sendezeit wäre mit einer kurzen Erklärung der Kanzlerin und einem anschließenden „Brennpunkt“ zu ihrem Rücktritt sicher besser gefüllt.
Pirkl
Auf einem papsttreuen Blog sollte die Meinung von Franziskus nicht fehlen. Daher hier ein paar Gedanken, die er vor dem US-Kongress am 24.9. äußerte :
Wir die Menschen auf diesem Kontinent haben keine Angst vor Fremden, denn die meisten von uns sind einst selber Fremde gewesen. Die ersten Kontakte waren oft turbulent… Dennoch dürfen wir, wenn ein Fremder eine dringende Bitte an uns richtet, nicht die Sünden der Vergangenheit wiederholen. Wir müssen uns jetzt entscheiden so grossherzig und gerecht wie möglich zu leben…Unsere Welt steht vor einer Flüchtlingskrise unerreichten Ausmaßes…Wir dürfen nicht über ihre Anzahl aus der Fassung geraten, sondern müssen Sie vielmehr als Personen sehen, ihnen ins Gesicht schauen, ihre Geschichte anhören…In einer Weise reagieren, die immer menschlich, gerecht und brüderlich ist. Wir müssen eine heute allgemeine Versuchung vermeiden, alles was stört, auszuschließen. Erinnern wir uns an die goldene Regel: Alles was ihr von anderen erwartet, das tut auch Ihnen (Mt. 7,12).