„Die große Verschwulung“ hält weder, was Titelworte noch was seine Kritiker versprechen. Und das ist auch gut so!
Kann man über Akif Pirinçcis Bücher noch etwas sagen, ohne sich von seiner (allerdings meist fehlzitierten) Pegida-Rede zu distanzieren? Muss man vorher eine Präambel setzen um sich von anderen Tonlagen des Autors abzugrenzen, bevor man sich endlich ans Werk der Sachbuchkritik machen kann? Muss man vorher deutlich machen, dass man die Wortwahl des Autors nicht schätzt, sich selbst weniger drastisch ausgedrückt hätte? Muss man politisch wachsweich an eine Rezension herangehen, weil man sonst in die gleiche Ecke gestellt wird, wie der Verfasser des Buches selbst? Wäre es für einen kleinen Blogger nicht sinnvoll, sich einfach in allen Punkten von Pirinçci zu distanzieren, anstatt sich überhaupt auf Inhalte des Autors einzulassen, der einen ansonsten ja doch nur zu einem nützlichen Idioten der „Neuen Rechten“ werden lässt?
Das alles könnte man machen, und dokumentierte damit doch nur, was Akif Pirinçci im Titel seines Buches bereits diagnostiziert: „Verschwult“ zu sein! Und schon die Anführungszeichen sind ein Witz, denn sie machen eine Distanzierung deutlich, die ich gar nicht vornehmen will. Sie sind aber notwendig, weil Akif Pirinçci in seinem Buch gar nicht gegen die Schwulen zu Felde zieht (eher schon gegen Lesben, aber auch das nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung). Ich hatte es bei meinem Beitrag zu Pirinçcis „Deutschland von Sinnen“, das den Untertitel „Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ trug, versucht deutlich zu machen: Pirinçci argumentierte auch dort nicht gegen Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer sondern gegen den Kult der darum gemacht wird. Und auch in seinem neuesten Buch geht es nicht in gegen Schwule sondern gegen die von ihm diagnostizierte Verweichlichung der Welt: „Wenn aus Männern Frauen werden und aus Frauen keine Männer“ ist in der Tat eine gute Zusammenfassung, die deutlich macht, worum es geht und worum nicht.
Warum aber dann der Titel? Allein aus Lust an der Provokation? Meine Interpretation ist eine etwas andere: Der Begriff der Verschwulung war noch bis vor kurzem anders geprägt. Als verschwult galt, was seiner männlichen Bestimmung, der erwarteten Härte und Durchsetzungskraft nicht gerecht wurde. Zu diesem Sprachbild führte ein Stereotyp des Homosexuellen als eher verweiblichten Typus Mann. Solche Stereotypen sind nicht sinnvoll, sie geben nicht die Komplexität der Wahrheit wieder, insofern ist es gut, dass sie keine Verwendung mehr finden. Aber sie waren jedenfalls in der Vergangenheit verständlich, wenn man die Entwicklung eines solchen Typ Mannes oder einer mit Männlichkeit assoziierten Sache beschreiben wollte. Und heute? Wer den Begriff der Verschwulung in den Mund nimmt, kann eine politische Karriere gleich vergessen. Er muss andere Sprachbilder suchen und wird doch nur weniger treffsichere Alternativen finden. Ist der Titel also eine Provokation? Ja sicher, aber eine für das Thema sehr gelungene.
Aber sprechen wir vom Inhalt: Pirinçci hält nicht viel vom Islam, das wissen wir nicht erst seit „Deutschland von Sinnen“ oder seiner Pegida-Rede. Er hält aber – nebenbei gesagt – ganz generell nicht viel von Religionen. Vermutlich kriegt das Christentum nur deshalb in seinen Büchern nicht sein Fett weg, weil es durch Institutionalisierungen und weitgehende Mainstream-Protestantisierung aus seiner Sicht ohnehin keine gesellschaftlich prägende Rolle mehr spielt, die über die Anerkennung grundlegender Regeln des Zusammenlebens und des Umweltschutzes hinaus geht. Eine mächtige Kirche in Deutschland wäre ein Sparringspartner nach Pirinçcis Geschmack … aber so?!
Pirinçci hält auch nicht viel von Frauen in der Armee; nicht weil er etwas gegen Frauen hätte, sondern weil er der zwar nachvollziehbaren aber dennoch politisch nicht mehr opportunen Meinung anhängt, Soldaten sollten körperlich bis an die Grenzen fit sein – und Frauen im Durchschnitt in der körperlichen Leistungsfähigkeit den Männern unterlegen sind. Pirinçci hält schon gar nicht etwas von einer Gleichmacherei wie sie im Gender Mainstreaming propagiert wird, von sexueller Frühaufklärung von Kita-Kindern oder der Einrichtung von Sonderrechten für eine der zig dort propagierten „Geschlechter“ bzw. „Gender“. Und fuchsteufelswild wird er, wenn eine solche Ideologie als angebliche Wissenschaft an Univeresitäten Einzug hält und Unsummen Geld kostet.
Darum geht es in dem Buch in der Hauptsache und daher auch hierzu das einzige Zitat, das ich in diese Rezension aufnehme; ich möchte schließlich nicht die Neugierde auf den Text zunichte machen:
Was ich jedoch aufdecken möchte, ist etwas anderes. Nämlich, wie eine selbsternannte Sozialingenieurskaste mit Dachschaden, ideologisch verstrahlt und von der Politik verharmlost, mittels irgendwelcher Diskriminierungswahnvorstellungen und im Namen der Befreiung des Sexus von einer herbeiphantasierten Not einen neuen Menschen ohne Moral, ohne Selbstverteidigungsreflexe gegenüber immer zahlreicher ins Land einfallenden Unkulturen, ohne Familienbindungen und ohne Ehrfurcht vor der kindlichen Unschuld zu züchten versucht.
Pirinçci hält auch nicht viel – keine Neuigkeit – von Friede, Freude, Eierkuchen, jedenfalls dann nicht, wenn es nicht angesagt ist. Flüchtlingsströme, angeblich nicht sicherbare Grenzen, Einwanderung in deutsche Sozialsysteme, mangelndes Bemühen um Integration der Zuwanderer, das sind Dinge, die ihn – mit teils drastischen Worten – umtreiben. Und nicht nur ihn: Je nach Umfragen teilen mehr als die Hälfte der Deutschen ein ungutes Gefühl bei der Zuwanderungsdebatte. Und wenn der Prozentsatz der Deutschen, die die politische Marschrichtung „Gender Mainstreaming“ kritisch sehen, unter diesen Werten liegt, dann deshalb, weil die meisten immer noch glauben, es ginge dabei um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, vielleicht noch die Verhinderung der Diskriminierung Homosexueller – schön wär’s und angenehme Träume weiterhin.
Pirinçci hält nicht viel von den Hütern der politischen Korrektheit, vor allem in den Medien, die dafür sorgen, dass Wahrheiten oder zumindest Meinungen kaum noch ungestraft ausgesprochen werden dürfen. Dass große Buchhändler in Deutschland „Die große Verschwulung“ ausgelistet haben, manche gar mit dem Gedanken einer Bücher-Shredderung spielten, wäre nicht mehr als eine Pointe des Buches, wenn es nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz des Autors beträfe.
Übrigens, ich habe das schon beim vorherigen Buch gemutmaßt, hält Pirinçci auch nicht viel vom Liberalismus, jedenfalls dann nicht, wenn er nicht für bestimmte Positionen eintritt. Er hat klare Vorstellungen davon, wie eine Gesellschaft aussehen sollte, seine Zielrichtung ist offenbar eher die eines starken denn eines Minimalstaats. Warum nicht wenige Liberale ihn als Helden sehen, erschließt sich mir darum nicht so ganz. Vielleicht liegt es nur daran, dass er sich nicht den Mund verbieten lassen will, für die freie Äußerung seiner eigenen Meinung eintritt. Zu einem Liberalen oder gar Libertären macht ihn das aber nicht.
Von all diesen Entwicklungen und Protagonisten hält Pirinçci nicht viel – aber von ihnen hält er noch tausendmal mehr, als von denen, die sich von den Entwicklungen überrennen lassen. Das ist der Grund für die wahrgenommene „Lautstärke“ des Buches, des Wutgebrülls, das darin zum Ausdruck kommt. Es sind ja nicht die Zuwanderer, die sich nicht integrieren, die das Hauptproblem darstellen, es sind nicht die Homosexuellen, die selbstbewusst für ihre Rechte (und darüber hinaus) kämpfen, es sind nicht die Frauen, die in männderdomonierte Berufe und Positionen streben, auch wenn sie ihnen körperlich objektiv nicht gewachsen sein sollten. Es sind auch nicht die Vertreterinnen des Gender Mainstreaming, die mit den Forschungsgeldern immerhin von der Straße weg sind und ein Auskommen gefunden haben, und sei es auch noch so abseitig. Das alles ist verständlich, aus der Sicht der Protagonisten nachvollziehbar: Politisch das herausholen was geht!
Das wahre Problem sind diejenigen, die zu alldem in vorauseilendem Gehorsam „Ja und Amen“ sagen, ohne innere Überzeugung, aber mit der Angst, sich sonst mit einer Meinung in die Nesseln setzen zu können. Das Problem sind diejenigen, die bedenkliche Entwicklungen durch ihr Schweigen und beifälliges Nicken erst ermöglichen und verstärken. Das Problem sind diejenigen, die sich lieber von Vertretern der gleichen Meinung wie der ihren distanzieren, als sich gemeinsam mit ihnen in eine politische Ecke drängen zu lassen, in die sie lieber nicht geraten wollen. Die aus – teilweise berechtigter – Furcht vor gesellschaftlichen Konsequenzen lieber den Schwanz einziehen, als auch nur ein Wort auszusprechen, das so nicht auch ein Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache hätte sagen können. Zum wahren Problem gehören im Zweifel wir alle … jedenfalls wäre es nicht verkehrt, sich an die eigene Nase zu fassen.
Akif Pirinçci wird von einigen Seiten, in manchen Worten auch von sich selbst, als Opfer betrachtet und das ist er auch, allerdings anders als man meinen könnte: Er ist nicht das Opfer von Tagesschau oder Spiegel, weder das Opfer von Claus Kleber, Moderator des heute journals, noch das von Ralf Kleber, Deutschland-Chef des Buchversenders Amazon. Er ist weder das Opfer von Medien noch von Lobbygruppen noch von Politikern aller Couleur. Er ist das Opfer all jener, die im Grunde seine Meinung oder zumindest seine Skepsis zu vielen gesellschaftlichen Entwicklungen teilen aber lieber schweigen. Er ist ein Opfer derjenigen, die lieber die Klappe halten oder beifällig blökend zuschauen, wenn einer wie er über das normale Maß der Kritik hinaus fertig gemacht wird.
Und wenn man das mal so sieht, dann kann man über die in den Tiraden versteckten Wortwitze und Anspielungen herzhaft lachen, über die exakten, teils satirischen Formulierungen, die sich deutlich gegen allzu dumpfe Propaganda jedweder politischen Seite abgrenzen, staunen und einfach mal darüber nachdenken, warum ein Buch wie dieses und ein Autor wie er eigentlich in Deutschland einen solchen Furor hervorrufen. Akif Pirinçci ist kein Redner, Fernsehinterviews sind ebenso wenig seine Welt wie Pegida-Bühnen. Seine Provokationen funktionieren in Text- und Buchform, „live“ klingen sie bestenfalls langweilig, schlimmstenfalls nach Stammtisch. Aber um das scharfe Schwert seines Wortes wäre es schade, wenn seine Bücher vom deutschen Markt verschwänden.
Und vor dem Hintergrund – vielleicht gerade rechtzeitig, weil es sich aufgrund der Darstellung des Heiligen Sebastian (die leider im Buch nicht erläutert wird) in Verbindung mit dem Inhalt nicht zwingend für den Gabentisch eignete – empfehle ich das Buch gerne zur Lektüre zum Jahresanfang. Vielleicht kommt ja ein guter Vorsatz dabei raus?!
Weitere Rezensionen auf dem PAPSTTREUENBLOG:
Konrad Kugler
Und die, die das alles als Politiker betreiben und durchdrücken, darf man natürlich nicht als Volltrottel bezeichnen.
Theodred
Hm. Eigentlich habe ich mehrere Texte von ihm gelesen und sein „Haudrauf“ Vokabular hat mich ziemlich abgeschreckt.
Vielleicht werde ich aber nach diesem Text doch mal reinlesen und mir eine ausführlichere Meinung bilden, wenn ich irgendwo die Chance habe.
Danke für die ausführliche Besprechung eines Buches, dass ich bereits vom Radar gelöscht habe.
Papsttreuer
Danke für den Kommentar, Theodred. Das Vokabular ist auch in diesem Buch, wie auch bei „Deutschland von Sinnen“ deftig; ich hatte allerdings damit gerechnet und befürchtet, dass Pirincci da noch mal draufsatteln würde. Meinem Eindruck nach ist das neue Buch eher sachlicher formuliert als das vorherige. Ich würde es allerdings nicht als „schöngeistiges“ Werk bezeichnen, aber das Buch ist besser als sein (und des Autors) Ruf.
Gottes Segen!