8 Comments

  1. Andreas

    Ich gebe zu, dass die Geschichte von Lazarus einer der Teile der Bibel ist (allerdings Lutherbibel, ich weiß nicht, ob das den Gehalt der Geschichte abändert), die mich bei meinem gelegentlichen Studium dazu bringen, das Buch der Bücher verärgert und enttäuscht wieder an seinem Platz ins Bücherregal zu stellen.

    Für mich wurde an der Geschichte nicht ersichtlich, dass der gerade feiernde Reiche, sich überhaupt bewusst war, dass der sieche Lazarus vor seiner Schwelle lag und von den Hunden beleckt wurde.

    Das er ihm also nicht hätte helfen wollen, wurde hier gar nicht thematisiert.

    Im Jenseits später leidet der Reiche in der ewigen Verdammnis, während Lazarus nun derjenige ist, dem es wohlergeht.

    Der Reiche bittet nun – seiner ewigen Verdammnis gewärtig – wenigstens seine Angehörigen vor seinem Schicksal zu warnen, obwohl er die fürchterlichste Strafe erleiden muss, die überhaupt vorstellbar ist, bittet er nicht für sich.

    Wie denn, wenn nicht so, müsste man sich Großherzigkeit und Nächstenliebe vorstellen? Die Reaktion hierauf ist dann ein einfaches „bringt eh nichts“.

    Für mich hat diese Geschichte eher etwas mit Unbarmherzigkeit zu tun, aber vielleicht verstehe ich sie ja auch nur nicht.

    Das gleiche gilt für mich, wenn es um heute praktizierte Barmherzigkeit geht.

    Ich finde in der Schrift keinen Anhalt für das rechte Maß.

    Und irgendwie scheinen Kirchenobere – unabhängig von der Konfession, sich solche Fragen auch eher weniger zu stellen, wenn ich höre das sowohl Frau Kässmann als auch katholische Bischöfe einen Phaeton für das geeignete Fortbewegungsmittel halten.

    Sollte ich mich da überhaupt sorgen (ok, rhetorische Frage, natürlich sorge ich mich)? Und was heißt das denn jetzt in der Praxis?

  2. Mediävistin

    Vielleicht kann ich im Hinblick auf die Lazarus-Geschichte weiterhelfen. Ich konnte mit ihr früher auch nicht viel anfangen – bis ich im Studium eine Hausarbeit darüber schreiben musste. Obwohl ich ’nur‘ Religionswissenschaftlerin und keine Theologin bin, hatte ich kurz vorher mein Graecum gemacht, konnte mit dem Text also auch in der Originalsprache arbeiten. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihnen übrigens sagen, dass die Luther-Übersetzung gar nicht so schlecht ist, auch wenn es bei manchen Ausdrücken durchaus alternative Übersetzungen gäbe. Der Sinn wird aber nicht verfälscht.

    In Sachen Textauslegung will ich eigentlich nur drei Punkte herausgreifen, die m. E. zeigen, dass der reiche Mann durchaus seine Chance hatte (auch wenn Gott ihm aus menschlicher Sicht vielleicht noch mehr hätte einräumen sollen – ich weiß es nicht)
    1. Der reiche Mann gibt zu erkennen, dass er Lazarus namentlich kennt (Lk 16, 24), ihn also bereits zu Lebzeiten durchaus bemerkt haben dürfte, und ist dann noch so dreist, ihn wie einen Diener zu sich zu bestellen, um ihm die Zunge zu kühlen.
    2. Der reiche Mann spricht Abraham als Vater und dieser ihn als Sohn an, wodurch beide unmissverständlich zu erkennen geben, dass der reiche Mann zum Volk Israel gehört, also Jude ist (z. B. Lk 16,24 und 25). Da die jüdische Religionszugehörigkeit zu dieser Zeit auch ganz stark als Volkszugehörigkeit begriffen wird, darf man voraussetzen, dass der Reiche schon von Kindesbeinen an in seinem gesamten Umfeld mit religiösen Vorstellungen und Geboten konfrontiert wurde. Und das führt zu Punkt 3:
    3. Abraham verweist zweimal darauf, dass die Brüder des reichen Mannes „Mose und die Propheten“ hätten (Lk 16,29 und 31). Gemeint sind die 5 Bücher Mose, die für das Volk Israel Gründungsdokument und Gesetzbuch zugleich sind, und die prophetischen Bücher des Alten Testaments, die fortwährend dazu mahnen, sich an Gottes Gebote zu halten. Insofern wussten der reiche Mann und seine Brüder sehr wohl, was Gott in Bezug auf die Armenfürsorge von ihnen erwartet, und haben sich trotzdem nicht daran gehalten.

    Der Witz an der Geschichte ist doch eigentlich, dass hier noch die Annahme geäußert wird, Menschen, die Mose und die Propheten kennen und sich von deren Ermahnungen nicht überzeugen lassen, würden sich auch angesichts einer Auferstehung von den Toten nicht bekehren. Und ein paar Kapitel später wird dann erzählt, dass Gott sogar diesen ‚absurden‘ Weg geht, indem Christus von den Toten aufersteht.

    Die Geschichte macht zwar immer noch nachdenklich, aber ich glaube, Sie ist nicht so ungerecht, wie Sie Ihnen, Andreas, erscheint. Denn zumindest geht aus dem Text ziemlich klar hervor, dass der Reiche Gottes klare Gebote und alle Möglichkeiten zum Helfen hatte und es trotzdem nicht getan hat.

    • Andreas

      Nun, dass ist ja der Grund, weshalb ich als Nichtkatholik in der katholischen Blogwelt unterwegs bin. Man trifft hilfsbereite und kenntnisreiche Menschen, die einem in Fragen des Glaubens gerne weiterhelfen.

      Haben Sie vielen Dank fuer Ihre Ausfuehrungen.

      Das Problem, dass ich weiter sehe, ist zu verstehen, was das im täglichen Leben praktisch bedeutet.

    • Mediävistin

      Danke für das Kompliment. Ich bin übrigens auch nicht katholisch, sondern evangelisch-lutherisch. In die ‚Blogoezese‘ bin ich geraten, weil ein katholischer Studienfreund von mir ebenfalls hier mitbloggt. Da ich insgesamt mehr mit Leuten anfangen kann, die ihren Glauben ernst nehmen und davon überzeugt sind als mit solchen, die wachsweich alles irgendwie gleich gut und anerkennenswert finden, lese ich einige der katholischen Blogs inzwischen sehr gerne, u. a. auch diesen.

      Was die abschließende Auslegung bzw. den Nutzen fürs tägliche Leben betrifft, kämpfe ich auch immer noch mit der Lazarus-Geschichte, weil mir deren Drohszenario nicht sehr behagt: „Wenn du den Armen auf deiner Türschwelle ignorierst, könnte es dir im Jenseits wie dem reichen Mann gehen“ – das hat was von schwarzer Pädagogik.

      Insgesamt muss man sicherlich in Rechnung stellen, dass Armut und Reichtum d a s große Thema des Evangelisten Lukas ist und er Jesus immer wieder sagen lässt, um ihm nachzufolgen, müsse man allen weltlichen Reichtum hinter sich lassen und ihn den Armen geben. Die anderen Evangelisten setzen da durchaus abweichende Schwerpunkte, auch wenn Armenfürsorge, Barmherzigkeit und Nächstenliebe bei allen eine Rolle spielen.

      Ich denke, die Geschichte soll tatsächlich eine Mahnung sein, dass wir Menschen nur so lange Zeit haben, uns mit Gottes Geboten durch Bibellektüre und entsprechendes Handeln auseinander zu setzen, wie wir tatsächlich hier auf dieser Erde leben, also noch nicht gestorben sind. Wir alle sind gewissermaßen die Brüder des reichen Mannes.

      In der Lazarus-Geschichte ist das Motiv des Hörens (griech. ‚akousein‘) auf Mose und die Propheten ganz zentral. Und wenn der reiche Mann sagt, seine Brüder würden durch die Wiederkunft des Lazarus vielleicht Buße tun (Lk 16,30), steht dort im Griechischen ‚paranoiein‘, das heißt, „sich umwenden, sich bekehren“.

      Es geht also nicht darum, dass wir jedem Armen aus Angst vor unserem jenseitigen Schicksal helfen sollen (auch wenn das angesichts der Tatsache, dass Lukas uns diese Geschichte überhaupt erzählt, auf einer Metaebene dann doch eine Rolle spielt …). Trotzdem zeigt die Geschichte, dass dieser Gedanke, den ja auch der reiche Mann hat, im Grunde falsch ist: „Meine Brüder müssen gewarnt werden, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen.“ Müssen sie aber gar nicht. Es reicht, Mose und die Propheten zu lesen, auf sie zu hören und sich zur Umkehr bewegen zu lassen. Konkret äußert sich das darin, dass wir den Armen in unserem Umfeld, quasi auf unserer Türschwelle, helfen. Wie diese Hilfsmaßnahmen aussehen können und wer hier unser Nächster ist, dafür bietet die Bibel, glaube ich, genügend Beispiele.

      P.S.: Ich bitte um Entschuldigung, dass mein Post schon wieder so lang geworden ist und eigentlich etwas von Herrn Honekamps lesenswertem Artikel wegführt, aber ich wollte mich Andreas gegenüber nicht um eine Antwort drücken, da ich seine erste Frage bereits aufgegriffen hatte.

  3. Konrad Kugler

    Es geht um die Lebenshaltung des Prassers, jedes Ideologen, jedes „Narren“.

    Nicht das feine Essen und das, was er sich sonst leisten kann, sind sein Untergang, sondern seine rein materialistische, auch sentimentale Ichbezogenheit.

    Diese Menschen brauchen externe Hilfe: Die Rosenkranzbeter.

  4. Midas

    Das ist ein interessantes Thema, denn die Frage nach den Grenzen der Barmherzigkeit im Sinne der eigenen Existenz werden Sie auf diesem Wege nicht beantworten können, Herr Honekamp. Ich bin der Meinung, daß unsere christliche Moral ins Gegenteil verfälscht wurde. Und im Ist-Zustand ist diese Transformation die Hauptursache für den Mitgliederschwund der Kirchen. Die Sozialisten und ihre Sympathisanten haben aus einer Moral für das Leben quasi eine Moral des Todes gemacht, nach der die einzige Voraussetzung für den Anspruch auf Nächstenliebe der Grad der Bedürftigkeit ist und Leistung, Können und Schaffenskraft automatisch Opferbereitschaft, „Barmherzigkeit“ und Verpflichtung zum Transfer implizieren. Damit gebietet dieser Moralkodex jedoch einen permanenten Wertetransfer von den Werten des Lebens (Fleiß, Leistung und Schaffenskraft) hin zu Werten des Todes (Faulheit, Parasitentum etc.)
    Diese Art von Liebe jedoch kann Gott nicht gemeint haben, denn Liebe bedeutet „Wert“-Schätzung. Also muß sich der Empfangende einer solchen Liebe auch als „wert“ erweisen. Zwar hat Gott jedem Menschen vorbehaltlos seine Liebe vor allem durch das Opfer Jesu „vorgeschossen“, dies aber als eine Chance. Ein lebenslanger Transfer hin zu Faulheit und Unfähigkeit kann damit unmöglich gemeint sein. Das versteht zurecht kein Mensch. Klar ist das gefährlich, denn es könnte implizieren, daß es Menschen gäbe, die der Nächstenliebe nicht würdig seien. Und diesen Punkt habe ich auch noch nicht zu Ende durchdacht. Fest steht jedoch, daß Liebe grundsätzlich und in der Regel immer eine Wertschätzung ist und nicht mehr als Hilfe zur Selbsthilfe und nicht „Almosen“ sein darf. Und ich sage nicht, daß es wertloses Leben gibt. Wohl aber Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, durch ihr Verhalten die Welt auf den Kopf stellen und darum muß Solidarität immer freiwillig und eigenverantwortlich bleiben. Denn wenn ein Mensch das Recht und die Freiheit hat, nichts aus seinen von Gott gegeben Gaben zu machen und sein Leben zu vergammeln, dann hat auch ein Christ die Freiheit, ihm NICHT zu helfen.
    In dieser Hinsicht ist das Buch von Ayn Rand „Der Streik“ unglaublich inspirierend, selbst wenn man nicht alles teilt, was sie sagt. Aber es ist unglaublich klug, vor allem die „Abrechnung“ am Ende. Und wenn es uns nicht gelingt, das, was sie zurecht anmerkt unter den Hut der christlichen Moralvorstellungen zu bringen, werden wir verlieren. Immerhin hat Gott den Menschen „nach seinem Bilde“ erschaffen und diesen Satz sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Gott hat den Menschen als sein Ebenbild erschaffen und ihn deshalb mit Freiheit und „Schaffenskraft“ ausgestattet und der Verpflichtung, aus dieser Gabe etwas Sinnvolles zu machen.
    Und die Wurzel aller Sünde ist der Hochmut, egal, ob in Reichtum oder in Armut. Der Arme ist Gott dabei nicht näher, nur weil er nichts besitzt! Der Hochmütige, der glaubt, keinen Gott zu brauchen und selbst Gott spielt, entfernt sich in dieser Hinsicht genauso weit von Gott, wie derjenige, der faul und nichtsnutzig in der Ecke hockt, und „den lieben Gott einen guten Mann sein läßt“. Das von Gott gegebene menschliche Handeln in immer zweckbestimmt. Der Mensch handelt, um dadurch Stück für Stück etwas glücklicher zu werden. Reichtum und Geld sind deshalb kein „Teufelszeug“ und Quell der Sünde, sondern Maß und Lohn für die von Gott gegebene Schaffenskraft. Denn Reichtum und Geld entstehen in freier Marktwirtschaft nicht dadurch, daß anderen etwas weggenommen wird, sondern werden durch Produktion und freien Handel generiert. Und zum freien Handel gibt es nur eine Alternative: den KRIEG.
    „Gott ist nicht die Verpflichtung, auf alles zu verzichten, sondern die Gewissheit, dass es uns am Ende an nichts mangeln wird.“ (Dávila)
    Nicht der Reichtum, sondern die Moral der Reichen wird von Christus kritisiert, weil es ihr oft an Demut fehlt, vielleicht, weil, derjenige, der von sich behauptet, alles richtig gemacht zu haben und stets das Richtige zu tun, anfälliger für den Hochmut ist. So wie auch der Intelligente sehr viel mehr Dummheit, als der „geistig Arme“ produziert, denn Intelligenz und Klugheit kommen selten gemeinsam und jemand mit wenig Intelligenz kann dabei unerhört klug sein.
    In der Bibel geht es aber NICHT um die sozialen Probleme der Armen und
    „Weder gründet die Religion in der Notwendigkeit, die Solidarität in der Gesellschaft zu sichern, noch wurden die Kathedralen gebaut, um den Tourismus zu fördern.“(Dávila)
    Und: “Die geistige Reife beginnt, wenn wir aufhören, uns für die Welt zuständig zu fühlen.“ (Dávila)
    Denn wir sind Christen, keine linken Mystiker und Komplizen der Sozialisten!
    In diesem Sinne ist der derzeitige Papst auf dem Holzweg!

  5. Ich möchte an dieser Stelle nicht nur Herrn Honekamp für seinen interessanten Beitrag danken, sondern auch den Kommentarschreibern. Da war dieses Mal sehr viel Erhellendes dabei. Nochmals Danke dafür!

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