Zur Vergebung gehört die Sünde – Erstere hätten wir gerne, aber das Bekenntnis der letzteren gehört dazu.
Barmherzigkeit ist ein Dauerbrenner – wie mir scheint nicht nur wegen des Jubiläumsjahres, sondern generell. Immer mehr komme ich zu dem Schluss, dass dieses Jahr der Barmherzigkeit wirklich notwendig ist, um sich selbst – und der Welt – die wahre Bedeutung der Barmherzigkeit wieder deutlich zu machen. Jeder scheint eine Vorstellung davon zu haben, was Barmherzigkeit bedeutet: Manche missverstehen sie als Toleranz oder gar Akzeptanz der Sünde, andere als Laissez-faire Gottes, wieder andere legen an die göttliche Barmherzigkeit die eigenen, sehr menschlichen Maßstäbe an, die sehr eng ausfallen; bei mir persönlich besteht eher die Gefahr zu letzterem. Aber es wird auch diverse Mischformen geben, vielleicht abhängig davon, wo einem welches Verständnis von Barmherzigkeit „am besten in den Kram passt“.In seiner Katechese vom 30.03.2016 spricht der Papst erneut über dieses Thema, erneut auf Basis des Alten Testaments – von dem viele meinen, Barmherzigkeit käme darin kaum vor -, diesmal mit Hilfe des Miserere genannten Bußpsalms 51, der im Stundengebet wöchentlich am Freitag in der Laudes gebetet wird. Zunächst beschreibt der Papst den dramatischen Hintergrund vor dem König David dieses Gebet spricht, dessen er sich auch bewusst ist (Zitate hier wie im folgenden von Zenit):
Der „Titel“ dieses Psalms nach der alten jüdischen Tradition nimmt Bezug auf König David und dessen Ehebruch mit Betsabea, der Frau des Hethiters Uri. Die Handlung ist uns gut bekannt. König David, der von Gott dazu berufen wird, das Volk weiden zu lassen und es auf den Weg des Gehorsams gegenüber dem göttlichen Gesetz zu führen, ist seiner Mission untreu. Nach dem Ehebruch mit Betsabea lässt er deren Ehemann töten. Welch schlimme Sünde! Der Prophet Nathan führt ihm seine Schuld vor Augen und hilft ihm, sie zu erkennen. Dies kennzeichnet den Moment der Versöhnung mit Gott im Bekenntnis der eigenen Schuld. Darin war David demütig und zeigte Größe!
Das Beispiel ist für uns heute vielleicht auch deshalb so interessant, weil wir versucht sind, diese Sünden weit von uns zu weisen: Ehebruch begehe ich nicht, und ermorden tue ich schon gleich gar niemanden! Aber anstatt auf diese Relation zu schauen, ist es das Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes, die hier den Maßstab vorgibt:
Wer mit diesem Psalm betet ist dazu eingeladen, von der gleichen Gesinnung der Buße und des Vertrauens in Gott wie David getragen zu werden, als er sein Unrecht bereute. Obwohl er ein König war, handelte er demütig und fürchtete sich nicht vor dem Bekenntnis seiner Schuld und der Offenlegung seines Elends vor dem Herrn, von dessen Barmherzigkeit er jedoch überzeugt war. Die von ihm begangene Sünde war nicht so leicht wie eine kleine Lüge: es handelte sich um Ehebruch und Mord!
Wenn David darauf vertraute, vertrauen durfte, dass Gott ihm vergibt, wieso zweifle ich dann daran, dass er mir meine (vermeintlichen) Kleinigkeiten vergibt? Der Psalm macht mit seinen Worten zur Reinigung, mit seinem Wunsch, beinahe seiner Aufforderung zur Gnade, das Verhältnis der Sünde zur Barmherzigkeit mehr als deutlich. Oder wie es der Papst in der Audienz auf seine ihm eigene Art deutlich macht:
Vergessen wir niemals: Gott ist größer als unsere Sünde! „Vater, ich kann nicht darüber sprechen, ich habe viel Schlimmes angerichtet!“ Gott ist größer als alle Sünden, die wir begehen können. Gott ist größer als unsere Sünde. Wollen wir es gemeinsam sagen? Alle zusammen: „Gott ist größer als unsere Sünde!“ Noch einmal: „Gott ist größer als unsere Sünde!“ Noch einmal: „Gott ist größer als unsere Sünde!“ Seine Liebe ist ein Ozean, in den wir uns versenken können, ohne Angst zu haben, unterdrückt zu werden: Die Vergebung bedeutet für Gott, uns die Gewissheit zu geben, dass er uns nie verlässt. Was auch immer wir uns vorwerfen, er ist immer noch und immer größer als alles (vgl. 1 Joh 3.20), denn Gott ist größer als unsere Sünde.
Großartig auch die Worte des Papstes, die er zur Würde des Sünders, die ihm die Vergebung Gottes verleiht findet. Manch einer betrachtet die Beichte und die Vergebung eher als ein Zeichen der „Schuldzentrierung“ der Kirche, mit der die Menschen klein gehalten werden sollen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Sünde macht den Menschen klein, die Vergebung Gottes, die die einzige wirklich wichtige Vergebung ist, verleiht ihm seine Würde zurück:
Wir Sünder werden durch die Vergebung zu neuen Geschöpfen, die vom Heiligen Geist und von Freude erfüllt sind. Nun beginnt eine neue Wirklichkeit für uns: ein neues Herz, ein neuer Geist, ein neues Leben. Wir Sünder, denen vergeben worden ist, haben die göttliche Gnade empfangen und können sogar andere lehren, nicht mehr zu sündigen. „Aber Vater, ich bin schwach, ich falle und falle!“ Nun, wenn du fällst, steh auf! Steh auf! Was tut ein Kind, wenn es hinfällt? Es hält der Mutter oder dem Vater die Hand hin, sodass er oder sie ihm beim Aufstehen hilft. Machen wir es genauso! Wenn du aus Schwäche der Sünde verfällst, halte deine Hand dem Herrn hin, der sie nimmt und dir hilft, aufzustehen. Das ist die Würde der göttlichen Vergebung! Die Würde, die uns die Vergebung Gottes verleiht ist jene, aufzustehen, uns auf die Beine zu stellen, denn er hat den Mann und die Frau erschaffen, damit sie stehen können.
Man könnte das Bild des Kindes noch weiter spinnen: Das kleine Kind fällt immer mal wieder, zu Beginn häufiger. Aber erstens lernt es, immer besser zu stehen (auch wenn es nie, auch als „Erwachsener“ nicht, aufhören wird zu fallen), und zweitens erlernt es Vertrauen in die Mutter und den Vater: Sie werden mir aufhelfen! Bin ich beim ersten mal noch unsicher, ob mir jemand hilft oder ich mir selbst helfen muss, kann ich mir beim dritten oder vierten mal schon sicher sein, dass mir eine Hand gereicht wird, um aufzustehen. Wie der Papst an anderer Stelle immer wieder betont: Gott wird nicht müde, uns zu vergeben; wir werden müde, ihn um Vergebung zu bitten!
Diese Katechese zur Barmherzigkeit Gottes blendet die Schuld, die Sünde nicht aus; im Gegenteil: Das Erkennen und Bekennen der Sünde ist Voraussetzung, dass Gott seine Gnade schenken kann (sonst wäre es in der Tat Beliebigkeit). Dann aber ist die Barmherzigkeit Gottes unbegrenzt und wir dürfen auf sie vertrauen, sie auch nutzen, und uns sicher sein, dass wir durch die Vergebung sicher keinen Schaden leiden sondern wachsen und lernen – schließlich auch lernen, selbst zu vergeben:
Liebe Brüder und Schwestern, wir alle benötigen die Vergebung Gottes. Sie ist das größte Zeichen seiner Barmherzigkeit, ein Geschenk, das jeder Vergebung findende Sünder mit jedem ihm begegnenden Bruder und jeder Schwester zu teilen berufen ist. All jene, die der Herr uns zur Seite gestellt hat – Familienmitglieder, Freunde, Kollegen, Mitglieder der Pfarrgemeinde – alle brauchen wie wir die Barmherzigkeit Gottes. Es ist schön, Vergebung zu erlangen, aber auch du, wenn du willst, dass dir vergeben wird: vergib auch du! Der Herr gewähre es uns durch die Fürsprache Marias, Mutter der Barmherzigkeit, Zeugen seiner Vergebung zu sein, die das Herz reinigt und das Leben verwandelt. Danke.
Die Barmherzigkeit Gottes, die Betrachtung von Schuld und Vergebung, aber auch der Anspruch an unsere Barmherzigkeit – das ist ein Dauerbrenner für jeden Christen: Wem fällt es schon leicht, seine eigene Schuld einzusehen? Wem fällt es schon leicht, um Vergebung zu bitten? Wem fällt es schon leicht, zuzugeben, von der der Vergebung abhängig zu sein? Und wem fällt es schon leicht, selbst zu vergeben? Aber mit letzterem schließt sich auch der Kreis: Für meine mangelnde Vergebung – eingesehen, bereut und vor den Herrn getragen – darf ich auf die Vergebung Gottes vertrauen: Gott ist eben größer als unsere, Gott ist größer als meine Sünde!
akinom
„Gott ist größer als unsere Sünde.“ Diese Erkenntnis hat sich bei mir in der Formulierung festgesetzt: „Keine Sünde ist zu groß, um nicht vergeben werden zu können.“ Zusammenfassen lässt sich beides wiederum in dem allzu lange als altmodisch und unzeitgemäß vergessene und verstaubte Wort „Barmherzigkeit“. Möge es Dank Papst Franziskus und Felix Honekamp zum „Dauerbrenner“ werden!
„Barmherzigkeit“ umfasst die „Schlüssel zum Himmelreich“, die dem Petrus von Jesus selbst übergeben worden sind: „Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein; und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein!“
Als unbrauchbare „Dietriche“ habe sich Bußandachten erwiesen und die Schnitzereien an Beichtstühlen – den Gnadenorten der Barmherzigkeit – immer mehr verstauben lassen.
Die Gedanken des Blogbeitrags zu David und „hingefallen Kindern“ treffen den Kern. Wir müssen unsere unkindlichen Berührungsängste überwinden, um unsere Sünden erkennen und uns aufhelfen zu lassen zu können.
Die „lange Bank“ ist des Teufels liebstes Möbelstück und der Beichtstuhl sein verhasstestes. Zeigen wir es auch Hänschen vor der Erstkommunion. Denn, was Hänschen nicht lernt… Wir haben nicht nur selber verlernt „wie die Kinder“ zu sein. Wir haben auch Kindern das Kindsein gestohlen. Angefangen hatte das ganz unbemerkt durch die Abschaffung der Kindermode. Und der Aufschrei gegen Gender-Sexualerziehung heute lässt sich ganz leicht überhören.
Trösten kann jetzt wirklich nur noch die Konsequenz aus der Erkenntnis: „Gott ist größer als die Sünde!“