Ein Boykottaufruf kann in Freiheit erfolgen. Der gegen Dolce & Gabbana zeigt allerdings ein eigenartiges Freiheitsverständnis.
Schon wieder diese reaktionären Modedesigner aus Mailand: Erst wollten Dolce & Gabbana Homosexuellen keine Kinder gönnen, und jetzt Musliminnen unter einer Burka verstecken! Eigentlich hat Birgit Kelle in ihrem Beitrag „Unterdrückung kommt in (die) Mode“ schon das meiste dazu geschrieben, sehr differenziert und lesenswert. Trotzdem möchte ich ein Thema dazu noch verstärken: Die Frage der Freiheit. Ein Boykottaufruf, wie er mal wieder gegen Dolce & Gabbana ergangen ist, ist zunächst mal für sich durchaus durch die Freiheit gedeckt ist: Jemandem gefällt das Geschäftsgebahren eines Unternehmens nicht, und darum ruft er dazu auf, zukünftig nicht mehr bei einem solchen Unternehmen zu kaufen. Als Konsument kann ich mir dann überlegen, ob ich dem folge, weil ich beispielsweise Kinderarbeit, unnötige Umweltverschmutzung oder Tierversuche nicht auch noch unterstützen will, oder ob mich der Boykottaufruf eher kalt lässt.Den Freiheitsgedanken dabei zu belassen, wäre allerdings zu kurz gedacht, denn der „normale“ Boykott ist immer auch mit einer moralischen Botschaft verknüpft: Wer noch bei einem solchen Unternehmen kauft, der unterstützt Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und Tierversuche! Diesem Druck standzuhalten ist in manchen peer-groups vermutlich gar nicht so einfach. Keine Ahnung, ob Freunde von Elton John noch mit Dolce&Gabbana-Klamotten punkten konnten, nachdem er sich gegen das Paar und seine Einstellung zur Familie geäußert hatte. Formal hat natürlich jeder weiter die Freiheit, eine entsprechende Marke zu tragen, aber die Konsequenzen mögen derart rabiat ausfallen – und in keinem Verhältnis mehr zum Sachverhalt stehen – dass man von wirklicher Freiheit kaum noch reden mag.
Und nun also D&G mit einer Burka-Kollektion. Dieses Kleidungsstück wird vielfach als Zeichen und Instrument der Unterdrückung der Frau im Islam bewertet. Daraus ergibt sich für die Inititatoren zum Boykott die Gleichung: Wer so etwas herstellt, der unterstützt die Unterdrückung der Frauen. Und: Wer bei einem solchen Unternehmen oder von einem Designer kauft, der tut das indirekt auch. Dabei ist schon die erste Prämisse nicht so eindeutig zu beantworten. Klar ist: Wenn eine Frau gegen ihren Willen vom Ehemann oder der Familie gezwungen wird, ihren Körper und ihr Gesicht zu verhüllen, ist es für sie auch keine Erleichterung, wenn die entsprechenden Kleidungsstücke von einem italienischen Designer-Duo in frischen Farben entworfen wurde. Männer, die das tun, unterdrücken Frauen. Als Christ, der von der Würde jedes Menschen, von seiner Gottebenbildlichkeit und seinem gleichen Wert vor dem Herrn überzeugt ist, und auch als freiheitsliebender Mensch, kann man das auch vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit nicht gutheißen.
Es gibt aber auch Frauen, die sich ihrem muslimischen Glauben gemäß verhüllen wollen, es in Freiheit und im Glauben selbst so entscheiden. Sollte man die zwingen, den Schleier sogar im privaten Umfeld abzunehmen? Ich bin mit Birgit Kelle einer Meinung, dass eine muslimische Frau, die gegen einen Mann wegen Beleidigung klagt, aber ihr Gesicht vor einem deutschen Gericht nicht zeigen will, keinen Anspruch hat, gehört zu werden. Etwas anderes ist es aber mit der Verhüllung im normalen Alltag – ein immer mal wieder gefordertes Burka-Verbot würde für solche Frauen bedeuten, ihre religiöse Überzeugung nicht zeigen zu dürfen, nicht gemäß ihren religiösen Überzeugungen, mit denen sie niemandem schaden, leben zu dürfen (auch der Grad der Verhüllung mag dabei eine Rolle spielen, aber auf den möchte ich jetzt nicht eingehen). Nun wird kein Burka-Verbot gefordert, aber doch der Boykott eines Unternehmens, das solche Kleidungsstücke – in einer hochpreisigen Variante – herstellt. Wäre ein solcher Boykottaufruf erfolgreich, wären diese Frauen gezwungen, anderswo zu kaufen oder die Kleidungsstücke selbst zu nähen. Formal sind sie natürlich noch immer frei, das zu tun – aber sie werden auch gezwungen, so auszuweichen, weil andere meinen, sie müssten von der Verhüllung befreit werden.
Damit wären wir auch beim klassischen Feminismus angelangt, der noch immer versucht, „die Frauen zu befreien“ – egal ob sie das wollen oder nicht. Auf den Gedanken, dass eine Frau in ihrer Rolle, sei es als Vollzeitmutter oder als gläubige Muslima, glücklich ist, sich in Freiheit dafür entschieden hat und gar nicht befreit werden muss, geschweige denn will, kommen solche Ideologen nicht. Ich will damit gar nicht in Abrede stellen, dass es subtile und weniger subtile Methoden der Unterdrückung, gerade im Islam, gibt. Aber alleine aus der Tatsache der Produktion modischer Burkas darauf zu schließen, dass man die Freiheit eines Menschen geringschätze, ist in sich ein sehr einschränkendes Verständnis von Freiheit. Und alleine daraus, dass man weiter Kunde eines solchen Unternehmens bleiben möchte zu schließen, dass man es mit der Gleichberechtigung und der Freiheit der Frau nicht so genau nehme, ist noch weiter hergeholt. Jeder ist frei, zu einem solchen Boykott aufzurufen, und jeder ist frei, sich zu diesem Boykott nach seinen eigenen Vorstellungen zu verhalten. Der moralische Zeigefinger eines solchen Boykotts weist dennoch auf ein recht eigenartiges Verständnis von Freiheit hin, die nicht dort enden soll, wo sie anderen schadet, sondern dort, wo sie nicht mehr verstanden wird.
Ob Dolce & Gabbana sich über diese Aspekte der Freiheit Gedanken gemacht haben? Oder sehen sie nur den Markt wohlhabender Muslime, während ihnen die Rolle der Frau im Islam herzlich egal ist? Die Boykotteure unterstellen offenbar Letzteres – und vergessen dabei, sich über die Freiheit der Musliminnen Gedanken zu machen. Beides ist nicht gerade ehrenwert – aber ich gebe zu, dass meine Sympathien hier ganz eindeutig bei D&G liegen und bei den Frauen, die freiwillig deren muslimische Mode tragen wollen, um nicht in schwarz-grauem Leinen durch die Gegend laufen zu müssen. Gegen die Unterdrückung der Frauen im Islam sollte man aktiv werden, aber – um Birgit Kelle zu zitieren: „Die Ausbreitung islamischer Vorstellungen von Frauenrechten in Europa wurde nicht durch die bunteren Farben von Kopftüchern, sondern durch jahrelanges Ignorieren eines sich anbahnenden Problems erzeugt.“
Der Beitrag wurde zwischenzeitlich auch bei The Cathwalk veröffentlicht.
Theodreds Schicksal
Einen Aspekt haben Sie ausgelassen.
Die Freiheit der Muslima, die sich frei entscheidet ist ja schön und gut.
Aber was ist mit meiner Freiheit, meinem Mitmenschen ins Gesicht zu blicken? Meiner Freiheit zu sehen, mit wem ich es zu tun habe? Was die Mimik mir sagt, das Gesicht selbst ist ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation, der spätestens im Umgang mit Burkaträgerinnen eingeschränkt wird.
Was ist mit meinem Recht auf Sicherheit? Die Zahl der Ausbrüche, Diebstähle und Raubüberfälle, die auf dieses Kleidungsstück blicken können ist zwar überschaubar, die der Terroranschläge jedoch nicht.
Was ist mit meiner unverletzlichen Würde und meinem Anspruch auf die Unschuldsvermutung? Wer dem Hintergrund der Verhüllung nachgeht stößt auf zwei hadithe, die ein gemeinsames Fazit haben – die Frau verführt den wehrlosen Mann mit ihrem Anblick und er kann nicht anders, als sie zu nehmen.
Das beleidigt mich als Mann, Mensch und Christ zutiefst.
Kurzum: Freiheit muss sein. Die Frau will ein Kopftuch tragen, als symbolisches Zeichen der Verhüllung und Gläubigkeit – absolut kein Ding.
Sie will sich verhüllen? Das geht nicht.
akinom
„Freiheit muss sein. Die Frau will ein Kopftuch tragen, als symbolisches Zeichen der Verhüllung und Gläubigkeit – absolut kein Ding.“
Sie will sich verhüllen? Das geht nicht.“
Das meine ich auch. Ist es Hysterie, wenn man die Sicherheit gefährdet sieht in dieser Maskerade, in die sich auch Diebe und Attentäter unbemerkt hüllen können?
Und wo ist festgelegt, dass sich Frauen, die sich verhüllen, dies
„ihrem muslimischen Glauben gemäß“ tun? Jahre und jahrzehntelang taten dies muslimische Frauen, die als Gastarbeiterinnen nach Deutschland gekommen waren, nicht. War da ihr Glaube ein anderer oder beinhaltet er Täuschung und zweierlei Maß?
Theodreds Schicksal
Die Diskussion („jahrzehntelang ging es ohne“) können wir von außen lediglich theoretisch führen.
Wie eine Muslima zum Verhüllungsgebot steht, ob sie es wirklich als Gebot nimmt oder als Vorschlag, als Empfehlung oder als besondere Geste – das kann nur die Gemeinschaft der Muslime unter sich festmachen.
Wir können über die historischen und theologischen Grundlagen, Texte und Entwicklungen sprechen – und am Ende lediglich festlegen, was wir für uns tolerieren oder akzeptieren. Dies kann aber nicht an islamischer Theologie festmachen. Für uns kann die Entscheidung der Al-Azhar Universität keine bindende Gültigkeit haben, egal ob sie für oder wider die Komplettverhüllung ist. So wenig, wie päpstliche Dekrete über die Gebetshaltung für Sunniten.
Die Überschneidung von islamischre Theologie und unserer Entscheidung beginnt dort, wo wir involviert werden – und das ist die Behauptung, wir Männer hätten uns nicht unter Kontrolle und die Verhinderung des offenen Blickes in das Gesicht unserer Mitmenschen.