Kann man als Christ der Homosexualität kritisch gegenüber stehen und trotzdem gegen Schwulenhass sein? Was für eine – entschuldigung – dumme Frage!
Die Welt wird sich nach dem Massaker in einer Schwulenbar in Orlando verändern! Ungefähr so, wie sie sich nach den Anschlägen von Paris oder Brüssel verändert hat? Dann wäre der Spuk einer Veränderung ja schnell vorbei, denn – jedenfalls in einer robusten Art – hat sich seither wenig verändert. Eher unterschwellig ist die Terrorangst gestiegen, aber – zu Recht – weigert sich eine freie und offene Gesellschaft, vor dem Terror einzuknicken. Die Stadien bei der EM in Frankreich sind gefüllt, und werden es wohl auch weiterhin bleiben, wenn nichts Dramatisches passiert.Und doch stellt Orlando eine Zäsur dar. Denn unabhängig davon, ob es sich um einen islamistischen Einzeltäter oder ein Produkt des IS gehandelt hat: Der Täter hat sich diesmal bewusst eine spezielle Gruppe von Menschen ausgesucht, die Opfer seines Hasses geworden sind: Homosexuelle. Und schon springen zwei Typen aus der Deckung: Da sind einerseits diejenigen, die den Tod der Barbesucher als eine Art Rache Gottes interpretieren wollen. Einzelne evangelikale Vertreter stehen hinter einer solchen Darstellung, berichtet wird von Predigern, die meinen, man solle über die Tragödie nicht trauern, es sei nämlich keine (eine Verlinkung spare ich mir, weil ich noch weniger als bei deutschen Quellen nachvollziehen kann, ob sie „echt“ sind). Andererseits stehen diejenigen gegen Islamkritiker auf, die hinter ihnen gleichzeitig Homohasser vermuten. Da meint so mancher, dass jemand, der Homosexualität für eine Sünde hält, kein Recht hätte, sich über gegen Schwule gerichteten islamistischen Terror zu beklagen. Ganz so, als sei eine moralische Einschätzung auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie ein solches Massaker.
All denen sei aber noch mal zur Differenzierung das ins Stammbuch geschrieben, das der Katechismus der katholischen Kirche zu dem Thema sagt:
2357 Homosexuell sind Beziehungen von Männern oder Frauen, die sich in geschlechtlicher Hinsicht ausschließlich oder vorwiegend zu Menschen gleichen Geschlechtes hingezogen fühlen. Homosexualität tritt in verschiedenen Zeiten und Kulturen in sehr wechselhaften Formen auf. Ihre psychische Entstehung ist noch weitgehend ungeklärt. Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet [Vgl. Gen 19, 1-29; Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10.], hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, „daß die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind“ (CDF, Erkl. „Persona humana“ 8). Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.
Das, so muss man sagen, ist kein Urteil gegen die oder einen Homosexuellen. Mit gelebter Homosexualität ist keine Exkommunikation verbunden, jeder Schwule kann Christ sein, kann Mitglied auch der katholischen Kirche sein – wohlgemerkt auch dann, wenn er seine Homosexualität auslebt. Dass homosexuelle Handlungen von der Eucharistie ausschließen ist zwar wahr, das gilt aber auch für andere Formen von Sünden wie Ehebruch oder andere Arten dessen, was die Kirche Unzucht nennt. Das bedeutet aber eben keinen Ausschluss aus der Kirche, und eine lediglich vorhandene Neigung stellt nicht mal eine Sünde dar.
Wie um das zu unterstreichen, stellt der Katechismus auch noch klar:
2358 […] Ihnen [den Homosexuellen] ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen.
Wer das ernst nimmt, für den kommt nicht nur keine Zurücksetzung und Diskriminierung von Homosexuellen im täglichen Leben in Frage. Der sollte sich auch bewusst sein, dass jeder Homosexuelle ein geliebtes Kind Gottes ist. Natürlich gibt es da draußen auch verwirrte angeblich christliche Geister, die beispielsweise beim Tod des homosexuellen Komikers Dirk Bach vermeldeten, „der schmore nun in der Homo-Hölle“. Mit Christlichkeit hat das aber nichts zu tun.
Stellt sich also die Frage, ob der Abschnitt 2357 des Katechismus eine Vorlage für Gewalt – physisch oder auch nur psychisch – gegen Homosexuelle liefert? Kann man hinter diesem Abschnitt stehen, kann man in der Folge auch gegen eine kirchliche Trauung von Homosexuellen sein, Bedenken gegen ein Adoptionsrecht für Homosexuelle anmelden und sich gegen eine vollständige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe wenden, und trotzdem Gewalt gegen Homosexuelle verurteilen? Natürlich kann man, weil das eine mit dem anderen unter vernünftigen Gesichtspunkten nichts miteinander zu tun hat!
Ich kann auch Protest gegen andere gesellschaftliche Gruppen einlegen: Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass die Neo- und Altsozialisten auf dem Weg sind, die Wirtschaft und die Gesellschaft zu ruinieren. Ich bin überzeugt, dass die Vertreter der Gender-Ideologie unsere Kinder und damit auch die Zukunft unserer Gesellschaft schädigen. Und ich bin überzeugt, dass die Politik und Politiker – egal welcher Couleur – einen großen Anteil daran haben, dass es in unserem Land mit Selbstverantwortung und Eigeninitiative bergab geht. Aber liefere ich damit die Vorlage für Anschläge gegen Sozialisten, Gender-Vertreter und Politiker? Derartige Auseinandersetzungen gehören zum politischen und gesellschaftlichen Diskurs und es ist schlicht nicht einzusehen, warum man solche Äußerungen, genau wie die des Katechismus, nicht äußern dürfen sollte.
Als Christen in der Welt sind wir also aufgefordert, unsere Meinung zu allen möglichen gesellschaftlichen und politischen Themen zu äußern – und wohl dem, der sich dabei nicht nur auf seinen gesunden Menschenverstand sondern auch noch auf Bibel und Kirchenlehre beziehen kann. Und darum gilt, in Bezug auf das Thema Homosexualität, dass man sowohl den Absatz 2357 zitieren darf, als auch den Absatz 2358 dabei im Hinterkopf behalten muss. Und wenn ein Mensch physisch angegriffen wird – vor allem, wenn dies aufgrund einer Besonderheit wie Religion, Rasse oder eben sexueller Orientierung geschieht – dann sind wir als Christen auch zur Verteidigung aufgerufen.
Ich mag nicht ausschließen, dass der eine oder andere diese Verteidigung auch nutzt, um seinen Hass auf den Islam zu untermauern. Dann bin ich als Christ ebenfalls aufgefordert, einzuschreiten und mich schützend vor diese Menschen zu stellen. Das Problem am Islam ist in dieser Hinsicht aber ein anderes: Es gibt keinen islamischen Katechismus, in dem etwas Vergleichbares wie der Abschnitt 2358 stünde. In vielen islamisch geprägten Staaten werden gegen Homosexuelle empfindliche Strafen verhängt, die sich auf die Scharia beziehen. Ob zu Recht oder zu Unrecht kann ich nicht beurteilen, aber ganz offensichtlich ist das Verhältnis des Islam zu Gewalt gegen sexuelle Minderheiten alles andere als geklärt. Das macht wiederum nicht jeden Muslim zu einem Schwulenhasser – der Islam als Ideologie liefert aber die Grundlagen dazu.
Und da wäre ich wieder bei obigem Punkt: Ich kann den Islam als Religion ablehnen, auf dem Standpunkt stehen, dass das Gottesbild des Islam nur wenig mit dem christlichen Gottesbild zu tun hat und dass das Verhältnis des Islam zur Gewalt generell noch nicht geklärt ist (wenn es je zu klären sein wird). Damit legitimiere ich keine Gewalt gegen Muslime, die sich an die bei uns geltenden Gesetze halten und sich zu integrieren versuchen. Damit legitimiere ich auch nicht die Einschränkung der Religionsfreiheit für Muslime. Und wenn sich beispielsweise Homosexellenverbände für Gewalt gegen Muslime aussprächen, dann wüsste ich, auf welcher Seite ich zu stehen habe. Und so kenne ich auch meinen Platz, wenn sich ein gewalttätiger Islam gegen Homosexuelle wendet. Das hat beides weder mit Homophobie oder mit Islamhass zu tun, sondern damit, dass man als Christ auf der Seite der Schwachen und Friedlichen, der Angegriffen und der Opfer zu stehen hat, nicht auf der Seite des Hasses und der Gewalt.
Jorge
Im Tenor zutreffender, schöner, wenn auch m.E. eigtl. überflüssiger und etwas umständlicher Kommentar (klingt ein wenig so, als müssten „wir“ Katholiken uns hier rechtfertigen, was aber sicher nicht der Fall ist, wenn überhaupt sind es ganz bestimmte kath. Minderheiten).
Die Katechismuszitate wären deshalb gar nicht nötig gewesen, das klingt für meine Begriffe zu defensiv, so als müsste man erst in den KKK schauen, um zu prüfen, wie man sich bei der etwas komplizierten Gemengelage zu diesem Massaker verhalten soll. Für normale Katholiken ist aber auch ohne Katechismus schon klar, dass Christen keinen Terror gegen Homosexuelle befürworten und sich auch klammheimlich nicht darüber freuen. Dieser Eindruck der Unsicherheit ist sicher nicht gewollt, drängt sich aber bei diesem Artikel und dem Titel etwas auf. Als ob es da überhaupt etwas zu deuteln gäbe.
Vor allem der letzte Satz ist klasse (und hätte eigtl. schon gereicht).
Vielleicht sollte man, um ein stimmigeres Bild zu erzeugen, aber auch noch diesen hässlichen Link aus dem Blogroll wegmachen, da wo „Tichys Einblick“ steht, denn die da auftauchende Hassparole passt so gar nicht zu diesem Statement. Wer nicht auf der Seite des Hasses und der Gewalt stehen will, sollte Tichy meiden wie die Pest und auch nicht im Blogroll führen, meine ich.
Die Islam-Geschichte hängt dir etwas nach und der Ausdruck „Muslime, die sich an die bei uns geltenden Gesetze halten und sich zu integrieren versuchen“ ist doch wieder etwas ignorant geraten (wer ist „uns“ und wieso müssen Muslime, die seit Generationen in Dtschl. zu Hause sind, sich „integrieren“?). Aber das sind Kleinigkeiten. Hauptsache, die grds. Richtung stimmt und der Link zu Gewaltpredigern wie Tichy kommt weg.
Siegfried Simperl
Die Kirche, die ihrem Herrn gehorsam ist, der sie gegründet und ihr das sakramentale Leben eingestiftet hat, feiert den göttlichen Plan der Liebe und der Leben schenkenden Vereinigung von Mann und Frau im Sakrament der Ehe. Einzig und allein in der Ehe kann der Gebrauch der Geschlechtskraft moralisch gut sein. Deshalb handelt eine Person, die sich homosexuell verhält, unmoralisch.
Sich einen Partner gleichen Geschlechts für das sexuelle Tun auswählen, heißt die reiche Symbolik verungültigen, die Bedeutung, um nicht von den Zielen zu sprechen, des Plans des Schöpfers bezüglich der Geschlechtlichkeit des Menschen. Homosexuelles Tun führt ja nicht zu einer komplementären Vereinigung, die in der Lage wäre, das Leben weiterzugehen und widerspricht darum dem Ruf nach einem Leben solcher Selbsthingabe, von der das Evangelium sagt, daß darin das Wesen christlicher Liebe bestehe. Dies will nicht heißen, homosexuelle Personen seien nicht oft großzügig und würden sich nicht selbstlos verhalten; wenn sie sich jedoch auf homosexuelles Tun einlassen, bestärken sie in sich selbst eine ungeordnete sexuelle Neigung, die von Selbstgefälligkeit geprägt ist.
Wie es bei jeder moralischen Unordnung der Fall ist, so verhindert homosexuelles Tun die eigene Erfüllung und das eigene Glück, weil es der schöpferischen Weisheit Gottes entgegensteht. Wenn die Kirche irrige Meinungen bezüglich der Homosexualität zurückweist, verteidigt sie eher die – realistisch und authentisch verstandene – Freiheit und Würde des Menschen, als dass sie diese einengen würde.
Die Kirche kann demgegenüber nicht ohne Sorge sein; deshalb hält sie an ihrer klaren Position diesbezüglich fest, die weder durch den Druck staatlicher Gesetzgebung noch durch den gegenwärtigen Trend geändert werden kann. Sie bemüht sich aufrichtig um die vielen Menschen, die sich von den Bewegungen zugunsten der Homosexualität nicht vertreten fühlen, und zugleich um diejenigen, die versucht sein könnten, an deren trügerische Propaganda zu glauben. Sie ist sich bewußt, daß die Ansicht, homosexuelles Tun sei dem geschlechtlichen Ausdruck ehelicher Liebe gleichwertig oder zumindest in gleicher Weise annehmbar, sich direkt auf die Auffassung auswirkt, welche die Gesellschaft von Natur und Rechten der Familie hat, und diese ernsthaft in Gefahr bringt. (…)
JP
Stimme zu: Guter Kommentar. Etwas umständlich. Letzter Satz super. Habe ich bei mir gepostet. Danke. Gottes Segen und Lesevorschlag: http://www.crisismagazine.com/2016/catechesis-narcissistic-age
JP
Stimme zu: Guter Kommentar. Etwas umständlich. Letzter Satz super. Habe ich bei mir gepostet. Danke. Gottes Segen und Lesevorschlag: http://www.crisismagazine.com/2016/catechesis-narcissistic-age