Ist im Terror (fast) alles erlaubt? Im gleichnamigen Fernsehspiel hat das Publikum so entschieden. Einige Fragen bleiben aber ungestellt.
Wer sich nicht völlig aus dem öffentlichen Leben verabschiedet hat, der wird an der Diskussion um das ARD-Fernsehspiel „Terror – Ihr Urteil“ vom vergangenen Montag nicht vorbei gekommen sein. Ob es einen interessiert oder nicht, ob man überhaupt Fernsehen schaut und wenn ob es die ARD ist – egal: Die Medien berichteten über die Frage:Der Plot eines Fernsehfilms
Darf ein Luftwaffen-Major ein entführtes Passagierflugzeug mit 164 Menschen an Bord, das Terroristen in ein Fußballstadion mit 70.000 Menschen steuern wollen, abschießen? In der Fernsehumfrage ist die Meinung recht eindeutig: rund 87 % der Zuschauer plädierten für einen Freispruch des Piloten. Die Rechtslage in Deutschland ist – soweit ich als juristischer Laie beurteilen kann – offenbar nicht so klar. 2006 urteilte das Bundesverfassungsgericht jedenfalls, dass eine generelle Ermächtigung, wie sie im Luftsicherheitsgesetz geplant war, verfassungswidrig sei. Ein Teil des Wortlauts:
Die Ermächtigung der Streitkräfte, gemäß § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. […]
Auch die Einschätzung, diejenigen, die sich als Unbeteiligte an Bord eines Luftfahrzeugs aufhalten, das im Sinne des § 14 Abs. 3 LuftSiG gegen das Leben anderer Menschen eingesetzt werden soll, seien ohnehin dem Tode geweiht, vermag der mit einer Einsatzmaßnahme nach dieser Vorschrift im Regelfall verbundenen Tötung unschuldiger Menschen in einer für sie ausweglosen Lage nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser Menschen zu nehmen. Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. oben unter C I, II 2 b aa). Wer dies leugnet oder in Frage stellt, verwehrt denjenigen, die sich wie die Opfer einer Flugzeugentführung in einer für sie alternativlosen Notsituation befinden, gerade die Achtung, die ihnen um ihrer menschlichen Würde willen gebührt (vgl. oben unter C II 2 b aa, bb aaa).
Prinzipien?
Es gibt noch einige Argumente mehr gegen eine generelle Erlaubnis zum Abschuss eines Flugzeugs in einer derartigen Situation; natürlich gibt es aber auch die durchaus nachvollziehbare Frage, ob es der Würde der 70.000 Menschen im Stadion denn zuträglich wäre, wenn man sie aufgrund dieses „Prinzips“ (diesen Begriff verwendet der Verteidiger im Fernsehstück) zu Tode kommen lassen würde. In Kombination stellen dann viele die Frage, ab wann man denn davon ausgehen könne, dass die Menschen an Bord des Flugzeugs tatsächlich dem Tod geweiht sind, und ob nicht ein Abschuss in einer solchen „letzten Sekunde“ doch erlaubt sein sollte.
Dazu kommen viele Wenns und Abers: Wie würde man so etwas entscheiden, wenn die eigene Ehefrau im Flugzeug säße? Wie ist zu reagieren, wenn man Indizien dafür hat, dass die Passagiere die Entführer überwältigen könnten? Oder anders gefragt: Ist denn überhaupt sicher, dass die Menschen an Bord nicht überleben werden? Was, wenn der Terrorist am Ende selbst Angst bekommt? Man kann das nicht wissen, und in dem Fall hätte man die Menschen sinnlos geopfert (auch wenn man das auch im Nachhinein nicht wird feststellen können).
Was wenn …
Aus katholischer Sicht hätte ich in diesem Zusammenhang auch noch etwas zu ergänzen. Mir hat mal ein befreundeter Priester berichtet, dass er, wenn er gefragt wird, ob er spontan eine Beichte hören würde, IMMER zusagt. Der Grund ist denkbar einfach: Er stellt sich die Frage, welche Verantwortung man als Priester trägt, der in einer solchen Situation, aus Zeitmangel oder warum auch immer, ablehnt … und der Pönitent läuft kurz darauf vor einen Lastwagen und stirbt? Man kann sich durchaus vorstellen, dass der Herrgott gerade in einer solchen Situation dem Verstorbenen gegenüber in besonderer Weise barmherzig ist – aber als Priester habe ich einem (auch wenn ich das nicht wusste) Todgeweihten die Beichte und damit die Lossprechung versagt. Das, so der Priester, möchte er nicht mit sich herumtragen müssen.
Und nun werfen wir einen Blick in das Flugzeug: Sie sitzen dort als Passagier, sehen in den Geschehnissen den Tod vor Augen. Aber neben Ihnen sitzt ein Priester, und sie entscheiden sich, ihn um die Beichte zu bitten. Der wird sicher nicht ablehnen, aber während er sich die Stola umlegt, schlägt die Rakete des Kampfflugzeuges ein. Vielleicht gibt es an Bord auch noch ein paar mehr Menschen, die gerne das Sakrament der Versöhnung empfangen hätten. Aber zu spät …
Fristverkürzung auf dem Weg zu Gott?
Der Mensch ist frei von Gott geschaffen, frei auch, ihn selbst abzulehnen – und sich dann doch wieder für ihn zu entscheiden. Gott ist, daran glaube ich fest, barmherzig denen gegenüber, die sich zu ihm wenden wollen und nicht wissen, wie sie das anstellen können – das Bemühen zählt. Aber genau aus diesem Grund habe ich nicht das Recht, die Lebensfrist zu verkürzen, die ein unschuldiger Mensch nutzen könnte, um sich Gott zuzuwenden.
Säße ich also als Katholik nicht in der Passagiermaschine sondern am Steuer des Kampfflugzeugs und wüsste, dass in dem entführten Flugzeug gerade jemand die Beichte ablegt … könnte ich dann, dürfte ich dann schießen?
Rechtssicherheit?
Das Fernsehspiel ist eine Laborsituation; sie kommt nicht ohne eine Vielzahl von Rahmenbedingungen aus, die auch die Zuschauer in Betracht gezogen haben werden. Diese Rahmenbedingungen verdeutlichen, warum sich die Frage nach einer Erlaubnis zu einem Abschuss in einer solchen Situation einer generellen, gesetzlich standardisierten Regelung entzieht. So bleibt einem Gesetzgeber nur, Rahmenbedingungen zur Orientierung zu schaffen. So hatte der Pilot im Film den direkten Befehl erhalten, nicht zu schießen, und sich darüber hinweggesetzt.
Mir scheint das der gesetzlich wesentliche Punkt, der aber direkt zu einer anderen Frage führt: Hätte er den Befehl erhalten zu schießen und es nicht getan, wäre er dann verantwortlich zu machen für den Tod der 70.000 Zuschauer im Stadion? Noch ein Wenn und Aber – und ein Argument, auch wenn Rechtssicherheit gewünscht sein mag, gar nicht erst zu versuchen, so etwas in die Form eines Paragrafen zu bringen.
Vorsicht vor Gewissheiten
Vor die Wahl gestellt – schuldig oder nicht – tendiere ich bei aller Sympathie für den Piloten, der in die Situation geschleudert wird, in kürzester Zeit eine solche Entscheidung zu treffen, dafür, dass der Abschuss nicht legitim war. Ich weiß wohl, dass das viele, auch theologisch geschultere Menschen als ich, auch aus der Glaubensperspektive anders sehen. Darum bin ich durchaus anderen Argumenten gegenüber aufgeschlossen – wenn ich ehrlich bin, bin ich fast auf der Suche, nach einer zweifellosen Legitimation für die Tat des Piloten.
Insofern würde es mir auch keine Sorge machen, wenn ein Gericht in einem konkreten Fall zu einer anderen Einschätzung käme. Was ich allerdings bedenklich finde, ist die so deutliche Mehrheit, die den Piloten als „unschuldig“ betrachtet sehen möchte, und die teilweise Aggressivität, mit der für diese Sichtweise argumentiert wird. Eine Formulierung, die mir in entsprechenden Foren und Diskussionen immer wieder unterkommt lautet, das sei „doch keine Frage“, dass man die Maschine abschießen dürfe. Derartige „Gewissheiten“ stellen in der Tat in Frage, ob der Einzelne mit dem Begriff der „Würde“ des Menschen noch mehr zu verbinden weiß als einen Nützlichkeitsaspekt.
LePenseur
Also hier, in diesem exklusiven Forum, versuche ich es halt doch, was ich in meinem Blog als aussichtsloses Unterfangen gleich abgeblasen habe. Nämlich: den Unterschied zwischen Rechtfertigungsgründen und Schuldausschließungsgründen zu erörtern.
Poster „Venator“ verwies auf meinem Blog auch auf die moralische Kategorie des „Grundsatzes der Doppelwirkung“ („Soll man 164 töten, um Tausende zu retten? Nein, aber man kann den Tod der 164 zu diesem Zwecke in Kauf nehmen“). doch zurück zum juridischen Problem:
Während die „Rechtfertigung“ (=“die objektive Tatseite“) einer solchen Handlung in der Tat einen Konflikt mit der Menschenwürde verursachen kann, sieht das bei „Schuldausschließungsgründen“ völlig anders aus, denn diese betreffen ja die „subjektive Tatseite“, also quasi die Tat „mit Hinblick vom Täter aus betrachtet“.
Wenn ich auf einer Bergstraße neben einer Schlucht dahinfahrend durch einen Reifenplatzer weitgehend die Kontrolle über das auto verliere und in den letzten Sekunden nur die Alternative bleibt, den Wagen (mit mir und meiner Familie) in den Abgrund schleudern zu lassen, oder doch zu versuchen, in auf die Gegenspur zu verreißen, obwohl dort ein Auto fährt, mit dem ich mit größter Wahrscheinlichkeit kollidieren werde (was Tod oder schwere Verletzung der dortigen Insassen zur Folge hätte!), so ist mein Versuch, das Auto zu verreißen um mein Leben zu retten, zwar kein Rechtfertigungsgrund (der andere Autofahrer ist ja nicht widerrechtlich unterwegs!), wohl aber ein Schuldausschließungsgrund, da das Strafrecht nicht die (moralisch vielleicht heroisch zu nennende) Selbstaufopferung eines Menschen zugunsten eines anderen verlangt (sic!). Doch im Gegensatz zu einer „gerechtfertigten“ Tat ist der „Gegner“ nicht verpflichtet, meine Tat gewähren zu lassen; er kann vielmehr, z.B. durch ein Ausweichmanöver versuchen, seine (u.U. tödlichen) Kollisionsfolgen zu mindern, auch wenn das bspw. bedeutet, daß ich dann durch den Rückprall doch in die Schlucht stürze und nach menschlichem Ermessen tot bin.
Nichtjuristen ist die gedanklich säuberliche Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Tatseite nicht geläufig, die Unterscheidung von Rechtfertigungsgründen und Schuldausschließungsgründen erscheint vielen eine bloße Spitzfindigkeit – aber wie aus dem Beispiel ersichtlich, ist es eben doch eindeutig mehr als das!
Analog läßt sich beim Flugzeugabschuß zwar nur mit Rabulistik eine „astreine“ Rechtfertigung des Abschlusses ableiten – aber Schuldausschlußgründe fände ich für das Handeln jedenfalls zur Genüge (was „im Effekt“ ebenso eine Straffreiheit bewirkt)!
Ich gebe zu, daß diese Juristen-Erwägungen eher verstandeskühl, als „vom Herzen“ rüberkommen und habe mich daher auf meinem Blog (wen wundert’s ;-) …) für eine zynische Abhandlung des Themas entschieden, da ich derlei „Sautreibereien durch’s mediale Dorf“ nicht besonders mag. Solche fragen gehören in ein Uni-Seminar, oder, von mir aus, in eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde unter Leitung einer Prof. Höhler, mit ein paar Philosophen, Theologen und Spitzenjuristen.
Fernsehspiele sind dafür (auch bei anerkennenswerter schauspielerischer Leistung!) m.E. nicht das passende Medium.
Konrad Kugler
Mit ähnlichen unlösbaren Fällen hat man vor vielen Jahren schon Menschen bedrückt. Da wars halt ein Zug, Einzelheiten habe ich vergessen. Diese Fälle sind so konstruiert, daß man sich nur ins Unrecht setzen kann. Das ist eine Schweinerei.
Das BVerfG erscheint mir manchmal als in bestimmten Bereichen sehr inkonsequent, in anderen aber spitzfindig. So erklärt es zwar eine Abtreibung als rechtswidrig, vergattert den Staat aber zur Bereitstellung von erreichbaren Einrichtungen. Hier wird die ideologische Einstellung mit „rechtswidrig“ kaschiert, die dahinterstehende Intention trotzdem sichtbar. Beim Kruzifixurteil wurde die Kulturhoheit der Länder großzügig übersehen und der Verfassungsrang der Christlichen Gemeinschaftsschule in Bayern völlig ignoriert. Eine Sicherungsverwahrung durchzubringen ist dagegen ein juristisches Meisterstück.
@ LePenseur,
Ihre Ausführungen sind sehr hilfreich.
Lehrer Lämpel
In „evangelisch.de“ wurde die betr. Sendung als „Populisten-Porno“ betitelt.
Schätze ich ähnlich kritisch ein:
Hier wird vorwiegend mit „dem Bauchgefühl“ getarnt als „gesunder Menschenverstand“ eine Volksgerichtsbarkeit praktiziert.
Für mein Empfinden ähnlich problematisch einzuordnen wie weiland der von den Nazis ausgestrahlte Film „Ich klage an“ , mit dem der Akzeptanz der dann folgenden tausendfachen Euthanasie-Morde an geistig Behinderten im Volk der Boden bereitet wurde.
Ein anderes Beispiel:
Die seinerzeitige Vorbereitung der rechtlichen Freigabe der Abtreibung in der Bundesrepublik Deutschland, indem Dutzende prominente Frauen öffentlich im „Stern“ bekundeten, abgetrieben zu haben.
Einmal mehr gilt gerade jetzt für Christen innerer geistiger Widerstand und Unterscheidung der Geister entsprechend der Vater-unser-Bitte „und führe uns nicht in Versuchung (sondern erlöse uns von dem Bösen)“.
Konrad Kugler
Was hat das ganze eigentlich mit der Würde des Menschen zu tun? Da ist Krieg! Und wessen Würde ist nun höher einzustufen, die der Flugpassagiere oder die der Stadionbesucher?
Es geht um das Leben von Menschen, von möglichst vielen Menschen, von denen ausnahmslos jeder Menschenwürde hat.