Kann es wirklich sein, dass Gottes Liebe bedingungslos ist? Der Zweifel an der Unentgeltlichkeit göttlicher Liebe ist vielleicht der Urgrund jeder Abkehr von ihm!
Unentgeltlichkeit, machen wir uns nichts vor, hat keinen guten Ruf. Wer heute in einem Geschäft ein Präsent überreicht bekommt, argwöhnt zu Recht, dass es sich bei dieser Geste wohl nicht um die reine Menschenfreundlichkeit handelt sondern um eine knallharte Kosten-Nutzen-Kalkulation. Und wer bei einem Buy-two-get-one-free-Angebot zuschlägt, weiß im Grunde, dass er sein drittes Teil mit den ersten beiden bereits mit gezahlt hat. So funktioniert der Markt … und wenn er so funktioniert, ist daran auch nichts auszusetzen.Nur nicht zu kurz kommen!
Was aber, wenn solches Gebaren sich plötzlich auch im Zwischenmenschlichen wiederspiegelt? Was, wenn wir nur noch „lieben“, wenn wir uns einen Vorteil davon versprechen? Sieh nur zu, dass Du dabei nicht zu kurz kommst – so hört man immer wieder „Beziehungstipps“, gerne auch von Menschen, deren eigene Beziehungen man nicht immer als Erfolg betrachten würde. Und was, vielleicht noch schlimmer, wenn Menschen geschenkte Liebe nicht mehr annehmen können, ohne einen Hintergedanken darin zu vermuten? Das macht der doch nur, weil …
Darum ging es dem Papst in seiner jüngsten Katechese vom Mittwoch, in der er auf die Trostlosigkeit einer Gesellschaft, die in diesem quid-pro-quo-Gedanken gefangen ist, aufmerksam macht (Zitate hier wie im Folgenden von Zenit):
Stellt euch so eine Welt vor: eine Welt ohne die Unentgeltlichkeit des Mögens! Diese Welt scheint menschlich zu sein, ist in Wirklichkeit aber eine Hölle.
Die Hölle des „quid pro quo“
Immer wenn der Papst auf die Geschäftswelt und ihre Gepflogenheiten zu sprechen kommt, werde ich unruhig, weil ich die Marktwirtschaft, den wirklich freien Markt, für eine der sozialsten Errungenschaften halte. Aber in einem Punkt hat der Papst Recht: Wenn das Kosten-Nutzen-Denken nicht mehr nur im Markt dominiert (wo es einen gesellschaftlichen Zweck erfüllt) sondern auch in zwischenmenschlichen Beziehungen, dann entwickelt sich daraus eine Hölle, die einen verzweifeln lassen kann. Oder wie der Papst fortfährt:
Viele Probleme des Narzissmus des Menschen entspringen einem Gefühl der Einsamkeit und des Verwaist-Seins. Hinter vielen scheinbar unerklärlichen Verhaltensweisen verbirgt sich eine Frage: Ist es möglich, dass ich es nicht verdiene, beim Namen genannt, d.h. geliebt zu werden? Denn die Liebe nennt immer beim Namen …
Der Zweifel an Gottes Liebe
Aber ist das nicht der Normalfall? Ist es nicht so, dass wir im Grunde immer auf eine wie auch immer geartete Gegenleistung hoffen, wenn wir jemandem etwas Gutes tun? Natürlich, die wenigsten werden bereit sein, einem Menschen Zuneigung zu schenken, der einen selbst immer wieder nur ausnutzt oder schädigt. Aber abgesehen von derartigen Sonderfällen – ist es wirklich unmöglich, selbstlos zu lieben?
Für Gott jedenfalls ist es das nicht – und Gott ist die Liebe und damit auch DAS Musterbeispiel dessen, was Liebe wirklich bedeutet. Vielleicht haben heute gerade deshalb so viele Menschen ein „Problem mit Gott“, weil sie sich nicht mehr in der Lage sehen, selbstlose Liebe zu empfangen. Vielleicht ist es ein wesentlicher Aspekt der Erbsünde, dass wir der selbstlosen Liebe genau so misstrauen wie einem halbseidenen Sonderangebot in einem Ramschladen … und was nichts kostet, ist auch nichts?
Wie Vater oder Mutter
Passenderweise benutzt der Papst in diesem Zusammenhang das Bild eines Vaters oder einer Mutter, die ihre Kinder immer lieben, auch wenn sie schwere Sünder geworden sein sollten:
Ich erinnere mich an viele Mütter in meiner vorherigen Diözese, die in einer Schlange standen, um das Gefängnis zu betreten. Und sie schämten sich nicht. Ihr Sohn war im Gefängnis, doch er war ihr Sohn. Sie erfuhren viel Demütigung während der vor dem Eintritt stattfindenden Durchsuchungen, doch „Er ist mein Sohn!“. „Aber Ihr Sohn ist ein Verbrecher!“ – „Er ist mein Sohn!“. Nur diese Mutter- und Vaterliebe lässt uns begreifen, wie die Liebe Gottes ist.
Das ist es, was wir letztlich alle irgendwie ersehen, auch wenn wir meinen, es nicht verdient zu haben. Und in gewisser Weise kann man das auch bestätigen: Nein, diese Liebe hat niemand „verdient“, aber Gott schenkt sie trotzdem, und wir sind nur zu zweierlei aufgefordert: Sie anzunehmen und sie weiter zu geben:
Mit welcher Medizin kann das Herz eines unglücklichen Menschen verwandelt werden? [Antwort: die Liebe] Lauter! [Rufe: die Liebe!] Richtig! Richtig, ihr habt alle Recht! Und wie kann man einen Menschen spüren lassen, dass man ihn liebt? Man muss ihn vor allem umarmen, ihn spüren lassen, dass er erwünscht und wichtig ist, und seine Traurigkeit wird vergehen.
Und auch, wenn wir mit Letzterem scheitern, hört Gott nicht auf, uns trotzdem zu lieben.
Gott liebt jeden Menschen – Punkt.
Es gibt nicht wenige, die diese Liebe nur schwer annehmen können. Und es gibt auch nicht wenige, die meinen, dass es eben doch Menschen gebe, die die Liebe Gottes nicht verdient oder sie verwirkt hätten – durch ihre Sünden, ihren Lebensstil, durch den Hass in ihren Herzen. Aber das ist eine zutiefst durch den Zweifel an Gottes Liebe genährte Einschätzung. Auch ich habe bei manchen barbarischen Akten, die in der Welt im Großen wie im Kleinen geschehen, manchmal Zweifel, wie Gott die Täter noch lieben kann. Und doch hat Jesus auch diese Sünden mit auf’s Kreuz genommen – die Liebe Gottes, die nur darauf wartet, dem Menschen Vergebung schenken zu dürfen, wartet auf diese Menschen nicht weniger als auf mich. Was für ein großartiger Gott – und wie schwer zu verstehen!