Heute war mal wieder eines meiner Lieblingsevangelien dran, über das ich gerne etwas schreiben möchte, einfach weil mich eine Erkenntnis heute Morgen wie der Blitz getroffen hat. Ab und zu gibt es ja den Effekt, dass sich ein Gedanke im Kopf bildet, der da vielleicht schon immer war aber nicht in der Klarheit. Und für andere ist dieser Gedanke vielleicht auch gar nicht so spannend, daher: wenn es nicht interessant erscheint, täte es mir leid! Trotzdem erst mal ein Auszug aus dem Evangelium:
Lukas 15, 1-7 [10]
In jener Zeit kamen alle Zöllner und Sünder zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten empörten sich darüber und sagten: Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis und sagte:
Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wieder gefunden, das verloren war.
Ich sage euch: Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren. […]
Bislang habe ich mir immer überlegt, wer ich denn in dieser Geschichte wohl bin: gehöre ich zu den 99 gerechten Schafen? Scheint mir vermessen zu sein. Bin ich das verlorene Schaf. Das zurückgeholt wird? Ich hoffe nicht! Bin ich einer der Pharisäer, die Jesus nicht verstehen (wollen)? Ich hoffe, schon gar nicht! Vermutlich ist es aber so eine Zwischenrolle: als Katholik glaube ich, in der Kirche den richtigen Weg erkannt zu haben, dem ich folgen muss. Gleichzeitig bin ich immer in der Gefahr, von diesem Weg abzukommen eine regelmäßige Beichte wäre nicht notwendig, wenn das nicht so wäre, und ich hatte bislang noch keine Probleme, Dinge zu finden, die ich zu beichten habe. Und ab und zu überkommt mich vielleicht auch mal der Stolz, schon auf der richtigen Seite zu stehen und auf die anderen herabzuschauen und diejenigen nicht zu verstehen, die sich mit den Schmuddelkindern des Glaubens (von konservativ bis progressiv oder auch ganz und gar ungläubig) auseinandersetzen. Gerade letzteres ist für viele sicher eine Versuchung: ein Pharisäer zu werden, der den Schafen nicht gönnt, zur Herde zurück geführt zu werden und damit eigentlich selbst verloren zu gehen. Letztlich ist es wohl so, dass wir alle immer wieder zu den verlorenen Schafen gehören, die der Hirte in unwegsamem Gelände sucht.
Mir kommt dabei auch das Bild des verlorenen Sohnes in den Sinn, nicht wie es Jesus erzählt, sondern so, wie sie jeder normale Vater vermutlich mit einen kleinen Kind erlebt, das langsam auf eigenen Beinen steht (mein Sohn 10 Monate alt versucht das gerade sehr ausdauernd), sich auf den Weg macht und ab und zu eben auch verloren geht. Und welcher Vater würde sein Kind, wenn es zum Beispiel im Einkaufstrubel verloren geht, nicht voller Sorge suchen!
Bämm! Das war der Punkt, der mich getroffen hat: das Gleichnis berichtet von der Freude, das verlorene Schaf wiederzufinden. Es erwähnt vergleichsweise kurz die Suche des Hirten: Er geht dem verlorenen Schaf nach, bis er es findet! Sollten wir da nicht alle vor Augen haben, dass es Gott bei der Suche nach seinen verlorenen Schafen nicht darum geht, sein Eigentum zurück zu erlangen, sondern ihn die Sorge um seine Schafe treibt.
Man muss es sich vielleicht auf der Zunge zergehen lassen, um es auch wirklich zu realisieren: Gott sorgt sich um uns! Er sorgt sich um jeden, der vom rechten Weg abkommt nicht rachsüchtig, nicht Strafe fordernd, sondern liebend, wissend, wie gut der rechte Weg und wie schlecht der falsche für uns ist! Wieviel Sorge muss ihn heute umtreiben, wo es so wenige Menschen gibt, die sich ihm zuwenden, sich nicht nur verlaufen haben, sondern sich vor ihm verstecken! Es mag nur ein Bild sein, aber stellen wir uns eine Mutter oder einen Vater vor, der sein Kind sucht, und dessen Sorge immer größer wird, dessen Verzweiflung wächst, je länger die Suche dauert. Sicher ist Verzweiflung nicht die richtige Vokabel für einen Gemütszustand Gottes, aber vielleicht macht uns dieses Bild die Sorge, die Gott um uns hat, deutlich?
Und welche Freude ist es für Gott, die verlorenen Schafe wiederzufinden! Versuchen wir also, auf dem Weg des Glaubens nicht verloren zu gehen! Und versuchen wir, anderen, die verloren zu gehen drohen, zurück zu ihm zu bringen. Sicher hört nicht jeder das Bild von den Schafen gerne, wenn es sich auf ihn selber bezieht. Aber wenn man mal die negativen Konnotationen des Begriffes beiseite lässt, ist es doch auch unsere Aufgabe als Schafe, für andere Schafe die Hirten zu sein. Das ist unsere Aufgabe in der Evangelisierung und die wiederum können wir nur wahrnehmen, wenn wir Teil der Herde bleiben und uns bewusst wird, warum das auch gut ist.
Unversehens sind wir damit wieder beim Jahr des Glaubens, das Papst Benedikt ab Oktober 2012 ausgerufen hat, und dem Auftrag zur Evangelisierung: auch wenn wir selber immer wieder vom Weg abweichen sind wir doch auch aufgefordert, andere auf den richtigen Weg zu führen und dabei selbst immer wieder zurück zu finden oder besser: uns von Gott finden zu lassen! Und uns bei aller Freude über den katholischen Glauben immer auch wieder in Frage zu stellen: lasst uns nicht auf der Seite der Pharisäer stehen! Versuchen wir, immer die 99 Schafe zu sein, die bei der Herde bleiben, und lassen wir uns von unserem Hirten einspannen, auch für die anderen zu Hirten zu werden!