Es ist ein alter Spruch unter Grünen, Linken, Antinationalisten, insgesamt vermeintlich progessiven Kräften, dass die Justiz (und auch Gesetzgeber und Polizei) „auf dem rechten Auge blind“ sei. Alt wie falsch ist dieser Spruch, was jeder weiß, der die Hetzjagden und Shitstorms gegen jene beobachtet, die sich auch nur den Hauch des Konservativen geben, während man die Forderung an sogenannte Antifaschisten, man möge sich doch zum Grundgesetz der Bundesrepublik bekennen, wenn man staatliche, und damit Steuergelder einheimsen will, auf allen Ebenen mit Ablehnung, Unverständnis und Empörung begegnet. Nein, vor linkem Fundamentalismus werden die Augen verschlossen, bei den vermeintlich Rechten dagegen umso genauer hingesehen (daran ändern auch die Zustände in den Ermittlungen gegen die NSU nichts, die gerne als erneuter Beleg für das auf dem rechten Auge blind hervorgekramt werden).
Als Christen und Katholiken könnte einem dieser Disput fast egal sein, weil sich für uns sowohl sozialistische wie auch faschistische (bei beiden egal ob links oder rechts) Positionen fast von selbst ausschließen: Zwangsmaßnahmen, Hass auf Völker oder Schichten, überbordende staatliche Eingriffe, das alles ist unsere Sache nicht. Andererseits sieht man diese Entwicklungen mit Sorge, weil christliche, mithin katholische Positionen oft unter der Rubrik konservativ und damit Rechts subsummiert und damit gesellschaftlich diskreditiert werden. Gegendemonstranten und Berichterstattung in den Medien über den Marsch für das Leben geben ein beredtes Bild darüber ab, wenn man nachzuverfolgen versucht, wie manche Meinungsmacher das Spiel Abtreibungsgegner = Homophob = Rechts spielen.
Innerkirchlich gibt es aber eine ähnliche Thematik: linke oder progressive Katholiken auf der einen, rechte oder konservative Katholiken auf der anderen. Den meisten im Glaubensleben aktive Katholiken sind diese Spannungen durchaus transparent, für Außenstehende ist dieser ich nenne ihn mal so Grabenkampf aber vielleicht nicht immer offen: in den Medien wird in der Regel ein Bild kolportiert, dass deutsche progressive Katholiken inkl. Priester gegen konservative Kräfte in Rom setzt. Konservative katholische Kräfte in Deutschland werden dagegen meist nur als Randerscheinung, rückständig und papsttreu, mit einer negativen Konnotation, betrachtet.
Dieser Blog versteht sich, um in den Kategorien von progressiv oder konservativ zu bleiben, die mir eigentlich nicht so gut gefallen, als konservativ: die Lehre der katholischen Kirche, die nach meinen Begriffen mit der Lehre Christi, Gottes und des Heiligen Geistes übereinstimmt, aufgreifend, wo nötig auch verteidigend, aber in der neuen Zeit, in neuen Medien auch zu vermitteln versuchend. Überlegungen zu Lockerungen des Zölibats, zum Frauenpriestertum und ähnliche vermeintlich progressive Vorschläge (vermeintlich deshalb, weil die Vorschläge so alt sind wie die weltliche Kritik an der Kirche und auch in den Denominationen, die sie umgesetzt haben, die Probleme, die man damit angehen will, nicht gelöst haben) haben hier keinen Platz, es sei denn in der Gegenargumentation.
Auf diese Art und Weise schärft sich bei einem konservativen Katholiken mit der Zeit mehr und mehr der Blick: wer ich heute aus den Medien erfahre, dass der Papst mal wieder etwas ganz unmögliches geäußert habe, dann weiß ich, dass ich die Originalrede oder predigt lesen muss, um festzustellen, was er wirklich gemeint hat mit der Folge, dass ich diese Erkenntnisse dann ab und zu hier veröffentliche. Gleiches gilt auch für konservative Bischöfe und Priester: es gibt auch dort ein paar hervorstechende Persönlichkeiten wie Kardinal Meisner aus Köln, Bischof Tebartz-van-Elst aus Limburg oder Kardinal Woelki aus Berlin, die in der im überwiegenden Maße linken Presse meist nicht gut wegkommen, denen man die Worte auch schon mal im Mund rumdreht, Fakten nicht zur Kenntnis nimmt oder andere überbetont, so dass das Bild rückschrittlicher, fortschrittsfeindlicher Bischöfe gezeichnet wird, mit deren Positionen man sich nicht weiter auseinandersetzen muss. Auch hier gilt: wenn negativ über diese Bischöfe berichtet wird, umso eher kann man davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich etwas sehr Richtiges und Wichtiges gesagt haben. Umgekehrt: wenn die Presse fortschrittlichen Bischöfen applaudiert oder sie auch eine Bevorzugung durch diese Klientel in Ruhe lässt, sollte man sich fragen, ob diese Hirten eigentlich noch der Stachel im Fleisch der Gesellschaft sind, der sie, wie jeder Christ, sein sollten. Zu diesen Bischöfen gehört sicher Dr. Robert Zollitsch, Erzbischof von Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und wie sein Vorgänger im DBK-Amt, Kardinal Lehmann, immer ein bisschen im Verdacht, zu sehr den progressiven Strömungen der Welt zugetan zu sein. Skandale wie der um den kircheneigenen Weltbild-Verlag oder die Initiierung des sogenannten Dialog-Prozesses, in dem ergebnisoffen über kirchenpolitische Themen gesprochen werden soll und eben oft die alten und nur vermeintlich progressiven Ideen debattiert werden, tun dazu ihr übriges, ist der Erzbischof doch durch seine Rolle in der DBK in besonders prominenter Position für diese Themen (wenn er sie auch nicht alleine zu verantworten hat).
Wer sich diesen kritischen Blick auf die Presse und die Kirchenströmungen angewöhnt hat, steht aber gleichzeitig in der Gefahr, diese linke oder progressive Seite mit besonderem Misstrauen zu betrachten. Mir selbst geht das jedenfalls so, und vielleicht vielen anderen auch, sodass ich mich frage, ob wir Konservativen nicht zu leicht in Versuchung geraten um im Bild vom Anfang zu bleiben auf dem linken Auge besonders hellsichtig zu sein?
Besonders gut ist das zu beobachten an den Reaktionen auf die Ansprachen und Predigten der Herbstvollversammlung der DBK, die dieser Tage in Fulda stattfindet. Veröffentlicht wurden bis gestern ein Referat und eine Predigt von Erzbischof Zollitsch und eine Predigt von Kardinal Woelki. Und siehe da: der eine wird verrissen, der andere über den grünen Klee gelobt! Dabei haben beide, ich habe die Texte gelesen und versucht, sie zu verinnerlichen, nichts gesagt, was meinen Widerspruch hervorrufen würde, schauen nur mit unterschiedlicher Blickrichtung auf die aktuellen Strömungen in der Kirche. Interpretiert wird dann aber, schön auch zu sehen an der Vielzahl der Kommentierungen in Medien wie kath.net, dass Erzbischof Zollitsch versucht, mit seinen Dialogbemühungen die Kirchenlehre soweit als möglich auszuhöhlen, während Kardinal Woelki unterstellt wird, mit seiner Predigt den dialogversessenen Bischöfen die Leviten gelesen zu haben. Ich gebe zu: mein erster Eindruck war genau der gleiche! In jedem Satz von Dr. Zollitsch fallen mir Weichmacher auf, in jedem von Woelki der Hinweis auf Grenzen des Dialogs, den Wert des Lebens und die Notwendigkeit als Christen zu handeln. Ist aber ein Dialog, ist der Austausch mit denen, die anderer Meinung sind als ich nicht auch ein Merkmal christlichen Lebens (selbstverständlich ohne dabei von der Wahrheit abzurücken)? Ist umgekehrt eine Predigt und die Herkunft aus dem Stall Kardinal Meisners schon ausreichend um einen Vertrauensvorsprung in der Annahme, man sei schon auf dem richtigen Weg, zu geben?
Ich möchte nicht missverstanden werden: mir gefallen die klaren Worte Woelkis ausnehmend gut, und wenn er sich gegen ein ewiges Palavern wendet, dann findet das auch meine Zustimmung. Die in vielen konservativen Kreisen daraus resultierende Basta-Mentalität ist aber sicher nicht hilfreich im Gespräch mit Andersdenkenden und so vermute ich auch nicht im Sinne eines Kardinals Woelki. Beide haben sicher ganz unterschiedliche Mentalitäten, aber ich bin nicht sicher, ob sie sich theologisch tatsächlich als Gegner betrachten würden. Möglicherweise sind Erzbischof Zollitsch und Kardinal Woelki beide in der Lage, die Predigten des jeweils anderen ebenfalls zu unterschreiben und spannend wäre sicher, wenn sie ihre Predigten einmal tauschen würden und zu beobachten, wie die Reaktionen dann ausfielen.
Mein Plaidoyer lautet darauf lege ich Wert nicht, Positionen der Kirche zu räumen, vor Fehlentwicklungen die Augen zu verschließen oder den kritischen Blick auf den Dialogprozess einem naiven Die-machen-das-schon-richtig-Glauben weichen zu lassen. Ich selbst muss aber daran arbeiten, mehr zu differenzieren zwischen dem, was gesprochen oder geschrieben wurde und meiner Erwartungshaltung dem Sprechenden gegenüber. Vielleicht ist das ja auch ein Impuls für den einen oder anderen Leser dieses Blogs? Wenn nicht innerhalb der Kirche, wo sonst sollte es möglich sein, unvoreingenommen dem Anderen zuzuhören, auch und vor allem, wenn sich mir seine Position nicht auf Anhieb erschließt?