Ist Populismus schädlich? Nicht wenn der Begriff die Bedeutung einnimmt, die etablierte Parteien ihm verpassen wollen.
Zieht man den Duden zu Rate, dann ist Populismus eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen“. Opportunismus? Demagogie? Das lassen sich wohl die meisten ungern sagen, weshalb der Begriff des Populismus auch ein so beliebter in der unsachlichen politischen Auseinandersetzung ist. Umgangssprachlich wird damit auch das Aussprechen vermeintlich einfacher – oder vereinfachter – Wahrheiten, wie „das Volk“ sie hören will, bezeichnet (wiederum mit einer politischen Zielsetzung verbunden, meist dem Machtgewinn). Interessant an diesem Begriffsverständnis ist, dass es sich dabei um etwas im Kern gänzlich unideologisches handelt: Die Dramatisierung der politischen Lage, der Opportunismus, Volksnähe – das alles ist erst mal politisch völlig neutral. Insofern gibt es logischerweise sowohl einen Linkspopulismus (wie z.B. die These, dass durch höhere Erbschaftsbesteuerung ein angenommenes Gerechtigkeitsgefälle der Gesellschaft gelöst werden könnte) als auch einen Rechtspopulismus (der bspw. die These vertritt, Ausländer seien Schuld an einer – manchmal ebenfalls nur angenommenen – Misere). Dahinter steht dann eine Ideologie, die sich des Populismus bedient.Damit erhält der Populismus den Geruch der Unehrlichkeit: Mag ja sein, dass die vertretene Position korrekt ist, Wählerstimmen versucht man aber, mit dem Mittel des „nach dem Mund reden“ zu gewinnen. Der Populist sagt, was er glaubt, dass das Volk hören will, um Dinge durchzusetzen, die damit nicht zwingend etwas zu tun haben müssen. Natürlich können sie aber damit zu tun haben, auch der „überzeugte Populist“ ist eine Variante, die es zu betrachten gilt: Der, der meint, was er sagt, „obwohl“ das Volk – oder zumindest ein großer Teil davon – es gerne hören will. Ist das dann aber überhaupt noch Populismus? So jemandem fehlt dann die Eigenschaft des Opportunismus: Er würde seine Position auch vertreten, wenn es nicht gelegen käme.
Demokratisch gesehen wird es nun kompliziert: Welche Positionen sollte denn ein Politiker oder eine Partei vertreten? Bis vor einigen Jahren galt die Regel, dass eine Partei eigene Überzeugungen vertritt und für sie wirbt. Änderungen an dieser Überzeugung sind durchaus im Zeitablauf möglich, Umbrüche verbieten sich aber mit einer solchen Sicht direkt. Die Partei wäre insofern eine überzeugte „Person“, Politiker, die diese Position im Wesentlichen teilen, werden sich ihr anschließen. Wer überzeugter Sozialist ist, wird sich den Linken anschließen, nicht der CDU, um sie sozialistisch zu machen, ein Liberaler schließt sich eher der FDP an, als einer der (noch mehr) kollektivistisch denkenden Parteien eine andere Weltsicht nahezubringen. Das beinhaltet allerdings, dass man damit bei Wahlen auch auf die Nase fallen kann: Wenn das eigene Weltbild nicht mehrheitsfähig ist und man nicht mit unlauteren Mitteln agieren möchte, kann es vorkommen, dass eine Partei, die bisher als Volkspartei gehandelt wurde, plötzlich unter ferner liefen liegt. Dann zeigt sich das Rückgrat. … oder dessen Fehlen: Bleiben die Vertreter einer Partei standhaft bei ihrer Überzeugung oder wandern sie mit (vermeintlichen) gesellschaftlichen Mehrheiten mit?
Beispielhaft kann man hier die Entwicklung der CDU anführen, die in vielen Themenfeldern, von der Familien-, über die Energie- und Verteidigungs- bis zur Migrationspolitik einen deutlichen Linksschwenk vorgenommen hat, in der Erwartung, damit gesellschaftliche Mehrheiten besser zu treffen. Eine ähnliche Reise unternimmt die SPD in der Suche nach Mehrheiten, und hat die FDP unternommen in der Suche nach einer Regierungsbeteiligung. Im Kern entspricht das einem anderen Parteien vorgeworfenen Opportunismus … und ob diese Taktik erfolgversprechend ist, kann jeder an den Wahlergebnissen ablesen. Eine sichere Konsequenz ist aber, dass bisherige Anhänger einer Partei, die partout ihre Überzeugungen nicht aufgeben wollen, plötzlich politisch heimatlos dastehen: Wer Gender-Unsinn, Reduzierung der Bundeswehr, Atomausstieg oder die Politik des freundlichen Gesichts nicht mittragen möchte, muss sich anders orientieren.
In auf diese Art entstehende Lücken stoßen neue Parteien, die sich als „Alternative“ zu den bisherigen, etablierten Parteien verstehen und diejenigen Wähler auffangen, die sich von der Politik einer vermeintlichen Mehrheit nicht mehr vertreten fühlen. Dass in diesen Neugründungen auch Vertreter etablierter Parteien aktiv werden ist kein Wunder, stehen sie damit doch für ihre Überzeugungen ein, auch wenn es derartige Alternativen – ob nach links oder rechts – mitunter übertreiben. Je weiter sich aber eine etablierte Partei von ihrem alten „Markenkern“ entfernt, mit dem Ziel weiterhin Mehrheiten bilden zu können, umso wahrscheinlicher erscheint ein Szenario, in dem sich eine neue Partei etabliert, die an einem entstehenden „Rand“ die Wähler auffängt.
Auffallend ist in der derzeitigen politischen Situation, dass sich die erwartbare Mehrheit der Wähler tatsächlich in der Mitte findet, wo sich Union und SPD, eventuell noch Grüne die größten Milieus aufteilen. Rechts oder links der Mitte wird es dagegen eher dünn mit Wählerpotenzialen von vielleicht bis zu 20 -bis höchstens 30 %, die dazwischenliegenden strukturellen Mehrheiten von zusammen 40 – 60 % lassen sich damit aber kaum übertrumpfen. Echter Machtgewinn – abgesehen vom Einfluss auf den politischen Diskurs – ist so kaum möglich.
Was heißt das zusammenfassend? Etablierte Parteien versuchen, dem Volk auf’s Maul zu schauen und laufen scheinbar erfolgversprechenden Wählerpotenzialen hinterher um ihre Macht zu sichern. Da es sich dabei aber um etablierte Parteien handelt, klingt ihre „Ausrede“, in die Mitte der Gesellschaft integrieren zu wollen, durchaus akzeptabel. Diejenigen, die den geräumten politischen Positionen treu bleiben (und – zugegeben – über den jeweiligen Rand ausdehnen) und als Partei die davon überzeugten Wähler gewinnen, finden sich dann marginalisiert wieder, werden als Extremisten, bestenfalls eben als Populisten bezeichnet – eine grandiose Umkehrung der Verhältnisse!
Betrachtet man also als Populismus das Hinterlaufen hinter vermeintlichen Wählerentwicklungen zum Zwecke des Machterhalts, um mit einfachen Phrasen, die Vertrauen einflößen sollen, intellektuell überforderte Wähler zu ködern dann kann man dem eine moralische Minderwertigkeit nicht absprechen. Bedeutet aber Populismus, für Überzeugungen einzustehen, Wähler mit gleicher Position zu binden und andere Wähler davon zu überzeugen, dann kann ein Parteiensystem von solchen Populisten eigentlich gar nicht genug haben.
Andreas
Ich kann da in weiten Teilen mitgehen, als hehre Anforderung an den Sollzustand an die Demokratie.
Leider ist die Lage aus meiner Sicht aber deutlich unschöner.
In dieser Woche war erstmals in der Welt zu lesen, dass der Verdacht besteht, dass Brandanschläge und Gewaltaktionen gegen u. a. die AFD von extremistischen Gruppen begangen werden, die finanzielle Zuwendungen aus dem Bundesfamilienministerium erhalten.
Wenn davon auch nur ein Hauch wahr ist, haben wir wahrlich größere Probleme, als uns über Populismus sorgen zu machen.
Vielleicht hat ja noch jemand Lust, dass Bundesfamlienministerium um Stellungnahme zu bitten?
Konrad Kugler
Ou, verreck! [Das ist ein Ausdruck großer Überraschung, keineswegs soll irgend einer das tun] Do langt net: „Nix g´sagt ist g´lobt gnua!“
Jetzt wünsche ich mir nur noch diesen Text etwas gestrafft, also handlich gemacht, daß er für den täglichen Diskurs einsetzbar ist.
Ich habe eher die Fähigkeit, Schlagwörter zu bilden. In diesem Fall: „Alle Populisten machen erfolgreichere Populisten schlecht.“
Vielen Dank für konsequentes Denken.
Siegfried Simperl
Diffuse Wut gewinnt überall in Deutschland an Zugkraft. Der wütende, spontane Protest – auch als Episode – ist zum prägenden Muster für einen Gefühlscocktail aus Entfremdung, Ausgrenzung und (Zukunfts-) Angst geworden. Nicht-gehört-werden, das Gefühl der Ohnmacht und Politikverweigerung breiten sich aus. Der Begriff der „Entheimatung“, der kulturelle und ökonomische Prozesse vereint, trifft das Phänomen recht gut.
Angetrieben wird das Wutbürgertum durch das diffuse Gefühl, in einer komplexen, globalisierten Wirtschaftswelt 4.0 n i c h t mehr mitzukommen, entwurzelt zu werden. 15 % der Bevölkerung (vgl. Armin Schäfer, Uni Osnabrück) sind bereits ausgekoppelt; ein beachtlicher weiterer Teil fürchtet sozialen Abstieg und hat den Eindruck, dass seine (bedrohte) Lebenslage die etablierte Politik nicht interessiert. Bei dieser Gruppe verstärkt sich der Eindruck, dass ihre drohende Abkopplung von Arbeit, Status, eigenem Einkommen etc. unaufhaltsam ist.
Weil sich aus Sicht der Bürger nichts oder zu wenig in ihrem Sinne ändert und sie ihre (oft bescheidenen) „Besitzstände“ bedroht sehen, wächst die Bereitschaft zur Empörung. Weil die großen Fragen scheinbar unlösbar – oder an unerreichbare Institutionen ausgelagert wurden, wächst die Bedeutung der „kleinen Fragen“ im Nahbereich der Menschen. Nach dem Motto: „Wenn schon Steuern und Abgaben steigen, dann will ich wenigstens Belastungen im Nahbereich (z.B. Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft etc.) unterbinden. Das Nimbi-Prinzip breitet sich aus: not in my neighbourhood!
Das Treibmittel der empörten Bürger ist die Angst vor der Angst. Die Angst vor dem Abstieg, die Angst vor Entwurzelung und Verlust. Die Angst in künftigen Verteilungskonflikten Verlierer zu sein.
Wutbürger setzen eher auf Emotion und Unbedingtheit statt auf rationalen Diskurs und geduldiges Argumentieren. Max Frischs Kernsatz „Überzeugt Sie Ihre Selbstkritik?“ findet hier keine Resonanz. Erreichen sie eine gewisse kritische Masse, berichten die Medien und verstärken damit Aufmerksamkeit. Viele Wutbürger haben erkannt, dass diese harte Linie, incl. der kalkulierten Verweigerung gegenüber den Medien, mehr Resonanz bringt als die geduldige Arbeit von Bürgerinitiativen. Diese Methode ist bequemer und entspricht einem verbreiteten Zeitgeist. Da die Erwartung an Lösungen in i h r e m Sinne ohnehin gering sind, setzen sie zunächst einmal alles auf eine Karte, geben sich rücksichtslos und kultivieren damit ihre oft (diffuse) Verdrossenheit.
Es ist die Aufgabe der etablierten Parteien auf Einwände und Proteste aus der Bevölkerung einzugehen und diese nicht totzuschweigen oder mit sturer Ignoranz wegzusehen. Dafür sind Parteien nun einmal da. Wenn aber plötzlich 16% der Wähler einfach unter “sonstige” versteckt werden obwohl sie zweitstärkste Partei sind, dann müssen sich die etablierten Parteien nicht wundern, wenn Populisten immer mehr Zulauf erhalten. Der Zulauf nährt sich nämlich aus der Erfahrung ignoriert, abgewiesen und systematisch ausgegrenzt zu werden. Und aus der Wut darüber.
Ignoranz, Abweisung und Ausgrenzung sind Methoden die im Zusammenhang mit Zuwanderung immer wieder als fremdenfeindlich oder gar rassistisch angeprangert werden. Gleichzeitig wird in diesem Zusammenhang mit den gleichen Methoden gegen Einwände und Proteste aus der Bevölkerung gearbeitet. Das kann doch nicht gut gehen!