Was hat das Jahr der Barmherzigkeit mit dem Welttag der sozialen Kommunikationsmittel zu tun? Papst Franziskus findet: Eine Menge!
„Das Internet ist für uns alle Neuland“ – dieses Kanzlerinnenzitat hat vor einigen Monaten Furore gemacht. Das Internet ist seit Mitte der 90er Jahre in den Wohn- und Arbeitszimmern der Menschen angekommen. Ohne Internet sind die meisten der aktuellen Geschäftsmodelle gar nicht mehr vorstellbar. Es gibt in der Neuzeit wohl keine Erfindung, die das Leben so schnell so nachhaltig geändert hat, wie das Internet. Und das ist ein laufender Prozess, der andauert, sich in Wellen auch immer wieder beschleunigt. Darum kann man es einerseits eher komisch bis anrührend finden, wenn die Bundeskanzlerin von Neuland redet. Andererseits heißt die schon seit Jahren stattfindende Entwicklung einer Technologie noch lange nicht, dass man auch gesellschaftlich Schritt hält.
Welttag der sozialen Kommunikationsmittel
Der „Welttag der sozialen Kommunikationsmittel“, 1967 von Papst Paul VI. als „Welttag der Massenmedien“ eingeführt und in Deutschland am zweiten Sonntag im September begangen, spricht genau diese Problematik an. Am Festtag des Heiligen Franz von Sales (24.01.), Patron der Journalisten, veröffentlicht seither der jeweilige Papst eine Botschaft zu diesem Thema. Leider geht ein solches Schreiben schnell unter, vor allem dann, wenn man die Menge an Botschaften, Katechesen, Interviews etc. des aktuellen Papstes sieht. Darum bin ich erst jetzt wieder auf Papst Franziskus Botschaft zum diesjährigen Tag gestoßen. Und es wäre sträflich, sich die nicht zu Gemüte zu führen, macht sie doch deutlich, wo für Christen die Problematik der sozialen Kommunikationsmittel liegt.
Dabei wendet sich die Botschaft traditionell an Medienschaffende, aber gerade hier liegt eine Neuerung, die mit dem Internet und Angeboten wie Facebook, Twitter etc. Einzug gehalten hat. Jeder ist heute Medienschaffender, oder kann es zumindest sein. Wer in den sozialen Medien veröffentlicht, macht diese auch öffentlich – manche nur einem überschaubaren Bekanntenkreis, viele aber einer breiten Leserschaft. Das eröffnet Freiheiten in der Verbreitung der persönlichen Meinung und in der Art des Austauschs mit anderen. Diese Freiheit erfordert aber auch ein Mindestmaß an Verantwortungsübernahme. Die thematisiert Papst Franziskus in seiner diesjährigen Botschaft – passend zum Jubiläumsjahr – in Bezug auf die Barmherzigkeit.
Barmherzigkeit – Immer!
Barmherzigkeit ist kein Thema für bestimmte Situationen: So wie Gott immer barmherzig ist, so ist es auch der Anspruch an uns, immer barmherzig zu sein. Da stellt sich die Frage: Lässt sich diese Barmherzigkeit an der Art unserer Kommunikation ablesen? Oder regiert an vielen Stellen eine – nur scheinbar berechtigte – Härte und Unbarmherzigkeit? Oder wie es der Papst direkt im ersten Absatz der Botschaft formuliert:
Was wir sagen und wie wir es sagen, jedes Wort und jede Geste müsste imstande sein, das Mitleid, die Zärtlichkeit und die Vergebung auszudrücken, die Gott allen entgegenbringt.
Das klingt wie ein hehrer Anspruch, der aber für einen Christen nicht so schnell vom Tisch zu wischen ist. Möglicherweise kann man mit dieser Einstellung nicht jeden „Punktsieg“ in der Argumentation erringen, möglicherweise hagelt es für Formulierungen, die diesem Anspruch genügen, nicht gerade einen Haufen „Likes“. Gerade hier muss man sich aber dann als „kleiner Medienschaffender“ fragen: Will ich Likes, will ich Zugriffszahlen … oder will ich ein Freund Jesu sein, mich verhalten, wie er sich verhalten würde?
„Nur mit Liebe …“
Aber verliert dann die Botschaft nicht allzu sehr an Prägnanz, auch an notwendiger Breitenwirkung? Niemand hat gesagt, dass es einfach wäre, ein christliches Leben zu führen, und so geht der Papst auch auf kritische Situationen ein:
Das Wort des Christen entspringt dagegen dem Wunsch, Gemeinschaft wachsen zu lassen, und versucht selbst dann, wenn es das Böse unnachgiebig verurteilen muss, niemals die Beziehung und die Kommunikation abzubrechen.
oder
Nur mit Liebe gesprochene und von Sanftmut und Barmherzigkeit begleitete Worte treffen die Herzen von uns Sündern. Harte oder moralistische Worte laufen Gefahr, diejenigen, die wir zur Umkehr bewegen und in die Freiheit führen möchten, weiter zu entfernen, indem wir ihre innere Haltung der Weigerung und Abwehr stärken.
Zu idealistisch?
Ich kann selbst nicht behaupten, in dieser Hinsicht immer als Vorbild zu dienen. Vermutlich wird sich der Papst selbst dieses Prädikat nicht anheften wollen. Aber der Anspruch darf nicht geringer sein. Ist aber, wenn man sieht, dass man einen Anspruch immer wieder verfehlt, an den sich der Diskursgegner vielleicht gar nicht zu halten gedenkt, nicht zu idealistisch und übertrieben nachsichtig?
Der Einwand ging mir fast wortwörtlich durch den Kopf – und wie gut, dass der Papst genau darauf eingeht. Seine Erläuterungen machen das Leben nicht einfacher, aber sie klären, woran ich mich zu messen habe:
Manche meinen, eine auf Barmherzigkeit gegründete Sicht der Gesellschaft sei unentschuldbar idealistisch oder übertrieben nachsichtig. Doch versuchen wir einmal, an unsere ersten Erfahrungen von Beziehung im Schoß der Familie zurückzudenken. Unsere Eltern haben uns mehr für das, was wir sind, geliebt und geschätzt, als für unsere Fähigkeiten und unsere Erfolge. Die Eltern wollen natürlich das Beste für ihre Kinder, aber ihre Liebe ist nie abhängig vom Erreichen der Ziele. Das Elternhaus ist der Ort, wo du immer aufgenommen wirst (vgl. Lk 15,11-32). Ich möchte alle ermutigen, die menschliche Gesellschaft nicht als einen Raum zu verstehen, in dem Fremde Konkurrenz machen und versuchen sich durchzusetzen, sondern vielmehr als ein Haus oder eine Familie, wo die Tür immer offen steht und man versucht, einander anzunehmen.
Nicht gewinnen sondern verbinden
Ziel der Kommunikation darf für einen Christen nicht sein, zu „gewinnen“, sondern in Liebe und Barmherzigkeit den Anderen zu erreichen, vielleicht auch die vielen Anderen, aber dann nicht auf Kosten des einen Anderen. Schlagkräftige Pointen, die den Anderen schlecht dastehen lassen verbieten sich dann (nebenbei, bevor jemand jubelt: Egal aus welcher (kirchen-) politischen Richtung man argumentiert). Verletzende Wortwahl – sowieso nicht Teil christlicher Kommunikation – ist gerade im Bereich der sozialen Medien mit ihren großen Verbreitungsmöglichkeiten ein christliches No-Go.
Dabei geht es, so macht es der Papst deutlich, nicht um ein Schleifen der Wahrheit. Es geht darum, die Wahrheit in einer Art und Weise zu vermitteln, dass zumindest eine Chance besteht, dass sie auch angenommen wird. Dem Anderen die Wahrheit wie einen nassen Lappen um die Ohren zu hauen, war noch nie sonderlich konstruktiv, und wird es am Facebook-Pranger erst Recht nicht.
„Nahesein“
Der Papst geht noch auf andere Aspekte der Kommunikation in den sozialen Medien ein, mir scheinen aber gerade die Barmherzigkeit und ihre Bedeutung für diese Art des Miteinanders von besonderer Bedeutung. Besser sagt das allerdings Papst Franziskus zum Abschluss seiner Botschaft:
Die Begegnung von Kommunikation und Barmherzigkeit ist in dem Maße fruchtbar, in dem es ein Nahesein hervorbringt, das sich des anderen annimmt, ihn tröstet, heilt, begleitet und mit ihm feiert. In einer geteilten, aufgesplitterten, polarisierten Welt eine Kommunikation in Barmherzigkeit zu pflegen bedeutet, einen Beitrag zu leisten zu einem guten, freien und solidarischen Nahesein unter Kindern Gottes und Brüdern und Schwestern im Menschsein.
Wie immer macht es uns Jesus Christus, unser Glaube, und als dessen Vertreter der Papst nicht leicht. Aber – ich erwähnte es schon – niemand hat gesagt, dass es leicht sein würde. Der Anspruch an unseren christlichen Umgang mit sozialen Medien ist hoch. Ich selbst kann nicht sagen, dass ich ihn erfülle, und es braucht wohl noch eine Menge Eingewöhnung, bis „Online-Kommunikation“ so laufen kann wie das Gespräch oder die Diskussion von Angesicht zu Angesicht. Insofern – bei aller Unbedarftheit der Formulierung: Ja, in diesem Sinne ist das Internet noch immer Neuland für mich.