Am Vorbild Jesu und an seinem Liebesgebot werden wir als Christen nicht vorbei kommen (und sollten das auch nicht wollen). Allerdings auch nicht an der Vernunft.
Wenn es einen Grundzug in meinem Glaubensleben gibt, dann den, von einem vernunftmäßigen Zugang zum katholischen Glauben immer mehr in Richtung einer Beziehung mit Christus zu kommen. Ob dieser Weg repräsentativ ist, kann ich gar nicht sagen, aber mir scheint, beide Seiten sind notwendig für eine tiefe Glaubensüberzeugung. Die reine Beziehungserfahrung läuft Gefahr, schnell in beliebe Gefühligkeit abzudriften, und alles gutzuheißen, was sich auf den ersten Blick gut anfühlt. Ein rein auf die Theologie als Bibel- und Religionsstudium basierender Glaube, kann dagegen schnell zu einer Gesetzesreligion verkommen, von dem wir aus eben jener Bibel wissen, dass sie wohl nicht das Ziel Jesu gewesen sein kann.
Grenzen der Liebe?
Beide Grundüberzeugungen weisen aber in eine Richtung, an der man als Christ nicht vorbei kommt: Das Liebesgebot – Gott ist die Liebe, und seine Liebe zu uns ist vollständig und bedingungslos. Das kann man in der Bibel nachlesen, das kann man der Theologie entnehmen, und man kann diese genauso in der persönlichen Christusbeziehung erfahren: Er hat sich für uns geopfert, als wir noch Sünder waren. Ich habe Gottes Liebe nicht „verdient“, und er schenkt sie mir trotzdem. Und wenn ich ihm nachfolgen soll, dann bin auch ich dazu aufgefordert, so zu lieben … mich zumindest darum zu bemühen, und mich bei Rückschlägen nicht mit allerlei Ausreden exkulpieren zu wollen.
Eine solche bedingungslose Liebe kann nicht begrenzt werden. Ich bin aufgefordert, einen Menschen auch dann zu lieben, wenn er mir Böses will. Ich soll einen Menschen auch dann lieben, wenn er mich verletzt hat, und auch dann, wenn er keine Reue zeigt, geschweige denn, mich um Verzeihung gebeten hätte. Und ich kann meine Liebe auch nicht auf diejenigen begrenzen, die mich lieben oder mir wohlgesonnen sind oder mir zumindest neutral gegenüberstehen.
Sophistische Argumente
Was auch nicht geht ist eine regionale Einschränkung: Natürlich fallen mir Notsituationen, die meine liebevolle Reaktion erfordern, im näheren Umfeld mehr auf und ich fühle mich eher denjenigen als Nächsten verpflichtet, die in meiner unmittelbaren Umgebung leben. Aber das heißt nicht, dass mir das Schicksal der Menschen egal sein kann, die am anderen Ende der Welt in Not geraten. Hilfe ist geboten auch gegenüber denjenigen, die mir räumlich und/oder geistlich fernstehen. Ob ich also einem Christen eher helfen sollte als einem Moslem oder einem Atheisten ist ein sophistisches Argument, bei dem mich der Argwohn beschleicht, dass damit der günstige Umstand ausgenutzt werden soll, dass es denen in der Nähe – räumlich wie geistlich – idealerweise an nichts Lebensnotwendigem mangelt.
Das gleiche gilt auch für die Frage, was denn „Not“, die zur liebenden Hilfe auffordert, eigentlich ist. Ist in unseren Breiten ein unterdurchschnittlicher Lebensstandard schon Not? Diesem eher sozialistischen Ansatz von Gleichmacherei mag ich nicht folgen, aber in den meisten Fällen geht es darum auch gar nicht. Wenn jemand Hunger hat, von Verfolgung und Folter an Leib und Leben bedroht ist, ist er in Not. Ein „Sozialstaat“ muss die Grenzen dieser Not definieren, um Missbrauch zu unterbinden, der Christ aber muss sein hoffentlich geschultes Gewissen konsultieren.
Liebe und Verantwortung
Sind dann die Menschen, die aus Nordafrika nach Europa fliehen und nach Deutschland streben in Not? Oder, um noch konkreter auf eine aktuelle Diskussion einzugehen: Ist jemand nur deshalb nicht per definition in Not, wenn er sich selbst in Not gebracht hat, in dem er auf ein nicht seetüchtiges Boot steigt, in der Erwartung auf irgendeine Weise damit schon in Nordeuropa zu landen? In Deutschland werden, vielleicht ist das eine treffende Analogie, auch solche Bergsteiger „aus der Wand geholt“, die sich leichtsinnig in eine solche Situation gebracht haben. Haben sie diese Hilfe einkalkuliert? Selbst wenn, ist das kein Argument, nicht zu helfen. Die Liebe zu den Menschen, zu jedem einzelnen, gebietet es, dessen Leben zu retten oder entsprechende organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen.
Das Leben eines Menschen zu retten ist aber etwas ganz anderes, als ihn dafür dann auch nach Hause einzuladen. Hilfe zu leisten heißt nicht gleichzeitig, alles zu erfüllen, was sich der Hilfsbedürftige erwartet. Das heißt insbesondere, dass auch die Folgen einer solchen erweiterten Hilfe, über die Existenzsicherung des Hilfsbedürftigen hinaus, betrachtet werden müssen. Soziale und kulturelle Verwerfungen in Kauf zu nehmen, ist so wenig liebevoll und verantwortungserfüllend wie die Ablehnung von Hilfe für Menschen in Not.
Keine einfachen Antworten
Wenn heute die einen meinen, man könne Menschen, die sich absichtlich in Not gebracht haben, um sich dann retten zu lassen und in Deutschland landen zu können, einfach ihrem Schicksal überlassen, argumentieren sie genauso wenig liebevoll wie die anderen, die meinen, man könne diesen Menschen ein Aufenthaltsrecht in Deutschland attestieren, das von anderen zu gewähren und sicherzustellen sei, vernünftig argumentieren. Populisten auf beiden Seiten übersehen, dass es für solche moralische Fragen keine einfache Antworten gibt, weder aus dem Gefühl noch aus dem Verstand heraus.
Ich habe für dieses Thema keine pauschale Lösung, nur die Gewissheit, dass sie nicht im politischen Bereich zu finden sein wird. Nur die Nachfolge Jesu, sein Vorbild, die zehn Gebote und die Bergpredigt, das doppelte Liebesgebot Jesu, liefern Hinweise.
Gregor
Ein Beitrag, der mich zum Nachdenken, aber auch Antworten bewegt.
Denn so wie Ihnen geht es Millionen in diesem Land. Auch mir!
Da sind Sie nicht allein.
Aber Sie unterliegen einem elementaren Irrtum:
Nicht Sie, sondern die, die Ihnen den Eindruck vermitteln wollen, ein Außenseiter zu sein, sind die, die menschlich und christlich gefehlt haben.
Befreien Sie Sich aus der Zwickmühle, sich als schlechter Mensch zu fühlen, wenn Sie politische Veränderungen, die sich von bösen Menschen für Sie ausgedacht wurden, nicht als moralisch zwingend vorschreiben lassen wollen.
Denn das ist genau der Trick, mit dem derzeit die ganze Nation; sogar ganz Europa, in gotteslästerlicher Weise in Geiselhaft genommen wird.
Ob „Flüchtling“, ob Klima, ob Geschlechterkampf, ob sexuelle Ausrichtung: immer sollen Sie ein schlechter Mensch sein, wenn Sie der politisch gewünschten Richtung nicht folgen.
Man setzt die Weigerung der Folgschaft neuerdings auch mit den Taten von Menschen gleich, die unter der Tarnkappe des Nationalismus ihre eigenen verbrecherischen Phantasien an Schwächeren ausgelebt und dabei Hunderttausende getötet haben, obwohl die allermeisten jetzt Aufbegehrenden schon immer gegen Faschismus und Nationalsozialismus waren.
Wenn Sie das Prinzip der moralischen Geiselhaft erst einmal verstanden haben, werden Sie immun dagegen.
Leider aber auch sehr einsam, denn nichts ist schlimmer, als inmitten der Gesellschaft von Leuten zu leben, die die eigene Position verachten und nicht nachvollziehen können oder, viel schlimmer noch: wollen.
Sparen Sie Sich deswegen auch Erklärungsversuche oder Diskussionen; Sie werden nicht einen Einzigen bekehren.
Dieses System ist so glatt und schlüssig durchkonstruiert, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß so etwas aus sich selbst entstehen konnte, sondern daß da vorher mit Riesenaufwand und extremem Eifer daran gearbeitet wurde, um genau diesen Zustand herzustellen.
Wenn Sie Sich wirklich sorgen wollen, sorgen Sie Sich nicht um „Flüchtlinge“. Die sind ebenfalls nur Munition und damit Opfer in diesem Kampf.
Suchen Sie nach den Initiatoren.
Sie, Herr Honekamp, haben als Glaubender und Selbstzweifler alles moralische Recht dazu.
Und vielleicht auch die Pflicht.