Zwischen kirchlichen Liturgiediskussionen und realen Zuständen liegen bisweilen Welten. Je wärmer es wird, um so deutlicher wird das.
Erst in die Messe, dann zum Badesee? Oder umgekehrt? Das scheinen sich nicht wenige Katholiken gefragt zu haben, die am gestrigen Sonntag vor der Entscheidung standen, was sie denn anziehen sollen. Gefühlte 30° schon morgens früh, anschwellende Schwüle … ich kann jeden verstehen, der sich an solchen Tagen möglichst leicht kleidet!
Im Kontrast dazu: Am 4.6. empfing Papst em. Benedikt XVI. in Castel Gandolfo die Ehrendoktorwürde der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. und der Musik-Akademie von Krakau und ging in seiner Ansprache auf die Wurzeln und die Bedeutung der Musik ein, besonders im Hinblick auf das Lob Gottes. Er macht darin auf das Spannungsfeld der „heiligen Musik“ und der „participatio actuosa“, der tätigen Teilnahme der Gläubigen an der Messe aufmerksam (Text von Radio Vatican):
Maßgebende Kreise der Liturgischen Bewegung waren der Meinung, die großen Chorwerke und gar die Orchester-Messen hätten in Zukunft nur noch Raum in den Konzertsälen, nicht in der Liturgie. In ihr könne nur das gemeinsame Singen und Beten aller Gläubigen Platz haben. Auf der anderen Seite war da das Erschrecken über die kulturelle Verarmung der Kirche, die damit verbunden sein mußte. Wie läßt sich beides zusammenbringen? […]
Wenn wir an die vom heiligen Johannes Paul II. in allen Kontinenten gefeierte Liturgie denken, sehen wir die ganze Breite der Ausdrucksmöglichkeit des Glaubens im liturgischen Geschehen, und wir sehen auch, wie die große Musik der abendländischen Tradition nicht liturgiefremd ist, sondern aus ihr gewachsen und so immer neu mitgestaltend. Wir wissen nicht, wie es mit unserer Kultur und mit der Kirchenmusik weitergeht. Aber eines ist klar: Wo wirklich Begegnung mit dem in Christus auf uns zugehenden lebendigen Gott geschieht, wächst auch immer wieder Antwort, deren Schönheit aus der Wahrheit selber kommt.
Benedikt XVI. erinnert dabei auch an die Grundlagen der Musik, die er in der Liebe, in der Erfahrung von Trauer und Tod und – in besonderem Maße und die ersten beiden Punkte einschließend – in der Begegnung mit dem Göttlichen sieht. Er weist auch auf den interessanten Aspekt hin, dass es in vielen Religionen Formen künstlerischen Ausdrucks wie die Literatur oder die Architektur gibt, es aber Musik „in der Größenordnung, wie sie im Raum des christlichen Glaubens entstanden ist – von Palestrina, Bach, Händel zu Mozart, zu Beethoven und zu Bruckner – […] in keinem anderen Kulturraum [gibt].“
Und wieder zurück in die Messe am sommerlichen Sonntag: Natürlich kann man verstehen, dass ein Pastor die Gemeinde nicht zu lange in der Messe und der leider nicht optimal zu lüftenden Kirche festhalten will. Natürlich kann man verstehen, dass man eher leichte, sommerliche Musik genießt, statt schwerer liturgischer Kost. Und natürlich kann man verstehen, dass man sich an einem solchen Tag nicht hochgeschlossen im Anzug zur Kirche begibt. Ich selbst kleide mich im Sommer auch zur Messe leichter als ich das normal tue.
Aber irgendwo zwischen den liturgischen Überlegungen unseres emeritierten Papstes und dem Auftauchen von nackten Männerbeinen in Shorts mit Flip-Flops an den Füßen muss es doch einen Mittelweg geben, der deutlich macht, was in der Messe gefeiert wird. Nein, ich will keine Spaßbremse sein: Kinder muss man an solchen Tagen nicht in lange Hosen zwängen, Anzüge und Kostüme sind nicht notwendig. Aber vielleicht kann man die Frage vor dem Kleiderschrank statt „Erst in die Messe und dann zum Badesee?“ ja auch anders stellen:
Wenn der Papst sagt, dass manche meinen, große Messgesänge gehörten nur noch in Konzertsäle, könnte man sich dann nicht dennoch fragen, ob man sich nicht im Angesicht Gottes mindestens so angemessen kleiden möchte, wie beim Besuch eines Konzertes? Auch hier verlangt niemand Kleidung, die einem die Luft abschnürt, hat man Verständnis für leichtere Kleidung an heißen Sommertagen. Aber in Badelatschen wird man auch in einem Konzertsaal – zu Recht – schief angesehen. Hat Gott selbst nicht mindestens den gleichen Anspruch auf Respekt?