Der folgende Beitrag ist inspiriert aus einer Betrachtung zur Sünde und Hoffnungslosigkeit von Jorge Mario Bergoglio, heute Papst Franziskus, veröffentlicht in Offener Geist und gläubiges Herz: Biblische Betrachtungen eines Seelsorgers. Anlass für diesen Beitrag ist jedoch eine persönliche Erfahrung, die zu diesem gerade von mir gelesenen Abschnitt des Buches wunderbar passt. Beten wir für den Glauben und Hoffnung all derjenigen Menschen, die uns heilig erscheinen, uns als Vorbilder im Glauben dienen und gerade deshalb den Angriffen des Widersachers in besonderer Weise ausgesetzt sind und mitunter auch scheitern.
Als Christen glauben wir, dass wir nicht für diese Welt bestimmt sind, wir sind in dieser Welt aber nicht von dieser Welt. Und wir hoffen auf das, was über diese Welt hinausgeht! Diese Hoffnung ist mehr als weltlicher Optimismus, das Gefühl, dass schon irgendwie alles gut gehen wird, es ist die Gewissheit, dass wir für einen Platz geschaffen sind, nennen wir ihn Paradies oder Himmel, zu dem Gott uns führen will. Und alles, was uns davon abhält, sind wir selbst.
Letzteres wiederum kann einen wiederum hoffnungsfroh werden oder verzweifeln lassen. Hoffnungsfroh, weil wir es durch Gottes Gnade selbst in der Hand haben. Wir selbst können uns das Paradies zwar nicht verdienen, aber wir wissen um Gottes Gnade, der uns bei sich im Himmel haben möchte. Uns ihm zuzuwenden ist der Weg ins Paradies und wir dürfen uns über einen Gott freuen, der unsere Reue im Tod seines Sohnes bereits durchlebt hat und uns in diesem weltlichen Leben darauf vorbereitet, ihn anschauen zu können. Verzweifeln können wir aber auch, denn es ist genau so an uns, diese Gnade Gottes, den von ihm geschenkten Glauben an Gott, anzunehmen oder abzulehnen. Nehmen wir ihn an, dann leben wir in ihm, sind mit ihm, wie Paulus sagt, am Kreuz gestorben und auferstanden und leben nicht mehr uns selbst. Lehnen wir ihn aber ab, verurteilen wir uns selbst zu einem ewigen Leben ohne ihn, ohne Glauben, ohne Liebe, ohne Hoffnung.
Wenn Jesus vom schmalen Weg spricht, den nur wenige gehen, dann wird deutlich, dass das Paradies zwar für uns gemacht ist, wir für das Paradies bestimmt sind, aber das Erreichen des Himmels keine Selbstverständlichkeit darstellt. Heutige Seelsorger, die versuchen die Menschen zu überzeugen, dass sie selbst oder ihre verstorbenen Freunde und Verwandte sowieso in den Himmel kommen sprechen nicht mehr von einer Hoffnung sondern von Optimismus. Wird schon geklappt haben. Indirekt sagen sie: Der Mann/die Frau war zwar unmoralisch, hat seine Frau / ihren Mann betrogen, die Kinder geschlagen, Kunden übers Ohr gehauen, Geschäftspartner übervorteilt, das Leben nur für sich selbst gelebt und nur sich selbst im Blick gehabt und den Glauben an Gott von tiefstem Herzen abgelehnt aber mit Gottes Gnade wird er/sie schon im Himmel sein. Das ist sogar nicht mal falsch für Gott ist schließlich nichts unmöglich. Aber Gott wird uns auch nicht gegen unseren Willen zu sich nehmen. Wer das ultimative Nein zu Gott spricht, dem wird Gott kein Ja abpressen.
Die richtige Antwort auf das Spannungsfeld zwischen weltlichem Optimismus und christlicher Hoffnung ist, so scheint mir, der Realismus. Die Menschen, in erster Linie aber auch uns selbst, realistisch zu betrachten, hilft, unsere Chancen auf das Paradies einzuschätzen. Und was bedeutet dieser Realismus? Das Paradies, der Himmel ist für die Heiligen gemacht. Wir alle kennen Beispiele von Menschen, denen die katholische Kirche attestiert, ein heiliges Leben geführt zu haben und ins Paradies gelangt zu sein. Und die wenigsten von uns können es mit deren Tugend aufnehmen. Das bedeutet nicht, dass wir es nicht versuchen sollten, wir sollten uns aber auch vor Augen halten, dass von den größten Heiligen berichtet wird, dass sie wöchentlich, manchmal täglich das Sakrament der Versöhnung, die Beichte empfangen haben. Man wird also nicht ganz falsch liegen, wenn man annimmt, dass diese Heiligen nicht den Eindruck von sich selbst hatten, heilig zu sein (was möglicherweise auch ein notwendiges, wenn auch nicht hinreichendes Kriterium für Heiligkeit sein könnte: wer sich selbst für heilig hält, wird es wohl nicht sein).
Ich möchte es vergleichen mit dem Verhalten von Simon, genannt Petrus, und Judas, nachdem sie, beide auf unterschiedliche Weise aber eben doch beide, Jesus verraten haben. Von Simon wird berichtet, dass er bitterlich geweint habe, er verliert jedoch nicht den Glauben an Christus, und bleibt genau so Petrus, der Fels, auf den Jesus seine Kirche errichten will, der erste Papst der katholischen Kirche. Von Judas wird überliefert, er habe sich umgebracht er hat über seine eigene Sünde den Glauben an Gott und dessen Gnade verloren und ihm nach dem Verrat noch ein ultimatives Nein entgegengeschleudert. Niemand wird sich selbst direkt mit Petrus vergleichen wollen, aber es ist wichtig, dass wir in unseren Herzen Gott nicht so klein machen, wie Judas das getan hat. So können wir mit unseren Sünden, unseren kleinen Neins zu Gott, leben lernen, sie nicht einfach akzeptieren, sie bereuen, vor Gott tragen und uns Besserung vornehmen, sie aber auch nicht überbewerten, was uns unsere Hoffnung auf Gottes Gnade rauben würde.
Und wenn ich eben davon gesprochen habe, dass diese Überlegungen in erster Linie für uns gelten sollten, aber auch dabei helfen können, andere Menschen realistisch zu sehen, sollte man sich auch folgendes vor Augen führen: Der Papst geht regelmäßig zur Beichte, jeder Bischof wird das hoffentlich auch tun, jeder Priester wird hoffentlich um seine kleinen Mittelmäßigkeiten wissen, jeder Mensch, dem wir Heiligkeit zutrauen wird vermutlich ein Sünder sein. Es sollte uns also nicht überraschen, wenn diese Menschen nicht heilig sind sondern als Menschen mit Fehlern behaftet. Wenn es gut läuft, sind solche Heiligen aber in der Lage, ihr Versagen in die Hände Gottes zu legen. Das mag uns viel eher als Kriterium dienen, diese Menschen als Vorbild zu betrachten als eine von außen wahrgenommene Sündenfreiheit, die es bei ihnen vermutlich gar nicht gibt.
Von uns selbst gnadenlose Heiligkeit zu verlangen, wird uns in Hoffnungslosigkeit stürzen, sie von anderen zu erwarten, wird uns bitter enttäuschen. Uns und die Menschen um uns herum realistisch zu sehen und dabei an Gottes grenzenlose Gnade zu glauben, macht uns hoffnungsfroh für uns und für die Welt!