Wenn ich mich recht erinnere war es auf dem Heimflug vom Weltjugendtag in Brasilien, als Papst Franziskus darauf hinwies, dass es nicht Aufgabe der Kirche und nicht seine Aufgabe sei, ständig über Themen wie Abtreibung zu sprechen, die Lehre der Kirche dazu sei klar und er sei ein Sohn der Kirche. Punkt mehr brauchte er eigentlich nicht zu sagen, um einerseits diejenigen gegen sich aufzubringen, die zwar ehrenvoller Weise für das Lebensrecht kämpfen, aber leider aus dem Blick verloren haben, dass sie wenn sie Christen sind ihren Antrieb aus einer anderen Überzeugung haben sollten als der Erkenntnis, dass man mit einer Abtreibung einen lebenden Menschen umbringt, und andererseits diejenigen unberechtigter Weise zu erfreuen, die meinten daraus lesen zu können, dass der Papst das mit der Abtreibung nicht so eng sehe wie seine Vorgänger.
Im Hinblick auf die erstere Argumentation habe ich diese und ähnliche Zitate immer als einen Teil seiner Schwerpunktsetzung gesehen, die eben auf der Evangelisierung liegt: der Zweck der Kirche ist die Evangelisierung, die Menschen zu Christus zu führen, das ist ihr Auftrag dem sich andere Aufgaben unterzuordnen haben. Das bedeutet nicht, dass um bei dem Thema zu bleiben eine Abtreibung nicht eine schreckliche Verletzung des Lebensrechtes des ungeborenen Kindes und seiner Würde wie der Würde seiner Mutter darstellt aber das zu verstehen, dazu benötigt man ein bisschen Einblick, woher die Würde des Menschen eigentlich stammt und schon sind wir bei der Frage nach Gott. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, warum ein Mensch, der nicht an Gott glaubt, mit dem unbedingten, kompromisslosen Lebensschutz seine Probleme haben kann. Oder anders gesagt: Wenn wir in der Evangelisierung nicht erfolgreich sind, wird unser Bemühen um den Lebensschutz auch langfristig nicht erfolgreich sein!
Wie um das noch mal zu klären, hat der Papst das Thema der Abtreibung auch in seiner Ansprache vom 13.1. 2014 an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps adressiert:
Der Friede wird ferner von jeder Negierung der Menschenwürde verletzt, an erster Stelle von allen von der fehlenden Möglichkeit, sich ausreichend zu ernähren. Die Gesichter derer, die Hunger leiden, vor allem der Kinder, können uns nicht gleichgültig lassen, wenn wir daran denken, wie viele Lebensmittel jeden Tag verschwendet werden und zwar in vielen Teilen der Welt, in der jene wie ich es mehrfach genannt habe Wegwerf-Kultur“ herrscht. Leider werden heute nicht nur Nahrung und überflüssige Güter zu Abfall, sondern oft werden sogar die Menschen weggeworfen“, als wären sie nicht notwendige Dinge“. Zum Beispiel erregt allein der Gedanke Entsetzen, dass es Kinder gibt, die als Opfer der Abtreibung niemals das Licht der Welt erblicken können, oder Kinder, die als Soldaten benutzt werden, in bewaffneten Konflikten vergewaltigt oder getötet werden, oder die in jener schrecklichen Form moderner Sklaverei, nämlich dem Menschenhandel, zur Marktware gemacht werden, der ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.
Er geht in der Ansprache auch auf seine anderen Leib-und-Magen-Themen wie Armut und wirtschaftliche Ungerechtigkeit bis hin zum Unfrieden auf dieser Welt ein und man muss den hiesigen Medien fast dankbar sein, dass sie nicht wieder so getan haben, als sei Papst Franziskus der neue Karl Marx mit katholischer Kapitalismuskritik. Man hätte befürchten können, dass sie den kleinen Absatz schlicht überlesen, wie sie es auch bei seinem apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium getan haben, dass als Kapitalismuskritik gefeiert wurde, wo es doch auch wesentliche Hinweise auf das Thema Abtreibung in dem Dokument gab. Dort schrieb der Papst recht ausführlich:
213. Unter diesen Schwachen, deren sich die Kirche mit Vorliebe annehmen will, sind auch die ungeborenen Kinder. Sie sind die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will, indem man ihnen das Leben nimmt und Gesetzgebungen fördert, die erreichen, dass niemand das verbieten kann. Um die Verteidigung des Lebens der Ungeborenen, die die Kirche unternimmt, leichthin ins Lächerliche zu ziehen, stellt man ihre Position häufig als etwas Ideologisches, Rückschrittliches, Konservatives dar. Und doch ist diese Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechtes verbunden. Sie setzt die Überzeugung voraus, dass ein menschliches Wesen immer etwas Heiliges und Unantastbares ist, in jeder Situation und jeder Phase seiner Entwicklung. Es trägt seine Daseinsberechtigung in sich selbst und ist nie ein Mittel, um andere Schwierigkeiten zu lösen. Wenn diese Überzeugung hinfällig wird, bleiben keine festen und dauerhaften Grundlagen für die Verteidigung der Menschenrechte; diese wären dann immer den zufälligen Nützlichkeiten der jeweiligen Machthaber unterworfen. Dieser Grund allein genügt, um den unantastbaren Wert eines jeden Menschenlebens anzuerkennen. Wenn wir es aber auch vom Glauben her betrachten, dann »schreit jede Verletzung der Menschenwürde vor dem Angesicht Gottes nach Rache und ist Beleidigung des Schöpfers des Menschen«.
214. Gerade weil es eine Frage ist, die mit der inneren Kohärenz unserer Botschaft vom Wert der menschlichen Person zu tun hat, darf man nicht erwarten, dass die Kirche ihre Position zu dieser Frage ändert. Ich möchte diesbezüglich ganz ehrlich sein. Dies ist kein Argument, das mutmaßlichen Reformen oder Modernisierungen unterworfen ist. Es ist nicht fortschrittlich, sich einzubilden, die Probleme zu lösen, indem man ein menschliches Leben vernichtet. Doch es trifft auch zu, dass wir wenig getan haben, um die Frauen angemessen zu begleiten, die sich in sehr schweren Situationen befinden, wo der Schwangerschaftsabbruch ihnen als eine schnelle Lösung ihrer tiefen Ängste erscheint, besonders, wenn das Leben, das in ihnen wächst, als Folge einer Gewalt oder im Kontext extremer Armut entstanden ist. Wer hätte kein Verständnis für diese so schmerzlichen Situationen?
Ich gebe zu, auch in meiner Betrachtung zu dem Dokument bin ich nicht auf diesen Abschnitt eingegangen, da ich den Schwerpunkt ebenfalls auf die Frage der Wirtschaft und der Evangelisierung gelegt hatte. Aber viel deutlicher als so kann man die Position der Kirche, kann der Papst seine eigene Position kaum beschreiben, inklusive der Selbstkritik, dass ein Abtreibungsverbot nicht ausreicht, sondern auch eine intensive Begleitung betreffender Mütter notwendig macht.
Der Aufschrei in den Medien nach der aktuellen Ansprache ist jedenfalls groß und man merkt den Kommentatoren, professionellen in den Medien wie Laien in den Kommentarabschnitten, an, dass sie von den deutlichen Worten des Papstes überrascht sind. In die generelle Ablehnung der Abtreibungskritik mischt sich eine Art Enttäuschung, dass der Papst womöglich doch ein katholischer, konservativer Hardliner sein könne. Aber zu seiner Verteidigung kann man eigentlich nur sagen: Er hat nie andere Positionen vertreten als die oben zitierten, nicht vor und nicht während seines Pontifikats, in dem er schon als Vorbild der Bischöfe dem römischen Marsch für das Leben seine Unterstützung zugesagt hat. Viele haben es nur nicht hören wollen; die einen, weil sie in Franziskus den Reformer auch bei solchen Positionen erhofften, die anderen weil sie andere Änderungen in der Amtsführung befürchten.
Franziskus, soviel kann man sicher mittlerweise sagen, macht vieles anders als sein(e) Vorgänger, er legt deutlich weniger Wert auf Themen wie Liturgie, sein Schwerpunkt liegt auch nicht auf gängigen Themen wie Homosexualität oder eben Abtreibung. Allerdings zu glauben, Papst Franziskus sei in diesen Positionen nicht katholisch kann sich für seine (neuen) Befürworter wie für seine (kircheninternen) Kritiker noch als kolossaler Fehler erweisen.
Ein anderer katholischer Blogger hat in einem Kommentar zu einem Blogbeitrag von mir erläutert, dass er den Papst und die von ihm angestrebte Kirche als langweilig empfinde. Ich glaube verstanden zu haben, vor welchem Hintergrund er dies meint und kann in dieser Hinsicht seine Bedenken nicht zerstreuen. Entwicklungen wie die oben beschriebenen machen sein Pontifikat für mich dagegen unglaublich ich möchte sagen herausfordernd. Nicht, dass es vorher langweilig gewesen wäre, katholisch zu sein, aber jetzt ist es aus anderen Gründen spannend!