Bevor ich diesen Beitrag beginne, möchte ich jeden Leser warnen: am Ende des Beitrags ist eine Entscheidung, ganz persönlich zu treffen, die man vielleicht nicht treffen möchte. Man wird vielleicht an anderer Stelle im Leben auch noch vor diese Entscheidung gestellt werden, aber wer jetzt weiter liest, wird um die Entscheidung über kurz oder lang nicht herum kommen also wer lieber ungestört bleiben möchte, sollte hier lieber abbrechen und einfach einen anderen Beitrag lesen
Gerade habe ich einen Artikel gelesen, der sicher von Interesse sein dürfte, und Glaubende wie Nichtglaubende vor eine Entscheidung stellt, nämlich die, ob sie den Glauben ernst nehmen und wie sie das tun. Thematisch setzt sich der Artikel mit dem Umgang Nichtglaubender mit Religionen im Allgemeinen auseinander: Die Psychologie des antireligiösen Affektes http://www.die-tagespost.de/Psychologie-des-antireligioesen-Affektes;art456,125095
Der Autor stellt dort drei Mögliche Hintergründe für aggressives Verhalten gegenüber Religionen heraus:
1. Die Sichtweise der Religionen, dass Gott eben dich nicht tot ist, obwohl man doch glaubte, die Wissenschaft habe ihn abgeschafft
2. Die moralische Instanz der Religionen, die sich von dem abhebt, was die Welt heute vorlebt an Abschaffung von Schuld und Verantwortung
3. Die Infragestellung der eigenen Position, ausgeglichen durch eine Art pubertäre Überlegenheitsgebärde
Ich bin überzeugt, dass diese Sichtweise für die Erklärung von antireligiösen Affekten vielfach taugt (wie der Autor selber schreibt, ist aber natürlich nicht jede antireligiöse Stellungnahme pathologisch), viel interessanter scheint mir aber zu sein, wie ich als Glaubender mit diesen Kränkungen der Welt umgehe: kann ich diese drei Hintergründe in meinem Leben wahrnehmen? Ganz konkret:
1. Lebe ich den Primat Gottes, steht er für mich an erster Stelle oder hat er nur eine Nischenfunktion neben denen der Naturwissenschaft, des Wirtschafts- und Arbeitslebens kann ich meinem Leben, kann jemand anderes meinem Leben entnehmen, dass es Gott gibt und ich an ihn glaube?
2. Akzeptiere ich die moralische Autorität Gottes, die mir Schuld und Verantwortung zuweist (auch wenn ich als Katholik glauben darf, dass Gott die Erlösung von Schuld in seinem Sohn schon geliefert hat), und die nicht zulässt, dass ich für mich selber entscheide, was gut oder böse ist, sondern diese Entscheidung im Sinne einer immerwährenden Wahrheit schon getroffen hat?
3. Bin ich bereit, meine eigenen Sichtweisen zugunsten transzendenter Sichtweisen in Frage zu stellen, auch dann, wenn die sichtbar gemachten Wahrheiten unangenehm für mich sind?
Ich glaube, dass sich an solchen Stellen der wahre Glaube und das Vertrauen in Gott bewahrheiten (oder eben nicht). Der Glaube an Gott verlangt von mir nicht weniger, als meine begrenzte Sicht auf die Welt aufzugeben, zu akzeptieren, dass es eine höhere Macht als mich selbst gibt. Der Antichrist glaubte an Gott, doch in der Tiefe seines Herzens zog er, unwillkürlich und ohne sich darüber klar zu sein, sich selber Gott vor, an den er dabei glaubte. (Solojew, Kurze Erzählung vom Antichrist).
Ich denke, das ist eine Herausforderung für jeden Menschen, und nicht nur für den Atheisten, der seine Position durch den Glauben in Frage gestellt sieht. Es ist insbesondere auch eine Herausforderung für jeden Christen, namentlich auch den Katholiken, spätestens dann, wenn es an die Komfortzone der eigenen Entscheidungsgewalt geht: ich kann heute mit Hilfe der Technik wie auch der Medizin und aufgrund der liberalen bis relativierenden Grundeinstellung der Welt unglaublich viel tun, was frühere Generationen nicht konnten: von der künstlichen Befruchtung, über die Empfängnisverhütung, PID, Pränataldiagnostik, Geburtenkontrolle, medizinische Möglichkeiten auf der Basis von Forschung an abgetöteten Embryonen oder auch auf Basis von Tierversuchen, lebensverlängernde Maßnahmen und Euthanasie, Entscheidungen zur persönlichen Lebensführung die von der Welt heute kaum noch in Frage gestellt werden wie Sexualität außerhalb der Ehe, Promiskuität, Ehescheidungen, Homosexualität, Übervorteilung von Geschäftspartnern, Ausbeutung anderer Menschen und der Natur, bis hin zum Ausleben persönlicher Eitelkeiten u.s.w. All das sind Freiheiten, die ich heute habe, und die mir der Glaube scheinbar verwehrt. Nach außen betrachtet sagt die katholische Kirche zu vielen diesen Themen ein deutliches Nein, begründet das aus dem Leben Jesu, aus der Heiligen Schrift und aus den Erkenntnissen aus dem Heiligen Geist, und ich stehe vor der Entscheidung, ob ich diesen (vermeintlichen) Freiheiten folge, oder ob ich mein Leben in Freiheit an Gott ausrichte.
Will ich also Christ sein oder werde ich nach und nach zum Antichrist? Letztere Position verspricht meist Erfolg in und Zustimmung von der Welt, erstere Position muss mit Widerstand und eben antireligiösen Affekten rechnen, denn sie weist nach, dass der Christ in der Welt aber nicht von der Welt ist, weshalb die Welt sie hasst. Gott hat uns die Freiheit gegeben, darüber zu entscheiden, und ich der ich dies geschrieben habe wie jeder Leser, der es nun zur Kenntnis genommen hat, kann am Ende des Lebens vor unserem Schöpfer nicht mehr vorbringen, ich hätte von nichts gewusst!
Oh, apropos, hier noch ein Kommentar zu Wohlfühlreligionen – polemisch aber lesenswert:
http://www.theeuropean.de/alexander-kissler/6934-kaessmann-kueng-und-das-teelicht-syndrom