Nach dem Papstbesuch hatte ich direkt die Idee, noch mal etwas über die Ansprache von Benedikt XVI im Bundestag zu schreiben. Bislang schien diese Ansprache selbst in den Medien auf positive Resonanz gestoßen zu sein (linke Kampfmedien und Äußerungen von Selbstdarstellern wie Herrn Ströbele mal außen vor gelassen), aber mir schien der Schwerpunkt ein bisschen verrutscht: man lobte den Einsatz des Heiligen Vaters für die Ökologie und seine Einsicht in demokratische Zusammenhänge. An dieser Analyse hatte mir bislang schon ein Thema gefehlt, dass ich selbst viel interessanter finde, nämlich das der Rolle des Gewissens in einer Demokratie.
Nun bin ich aber auf einen Artikel in der (ja, schon wieder, aber was soll ich machen, diese sogenannte Tageszeitung tut sich nun mal als Propagandainstrument der Laizisten und Atheisten besonders hervor) Süddeutschen Zeitung von Friedhelm Hengsbach gestoßen. Das ist deshalb interessant, weil Pater Hengsbach Jesuit ist, man also annehmen könnte, dass er hier eine katholische Position vertritt, gilt er doch auch als bekannter Sozialethiker in Deutschland. Nun ja, könnte man meinen, er tut sich aber in den vergangenen Jahren vor allem als Kirchenkritiker hervor. Er kritisiert also in dem Artikel relativ zusammenhanglos die Rede des Papstes als illegitim aufgrund dessen Rolle eines Staatschefs , der nicht einmal die europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat (was wie ich finde in der Tat ein herausragendes, aber positives Merkmal des Vatikans ist, wenn man die Bedenklichkeit dessen berücksichtigt, was heute als Menschenrecht diskutiert wird). Die meisten anderen Hinweise von Hengsbach sind eher pseudokritisch, da er offenbar auf der Suche ist, den Papst misszuverstehen (dem Papst unterzuschieben, er wolle mit dem Begriff Ökologie des Menschen einen beliebigen Naturalismus begründen, ist schon nur noch mit persönlicher Boshaftigkeit oder Altersrenitenz zu erklären).
Vollständig verlässt aber der gute Pater den Boden der katholischen Lehre, wenn er behauptet Kein außen stehender Beobachter kann die Gerechtigkeit einer pluralen Gesellschaft situationsfern buchstabieren. Sie muss in öffentlicher Auseinandersetzung und Verständigung gesucht werden mal abgesehen davon, dass Pater Hengsbach so formuliert, dass man ihn kaum verstehen kann (was soll denn mit buchstabieren gemeint sein und was ist die Gerechtigkeit einer pluralen Gesellschaft) aber gut, das ganze gibt mir Gelegenheit zur erneuten Medienkritik: nach Hans Küng, über dessen Altersstarrsinn sich wohl zwischenzeitlich selbst ausgeprägte Papst- und Vatikanhasser nur noch amüsieren, hat die SZ nun offenbar einen weiteren Rentner gefunden, der sich für den besseren Papst hält. Vor allem aber stellt letzterer Punkt heraus, worum es in meinen Augen in der Rede des Papstes zumindest auch, wenn nicht vor allem geht: die Frage, welche Entscheidungen eigentlich durch ein Parlament oder eine Regierung zu treffen sind, und welche nicht!
Was also hat der Papst hierzu gesagt:
In einem Großteil der rechtlich zu regelnden Materien kann die Mehrheit ein genügendes Kriterium sein. Aber dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig: Jeder Verantwortliche muss sich bei der Rechtsbildung die Kriterien seiner Orientierung suchen.
Wie erkennt man, was recht ist? In der Geschichte sind Rechtsordnungen fast durchgehend religiös begründet worden: Vom Blick auf die Gottheit her wird entschieden, was unter Menschen rechtens ist. Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.
Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, daß sich die christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben geforderte religiöse Recht auf die Seite der Philosophie gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle anerkannt haben. Diesen Entscheid hatte schon Paulus im Brief an die Römer vollzogen, wenn er sagt: Wenn Heiden, die das Gesetz (die Thora Israels) nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab “ (Röm 2,14f). Hier erscheinen die beiden Grundbegriffe Natur und Gewissen, wobei Gewissen nichts anderes ist als das hörende Herz Salomons, als die der Sprache des Seins geöffnete Vernunft. Wenn damit bis in die Zeit der Aufklärung, der Menschenrechtserklärung nach dem Zweiten Weltkrieg und in der Gestaltung unseres Grundgesetzes die Frage nach den Grundlagen der Gesetzgebung geklärt schien, so hat sich im letzten halben Jahrhundert eine dramatische Veränderung der Situation zugetragen.
Dieser Auszug mag an dieser Stelle genügen, um aufzuzeigen, dass es in der Ansprache auch und besonders um die Rolle des Gewissens geht, die der Papst nicht nur dem Christentum sondern der Natur des Menschen als Gottesgeschöpf selbst zuweist. Es geht darum, dass der Mensch das Rechte und Gute, letztlich die Wahrheit erkennen kann, dass diese Wahrheit in sich nicht von Mehrheiten abhängt sondern unveränderlich bleibt. Ein Widerspruch zum heutigen Relativismus, der der Kirche in vielen Positionen vorwirft nicht zeitgemäß zu sein. Dieser Widerspruch wird sich nicht auflösen lassen außer durch die Aufgabe fundamentaler Positionen der einen oder der anderen Seite. An anderer Stelle beschreibt der Papst auch die Verantwortung des Menschen zur Gewissensbildung, also die eigene Verantwortung, sich um das Erkennen, des Rechten und Guten, das Erkennen der Wahrheit zu bemühen.
Und in der Tat, wenn man der Kirche vorwirft, in wesentlichen Fragen nicht demokratisch zu sein, so ist diese Feststellung berechtigt, stellt aber aus katholischer Sicht nicht die kirchliche Verfassung sondern die demokratischen Prozesse moderner Staaten in Frage. Man kann beispielsweise unterschiedlicher Meinung hinsichtlich wirtschaftspolitischer Fragen sein. In Fragen der Moral sieht das ganz anders aus: Das Beispiel der PID sei, wie in den Medien auch, hier zugrunde gelegt. Ob die Untersuchung und fallweise Aussortierung befruchteter Eizellen erlaubt sein soll, ist eine Frage des Rechten und Guten. Es ist die Frage nach dem Menschsein in seiner frühesten Phase. Ein demokratischer Staat hat nun hinsichtlich gesetzlicher Regelungen keine andere Möglichkeit als auf demokratische Verfahren zurückzugreifen, mithin Mehrheitsbeschlüssen zu folgen. Der Staat und seine Vertreter dürfen aber nicht den Fehler begehen, diese Beschlüsse mit der Wahrheit zu verwechseln. Kein demokratisches Verfahren kann entscheiden, was die Wahrheit ist. Der einzige Widerspruch mag der sein, die Wahrheit in sich zu negieren. Wenn ich annehme, dass es eine Wahrheit gibt, dann ist diese natürlich nicht von der Mehrheit abhängig und Mehrheitsentscheide laufen immer Gefahr, sich gegen die Wahrheit zu wenden.
Diese Einschränkung der eigenen Kompetenz ist in meinen Augen der Hauptpunkt der Rede des Papstes im Bundestag und der geht nicht nur unsere Volksvertreter im Bundestag an, die sich darüber im Klaren sein müssen, dass sie bei Entscheidungen, bei denen aus gutem Grund der sogenannte Fraktionszwang aufgehoben wird, eigentlich keine Entscheidungskompetenz haben. Sie müssen entscheiden, um gesetzliche Rahmenbedingungen festzulegen, aber bei der Stimmabgabe wird immer einer entgegen seinem Gewissen oder durch ein fehlgeleitetes Gewissen abstimmen. Aber auch jeder normale Bürger muss in seinem Leben Entscheidungen treffen, die nicht nur mit seinem Gewissen in Einklang stehen sollten, sondern bei denen das Gewissen auch ausreichend ausgebildet gehört. Es ist also niemand, um bei dem Beispiel PID zu bleiben, nur aufgrund einer weitgehenden gesetzlichen Freigabe moralisch legitimiert, eine PID vornehmen zu lassen mit dem Ziel, nicht gewünschte Menschen im Frühstadium umzubringen. Diese Gewissensentscheidung kann einem der Staat nicht abnehmen, nicht für die PID, nicht für die Frage einer Abtreibung, der Euthanasie oder der sonstigen moralischen Lebensführung.
Letztlich: ein gut ausgebildetes Gewissen muss sich auch gegen den Staat wenden, der gegen die Wahrheit gerichtete Entscheidungen trifft. In einer seiner Schriften (Joseph Ratzinger: Wahrheit, Werte macht, Seiten 74 ff) verweist der Papst auf die Kapitel 13 im Römerbrief und in der Offenbarung, aus denen diese Unterscheidung deutlich zutage tritt: der Mensch muss dem geordneten Staat der sich an seine Grenze hält und sich nicht selbst als Quelle von Wahrheit und Recht ausgibt Gehorsam leisten. Demgegenüber kann der Staat, der sich selbst für Gott erklärt und aus Eigenem festlegt, was als gerecht und wahr zu gelten hat keinen Gehorsam mehr einfordern.
Und in dieser Hauptbotschaft, die einem Katholiken eigentlich eingängig sein sollte, auch wenn sie ein bisschen kompliziert formuliert ist, widerspricht Hengsbach, wenn er schreibt, dass die Gerechtigkeit in öffentlicher Auseinandersetzung und Verständigung gesucht werden muss. Dieser Aspekt, der Widerspruch eines Jesuiten, Theologen und Sozialethikers, zur katholischen Lehre war nur der Auslöser zu diesem Blogeintrag, doch zeigt sich deutlich, wie recht der Papst hatte, diese Rede im Bundestag zu halten: seine Botschaften sind ganz offensichtlich nicht (mehr) Allgemeingut, sollten aber Basis jeder moralischen (christlich oder nichtchristlich) Gesellschaft sein. Diese Basis ist im Westen im Allgemeinen, in Deutschland im Besonderen und sogar in der Kirche im Speziellen offenbar verloren und muss nun mutig wieder zurück gewonnen werden und das wiederum ist nun auch der verfassungsmäßige Auftrag von Parteien und Regierung, hieran zu arbeiten. Der Papst hat einen gewichtigen Auftrag hinterlassen und in der Tat keine nette Rede eines altersmilden Priesters und Theologen! Packen wir es gemeinsam an, wir alle sind gemeint, auch wenn die direkten Adressaten unsere Volksvertreter waren!