Gerade gestern habe ich die neue Ausgabe des Magazins Aufatmen erhalten und mal auf die schnelle das Editorial von Ulrich Eggers gelesen (auch als Leseprobe hier zu finden). Ich war direkt von der Fragestellung der Wohlfühl-Probleme fasziniert erstens weil es sich bei Aufatmen eher um ein freikirchlich geprägtes Magazin handelt und ich derartige Probleme dort weniger erwartet hätte, und zweitens auch, weil es diese Problematik auch bei uns Katholiken gibt, obschon es sie doch eigentlich gar nicht geben sollte oder besser: gar nicht geben könnte.
Was ist gemeint: Eggers berichtet von Beschwerden von Gottesdienstbesuchern über zuviel Wohlfühlelemente im Gottesdienst, was offenbar Menschen dazu bringt, den Gottesdienst nicht mehr zu besuchen. Kurz gefasst, stellt sich Eggers dann die Frage: darf man sich denn im Gottesdienst nicht wohlfühlen? Und wenn doch, was ist dann mit zuviel Wohlfühlen gemeint? So versucht er eine Erklärung für die Beschwerden wie folgt:
Gottesdienste und Gemeinden dürfen nicht zu fromm harmlosen Unterhaltungsclubs auf Zeitgeist- Niveau werden, zu denen man nur geht, weil es Spaß bringt und man in Ruhe gelassen wird (eine kritische Anfrage, die sich allerdings alle Gottesdienste gefallen lassen müssen). In der Kirche muss es immer auch um die Ehrfurcht vor dem heiligen Gott gehen, um die Ausrichtung auf ihn, um das Hineinsprechen des biblischen Wortes in unseren Alltag und um so viel gehorsames Vertrauen zu ihm, dass wir uns im Gottesdienst auch gegen unseren Strich bürsten lassen wollen. Ewiges und Heiliges, das in unsere Zeit bricht.
Wer den Text weiter liest, wird sehen, dass sich Eggers zu Recht schwer tut mit dem Spagat, dass sich Menschen in einem Gottesdienst wohlfühlen sollten und es andererseits keine Wohlfühlveranstaltung sein sollten.
Ich nehme an, ein Gutteil der Problematik liegt nicht zuletzt in der großen Freiheit, die man in den (meisten) evangelischen und (insbesondere) freikirchlichen Gottesdiensten hat. Schauspielelemente, Lobpreis, Predigten, Gastredner, viel individuelles Gebet alles in allem, aus katholischer Sicht, wenig Liturgie wie wir sie verstehen würden. Das kann einen Pastor natürlich dazu verführen, die Einstiegsschwellen niedrig zu halten: Wenn die Gemeinde es geschafft hat, einen Interessierten in den Gottesdienst zu führen, dann muss ich ihn ja nicht direkt mit Predigten über Sünde und Hölle schockieren, da bete ich doch lieber gemeinsam mit der Gemeinde für die Gesundung eines kranken Gemeindemitglieds und nehme vorsichtig gewisse unchristliche Entwicklungen der Gesellschaft in den Fokus, mit denen die Anwesenden wenig zu tun haben dürften, um dann gegen die Entwicklungen zu beten, Gottes Hilfe dafür herabzurufen etc. Tut den Gottesdienstbesuchern nicht weh sondern vermitteln ihnen das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.
Das hohe Maß der Gestaltungsfreiheit besteht nun eigentlich in den katholischen Messen nicht, sodass man annehmen könnte, dass es das Problem dort auch nicht gäbe. Aber meine Erfahrung weit gefehlt! Denn erstens gibt es zumindest mal in mystagogischer Einführung und Predigt durchaus die Elemente, bei denen der Priester viel Spielraum in der Gestaltung hat. Und zweitens sind für viele progressive Priester die Rubriken der Messliturgie (also die unabänderlichen Teile) auch nur Hinweise, vielleicht analog zu roten und grünen Ampeln, die in einigen südeuropäischen Ländern auch nur eine Empfehlung darstellen (oder so gesehen werden).
Die Botschaft des Priesters?
Der Gestaltungsspielraum, den der Priester in einer katholischen Messe hat, liegt sicher hauptsächlich in der Predigt. Hier kann der Priester die Schriftlesungen und das Evangelium für die Gemeinde auslegen, interpretieren und Schlüsse für das persönliche Leben ziehen. Ein Gutteil dessen, was dort vermittelt wird, ist also eine Eigenproduktion des Priesters (was nicht kritisiert werden soll, besser als wenn der Priester irgendwo abschreibt). Und was unterscheidet nun eine gute von einer schlechten Predigt? Ich bin weder selbst Priester noch Kirchenrechtsexperte, also kann ich nicht sagen, was die formalen Kriterien für eine Predigt sind, sondern habe nur sehr individuelle Erfahrungen mit Predigten gemacht. So scheint mir, dass gute Predigten eigentlich so etwas wie eine Live-Meditationen sind. Der Priester betrachtet das Evangelium, wie man es im Morgengebet machen würde. Dabei kann man durchaus auch den historischen Kontext betrachten (was hat es damals bedeutet, dass Jesus so gehandelt hat), insgesamt sollte sich aber herausstellen, welche Botschaft Gott in dieser Schriftstelle für uns hat und wie wir daraus einen Auftrag für uns formulieren können. Sicher ist das immer nur ein individueller Eindruck, aber mir hinterlassen Predigten einen schalen Nachgeschmack, nach denen mir klar geworden ist, was Andere besser machen müssen. Sicher gibt es gesellschaftliche Fehlentwicklungen die man auch anprangern darf, aber eine Predigt, die nur darauf abzielt deutlich zu machen, wie schlecht die Welt ist, verfehlt insofern ihren Auftrag. Unruhig und trotzdem wohl fühle ich mich nach einer Predigt, nach der mir klarer wird, was mein persönlicher Auftrag aus der Schriftstelle ist wir haben einen Evangelisierungsauftrag, der kann Teil dieser Botschaft sein. Wir haben alle ständig Umkehr nötig, auch das kann Thema der Botschaft sein. Diese und mehr Themen lassen mich unruhig werden, weil sie einen Anspruch an mein christliches und geistliches Leben formulieren, dem ich im Zweifel nicht oder nicht ausreichend gerecht werde.
Umgekehrt kann es nun auch nicht das Ziel sein, dass am Ende der Messe alle mit gesenktem Haupt die Messe verlassen, weil sie annehmen, dass sie den Auftrag niemals erfüllen können. Eine gute Predigt beinhaltet neben dem Aufruf also auch so etwas wie einen Motivationscharakter: Wen Gott belastet, den trägt er auch ist so ein wunderbarer Satz, den Kardinal Meisner immer wieder mal verwendet, der deutlich macht, dass wir mit unserer Umkehr und der Evangelisierung nicht alleine da stehen, sondern Gott mit uns kämpft und hinzufügt, was an unserer Kraft noch fehlen mag.
Und bei alldem ist es wesentlich, dass sich der Priester mit seiner Botschaft im Rahmen der kirchlichen Lehre bewegt. Das ist für einen freikirchlichen Pastor vermeintlich einfacher, weil es dort so etwas wie ein kirchliches Lehramt nicht gibt andererseits ist dort aber jedes Gemeindemitglied im Umkehrschluss sein eigenes Lehramt, dass Predigtinhalt mit eigenem Glaubensverständnis abgleicht. Da kann es für einen katholischen Priester eigentlich nur eine Leitplanke geben, und das ist das auf Schrift, Tradition und Wirken des Heiligen Geistes beruhende Lehramt der katholischen Kirche. Anders und prägnanter gesagt: Ein Priester darf dem Katechismus der katholischen Kirche nicht widersprechen! Er darf natürlich problematisieren, er darf auch in Frage stellen wie Hiob Gott in Frage stellt und mit ihm rechtet, so kann das auch ein Priester in seiner Predigt tun und wird dadurch nur authentischer. Am Ende muss aber katholische Lehre stehen oder zumindest nichts, was dem widerspricht. So fühlen sich am Ende einer guten Predigt die Menschen aufgefordert, sich dem Evangelium gemäß zu verhalten, sie fühlen sich motiviert, dass sie das auch können, und sie fühlen sich sicher, dass ihre Einsichten im Einklang mit Gottes Willen stehen. So gesehen fühlt man sich nach so einer Predigt wohl ohne sich in diesem Wohlfühlen ausruhen zu wollen, sondern auch unruhig, den Auftrag zu erfüllen.
Die Liturgie des Priesters?
Man könnte annehmen, dass ein Priester mit einer Predigt wie sie oben beschrieben ist, alle Fallstricke der Wohlfühlmesse umschifft hätte hätte er auch, wenn er sich ansonsten strikt an die liturgischen Vorgaben einer Messe hält. Diese sind ziemlich klar im Messbuch geregelt, wesentliche Teile (die Rubriken) faktisch unabänderlich festgelegt. Leider erlebt man aber nur zu oft, dass sich Priester nicht daran halten.
Wer kennt nicht die Hochgebete, in denen der Priester beim Vaterunser den Embolismus (Einschub: Erlöse uns, Herr, allmächtiger Vater, von allem Bösen und gib Frieden in unseren Tagen. Komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen und bewahre uns vor Verwirrung und Sünde, damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten.) einfach weglässt, den Papst Leo der Große im fünften Jahrhundert eingeführt hat. Als Begründungen habe ich dazu bislang nur zwei gehört: sicher das kindischste ist die zeitliche Verlängerung, die das Vaterunser dadurch erfährt. Das andere Argument ist das Weglassen des Embolismus in den evangelischen Gemeinden ein Argument bei dem einem bei Kenntnis des historischen Kontextes die Spucke wegbleibt als ob es ein Zeichen guter Ökumene wäre, eine Auslassung jahrhundertealter liturgischer Texte damit zu begründen, dass das die anderen auch tun.
An diesem Beispiel, das man fortsetzen könnte (vor allem im Hochgebet, zum Beispiel das Weglassen des Gebets für Papst und Bischof, oder die Umschreibung des Begriffs Sünden mit Schwächen), lässt sich fest machen, wie genau es ein Priester denn mit der katholischen Lehre nimmt, dass die Liturgie sich zwar über die Jahrhunderte verändert hat, aber immer vom Heiligen Geist eingegeben und in sich erst mal nicht durch den Priester abänderbar ist. Mir hat mal ein guter Priester gesagt (ich weiß nicht, ob das Zitat von ihm stammt), dass die Gemeinde ein Recht auf eine richtige Liturgie hat! So wird ein Schuh draus! Es gibt schlicht keinen guten Grund, als Priester unbefugt an den Rubriken rumzuschrauben, nur weil die Texte dann kürzer oder ein bisschen freundlicher erscheinen. Hier das Wohlfühlen der Gemeinde erreichen zu wollen ist ein Missverständnis des Sinns der Liturgie!
Die Forderungen der Gemeinde
Umgekehrt sind natürlich die Priester auch nicht zu beneiden: Da sind auf der einen Seite Gemeindemitglieder wie ich, die bei Weglassen des Embolismus einen kurzen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck machen. Da sind auf der anderen Seite Mitglieder, die beim Begriff der „Sünde“ grün anlaufen und ihren Kindern am liebsten die Ohren zuhalten wollen. Dann sind da noch eine nicht gering zu schätzende Zahl von Gemeindemitgliedern, bei denen der Sonntagsbraten auf Zubereitung wartet oder das Bier des Frühschoppens zu verschalen droht, und die eine Messdauer von mehr als 45 Minuten als nicht vertretbar betrachten (und dann oft nach der Kommunion die Messe verlassen). Ältere Priester mögen das gelassen sehen, aber gerade junge Priester werden in so einer Gemengelage auch schnell aufgerieben. Wenn sich dann noch der Pfarrgemeinderat gestaltend in die Liturgie einmischen will, ist der Misserfolg (wenn ich den Begriff hier mal verwenden darf) vorprogrammiert.
Aber es hilft nichts: eine Gemeinde, die nicht hören will, dass das Evangelium eine Aufforderung zur Umkehr für sie bereit hält, die gerne hört, dass Jesus sie nicht verurteilt aber nicht hören will, dass sie nicht mehr sündigen sollen (vgl. Johannes 8, 11), eine Gemeinde, in der der Sonntagsbraten wichtiger ist als das Erscheinen des Herrn, als sein Opfer auf dem Altar, eine Gemeinde, die sich von Rom schon gleich gar nichts sagen lassen will, geschweige dann bereit ist, auf ihren Hirten vor Ort, ob Bischof oder Priester, zu hören, eine Gemeinde, die sich in einer Messe nur wohlfühlen will, die es sich in der Messe bequem machen möchte (bis hin zur körperlichen Bequemlichkeit es abzulehnen, bei der Wandlung zu knien) ist eigentlich keine! Hier kommt man mit den Mitteln der Liturgie und der Predigt auch nicht weiter. Hier ist Evangelisierung angesagt! Hier für ein Wohlfühlen oder besser für Behaglichkeit zu sorgen, wäre wohl der falsche Ansatz. Natürlich muss sich ein Priester auf seine Gemeinde einstellen, damit er gehört wird, er muss ihre Sprache sprechen, damit die Botschaft überhaupt ankommen kann, die Botschaft selbst darf sich dabei aber nicht verändern. Paulus schreibt das einfach und treffend, wie es nicht nur für Priester sondern für jeden Christen gilt, die alle zur Evangelisierung aufgerufen sind (1. Korinther 16-23):
Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!
Wäre es mein freier Entschluss, so erhielte ich Lohn. Wenn es mir aber nicht freisteht, so ist es ein Auftrag, der mir anvertraut wurde. Was ist nun mein Lohn? Dass ich das Evangelium unentgeltlich verkünde und so auf mein Recht verzichte. Da ich also von niemand abhängig war, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen. Den Juden bin ich ein Jude geworden, um Juden zu gewinnen; denen, die unter dem Gesetz stehen, bin ich, obgleich ich nicht unter dem Gesetz stehe, einer unter dem Gesetz geworden, um die zu gewinnen, die unter dem Gesetz stehen. Den Gesetzlosen war ich sozusagen ein Gesetzloser – nicht als ein Gesetzloser vor Gott, sondern gebunden an das Gesetz Christi -, um die Gesetzlosen zu gewinnen. Den Schwachen wurde ich ein Schwacher, um die Schwachen zu gewinnen. Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten.
Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben.
Was bleibt ist die Feststellung, dass es sowohl in der katholischen Kirche wie auch wie eingangs erwähnt in evangelischen und Freikirchen das Problem der Wohlfühlkirche gibt, dass die Ursachen unterschiedlich sind und auch die Mittel und Wege diesem Problem entgegen zu treten. Ein versöhnlicher (hoffentlich nicht nur zum „Wohlfühlen“) Ansatz ist vielleicht, dass ein Gottesdienst bzw. eine Messe so gestaltet sein sollte, dass sich Gott selbst dort wohl fühlt das schließt zumindest manche Entgleisungen per se aus, auch wenn andere „Gestaltungselemente“ sicher einer tieferen Betrachtung bedürfen und man zwischen den Konfessionen und selbst innerhalb von Gemeinden zu unterschiedlichen Einschätzungen kommt, was Gott denn gefällt.
Noch ein kleiner Nachsatz und Gebetsaufruf: gerade junge Priester, von denen ich oben gesprochen habe, oft mit einem hohen Anspruch an sich selbst, Gott, der Kirche und dem Papst treu, Priester, wie wir sie brauche, echte Kerle eben, sie brauchen unser Gebet, dass sie in ihrer Berufung auch Erfüllung finden und für die Gemeinde und die Kirche ein Segen sind!