Der eine oder andere Interessierte hat es sicher schon entdeckt, aber ab und zu gehen Ansprachen des Papstes ob des Fleißes des Heiligen Vaters auch mal schnell unter man kommt gar nicht nach mit dem Lesen, geschweige denn überdenken, geschweige denn darüber schreiben.
In einer Predigt vor seinem Schülerkreis vom vergangenen Sonntag sprach der Papst unter anderem über die Gefahr, das Wort Christi zu intellektualisieren, sodass es am Ende erscheint, als sei es schwer zu verstehen und der Glaube eine Sache von Theologen. Mir scheint aber ein Abschnitt viel wesentlicher, den ich gerne in seiner vollen Schönheit hier zitieren möchte, damit man ein bisschen auf ihm „herumkauen“ und ihn „schmecken“ und genießen kann:
Wenn zum Beispiel heute im Jakobusbrief steht: Durch ein Wort der Wahrheit seid ihr gezeugt worden – wer wird von uns wagen, über die Wahrheit, die uns geschenkt ist, froh zu sein? Sofort steht die Frage auf: Wer kann denn die Wahrheit haben, das ist Intoleranz! Der Gedanke von Wahrheit und der von Intoleranz haben sich fast völlig miteinander verschmolzen, und so wagen wir gar nicht mehr, an Wahrheit zu glauben, von Wahrheit zu sprechen. Sie scheint fern zu sein, sie scheint etwas, das man lieber nicht in Anspruch nimmt. Kein Mensch kann sagen: Ich habe die Wahrheit, wird eingewandt – und richtig: Niemand kann die Wahrheit haben, die Wahrheit hat uns, sie ist etwas Lebendiges! Wir sind nicht ihre Besitzer, sondern wir sind von ihr ergriffen; nur wenn wir uns von ihr führen und treiben lassen, bleiben wir in ihr; nur wenn wir mit ihr und in ihr Pilger der Wahrheit sind, dann ist sie in uns und durch uns da. Ich glaube, das müssen wir wieder neu erlernen, dieses Nicht-Haben der Wahrheit. So wie kein Mensch sagen kann: Ich habe Kinder – sie sind keine Habe, sie sind ein Geschenk, und sie sind uns als Gabe Gottes aufgetragen -, so können wir nicht sagen: Ich habe die Wahrheit. Aber die Wahrheit ist zu uns gekommen und drängt uns. Wir müssen lernen, uns von ihr treiben zu lassen, uns von ihr führen zu lassen. Dann wird sie auch wieder leuchten: wenn sie uns selber führt und durchdringt.
(Hervorhebungen durch mich)
Als ich das heute Morgen gelesen habe, musste ich ungelogen erst mal Gott danken für diesen wunderbaren Papst, den er uns da gerade rechtzeitig geschenkt hat. Vermutlich war es notwendig, dass Benedikt XVI. ein im Vergleich hohes Alter erreichen musste, ehe er Papst wurde, dass er ein ganzes Leben als Priester, Bischof, Seelsorger, Theologe, auch Hüter des Glaubens in der Kongregation für die Glaubenslehre, zugebracht hat, um jetzt so gereift und weise über die Wahrheit zu sprechen. Mit aller Demut dieser Wahrheit gegenüber, mit der Einsicht, die Wahrheit vielleicht hüten zu können, aber sie nicht zu besitzen und sie nicht einhegen zu können. Und da sind wir auch schon beim Kern eines Themas, das mich immer wieder umtreibt: die Wahrheit!
Ich weiß nicht, wie andere das sehen und bestimmt gibt es unterschiedliche Definitionen dazu, aber für mich ist Religion im Wesentlichen so etwas wie die Suche nach Wahrheit. Diese Suche, die einen durch das Glaubensleben begleitet und den unsicheren Glauben in eine Glaubensgewissheit wandelt, setzt erstmal aber eine Erkenntnis voraus: Es gibt eine Wahrheit! Es gibt Themen, die sich einer Konsensfindung entziehen, weil sie schon immer und für immer geklärt sind. Man kann sich darüber streiten, auf welche Art auf der Erde genau das Leben entstanden ist, ob durch biochemische Entwicklungen ohne Zutun einer höheren Macht oder durch einen Fingerzeig Gottes Es werde eines ist sicher: auf diese Frage gibt es eine Antwort, und die ist wahr und ändert sich auch nicht, nur weil eine Mehrheit heute der einen und morgen der anderen Antwort zuneigt. Dieses einfache Beispiel man wird kaum zu einem Widerspruch kommen lässt sich nun aber auch auf andere Glaubensfragen anwenden, konkrete und sehr fundamentale: Gibt es einen Gott? Ist es der Gott der Bibel? War Jesus der Sohn Gottes? Ist die katholische Kirche die legitime, von Christus gegründete Kirche (bzw. genauer, subsistiert sie in ihr)? Und von da ausgehend gibt es auch die Fragen von gut und schlecht: Gibt es so etwas wie ein gut oder schlecht? Ist die Liebe zu den Menschen gut? Ist der Mord an einem Menschen schlecht? Ist Sex vor der Ehe ja, was? Gut oder schlecht? Auf all diese Fragen finden die Menschen unterschiedliche Antworten, und die Mehrheiten zu den Fragen verschieben sich auch immer mal wieder. Unzweifelbar aber scheint mir: es gibt eine Wahrheit oder um ein bisschen im Akte-X-Stil zu sprechen: Die Wahrheit ist da draußen!
Die Frage ist also mit Habe ich die Wahrheit? falsch gestellt, wie der Papst hier sagt. Ich habe die Wahrheit nicht, kann sie selbstverständlich auch nicht ändern (auch wenn das Politiker und auch Medienschaffende oft anders sehen), ich kann sie nur kennen, erkennen, ein bisschen theologisch angehaucht: in der Wahrheit sein!
Wenn es aber nun also diese Wahrheit gibt, dann gibt es auch die Nicht-Wahrheit, die Unwahrheit (so wie es neben dem Guten auch das Schlechte gibt). Und zu allem Überfluss auch noch trennscharf: es gibt dabei kein ein bisschen unwahr! Wenn ich an die Wiedergeburt der Hindus glaube, stellt sich die Frage: ist das wahr? Ein bisschen wahr oder ein bisschen unwahr kann dieser Glaube nicht sein. Und so ist eben der Gott der Bibel einzig, der einzige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde oder er ist es eben nicht.
Wenn das nun wieder so ist, kann ich mit meiner Glaubensgewissheit auch nicht zu Kompromissen neigen, da ist unser Gott sehr klar in dem Gebot, keine anderen Götter anzubeten. So steht das in der Bibel und man kann hundertmal versuchen, dass auf moderne Verführungen zu beziehen (Geld als Gott, Sex als Gott) womit man auch nicht falsch liegt, aber das Gebot war und ist in erster Linie gegen die Heiden und ihren Götterkult gerichtet, von denen die Juden umgeben waren. Nein, das sind keine Götter, es gibt keine anderen Götter neben unserem Gott! Und ist denn der eine Gott nun der der Bibel? Da trennen sich nun Juden und Christen in ihrem Glauben ist Jesus Gott, menschgewordener Gott, der Messias, wie wir Christen an ihn glauben und auf den die Juden noch immer warten? Ist er es oder nicht kein er ist es ein bisschen?
Und damit sind wir schon ganz nahe bei der Frage dessen, was denn Toleranz sein kann: Mein Gott ist der Gott der Bibel, der in Jesus Mensch geworden ist aus der Jungfrau Maria, gezeugt durch den Heiligen Geist, der für uns gelitten hat am Kreuz und uns durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung errettet hat, der uns die Eucharistie geschenkt hat, in der er physisch unter uns ist, dessen Leiden in der Transsubstantiation stattfindet, der neben der Eucharistie sieben weitere Sakramente wie das der Taufe, der Ehe, der Beichte geschenkt hat, der seine Kirche gegründet hat, die nur in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche subsistiert. Das (und noch ein paar mehr Details, die meisten davon nicht unwichtig) ist meine Glaubenswahrheit, ist das, was ich als wahr erkannt habe. Dieses Sein Gottes kann ich nur annehmen, nicht in Frage stellen, schon gar nicht ändern. Und damit ist in dieser Hinsicht jeder, der das anders sieht genau: Nicht in der Wahrheit! Da dieses in der Wahrheit sein für jeden Menschen aber auch entscheidend ist für seine Beziehung zu Gott, kann ich als Katholik nicht umhin, auf die Wahrheit zu verweisen und den anderen, wo notwendig, zu korrigieren.
Toleranz in diesem Sinne (das bezieht sich genau auf diesen Punkt des Glaubens und soll keine allgemeine Definition sein) ist also nicht die Akzeptanz einer anderen Wahrheit (die es nicht gibt) sondern die Akzeptanz dessen, dass jemand eine andere, irrige Sicht auf die Wahrheit hat. Da es keine Vielfalt an Wahrheiten gibt, kann eine Formulierung Deine Wahrheit meine Wahrheit nur in die Irre führen. Besser ist, sich im Klaren darüber zu sein, dass ich falsch liegen kann, es aber die Wahrheit gibt und ich zu dem Zeitpunkt glaubend der Wahrheit gewiss bin. Intoleranz in diesem Sinne ist umgekehrt nicht, wenn ich die Wahrheit, die der andere wahrzunehmen meint, ablehne (das ist bei einem gut ausgebildeten Gewissen sogar meine Pflicht), sondern wenn ich nicht zu akzeptieren in der Lage bin, dass der andere zu einer abweichenden wenn auch falschen Sicht der Wahrheit gekommen ist.
Wie der Papst schreibt ist die Wahrheit also etwas Lebendiges, nicht in dem Sinne, dass sie sich ändert, sondern dass sie zu uns kommt, wir von ihr ergriffen werden. Und wir tun gut daran, uns von ihr führen zu lassen, wollen wir uns nicht außerhalb der Wahrheit, und damit dann eben auch außerhalb des Guten wiederfinden. Und wiederum tun wir als Christen, als Katholiken gut daran, andere zu dieser Wahrheit, die wir erkannt haben, zu führen: unser Missionsauftrag besteht insofern auch nicht darin, andere von unserer Meinung zu überzeugen, die morgen auch eine andere sein kann, sondern ihnen auf dem Weg zur Erkenntnis der Wahrheit zu helfen der Unterschied ist durch das vorgesagte hoffentlich ein bisschen klarer geworden. So sind wir also Diener der Wahrheit (im Gegensatz zu Besitzern), und unser Ziel muss es sein, die Wahrheit „wieder leuchten“ zu lassen, wie der Papst sagt, was implizit bedeutet, dass sie heute eben nicht leuchtet, verdunkelt wird durch allerlei falsche Vorstellungen von Toleranz oder Intoleranz.
Man könnte auch ein bisschen pointiert so formulieren: Wenn Intoleranz in den Augen der Welt bedeutet, dass ich an einer Wahrheit festhalte und andere Meinungen als unwahr, als falsch klassifiziere, dann bin ich als Katholik natürlich intolerant, dann muss ich intolerant sein und lege Wert darauf, diesen Begriff dann aber bitteschön ohne wertende Konnotation zu lesen. Wenn Intoleranz aber bedeutet, dass man nicht in der Lage ist zu akzeptieren, dass es eine Wahrheit gibt, dass man nicht bereit ist zu akzeptieren, dass andere eine andere Position für die Wahrheit halten, dann sind diese Propagandisten der dahinterstehenden Toleranz, die fordern, alles als Wahrheit anzuerkennen, was man als Meinung haben kann, in Wirklichkeit intolerant.
Man kann dem Papst nur danken, dass er immer wieder mit solchen Kleinoden um die Ecke kommt von denen er davon ausgehen muss, dass die Welt sie gar nicht wahrnimmt, sind sie doch wie in diesem Fall oft nur an eine kleine Gruppe von Adressaten gerichtet. Die Demut dieses Mannes überrascht mich immer wieder aber wer ihm zuhört, der findet einen Schatz an Weisheit, den nur ein langes Leben aus dem Glauben einem Menschen schenken kann, den nur Gott selbst schenken kann, der uns wiederum alle mit solchen Menschen wie Benedikt XVI. beschenkt. Beten wir, dass er uns noch lange als Papst erhalten bleibt!