Dankenswerterweise hat mich eine Leserin dieses Blogs darauf aufmerksam gemacht, dass der WDR seinen Faktencheck zur „hart aber fair“ Ausgabe zum Thema „Vater, Vater Kind“ zwischenzeitlich geändert hat.
Ich hatte in einem Beitrag darauf hingewiesen, dass mit dem damals alleine aufgeführten Rüdiger Lautmann man sich nicht nur einen äußerst befangenen sondern in seinem Ruf auch noch zweifelhaften Experten herangeholt hat. Parallel hatte ich bei der Redaktion per Mail Beschwerde über das Vorgehen eingelegt.
Ich nehme nicht an, dass meine Beschwerde und dieser Blog alleine dazu beigetragen haben, dass der Faktencheck geändert wurde. Es zeigt sich aber, dass der Protest lohnt, vor allem vor dem Hintergrund, dass auch Mainstreammedien heute die sogenannten „shit-storms“ in Internet und Konkurrenzmedien zu vermeiden versuchen.
Nun scheint auch der neue Faktencheck weit entfernt zu sein von der Neutralität, die der Name verspricht. Gleich der erste „Experte“, Volkmar Sigusch, entpuppt sich mit seinen 72 Jahren und einem selbst initiierten „Institut für Sexualwissenschaft“ (das gem. Wikipedia konsequenterweise mit seiner Emeritierung auch geschlossen wurde), nicht zwingend auf der Höhe der Zeit der Sexualforschung, was ihn aber nicht daran hindert zu behaupten, dass „Homosexuelle sogar behutsamer mit erotischen und sexuellen Reizen und Erregungen umgegangen [sind] als Heterosexuelle, weil sie ahnten oder wussten, dass die Kostbarkeit in Gefahr ist, verboten oder vernichtet zu werden.“, nicht ohne dabei zu vergessen, seine eigene Wortschöpfung der „neosexuellen Revolution“ fröhliche Urständ feiern zu lassen. Geschenkt!
Mir fehlt die Zeit und auch die Lust, den Faktencheck des WDR einem erneuten Faktencheck zu unterziehen; die Löschung der alten Aussagen von Rüdiger Lautmann lassen aber hoffen, dass auch bei Medien-Kolossen wie dem WDR noch nicht alle Hoffnung verloren ist, wenn man sich als Gebührenzahler denn einzusetzen bereit ist.
Auf Wunsch der Leserin, die mich auf die gelöschten Inhalte hinwies habe ich hier noch mal die damaligen Aussagen aufgegriffen (irgend was hat mich bewogen, sie seinerzeit zu speichern, zumindest den Text. Formatierungen muss man sich selbst hinzufügen, dann kommt an den Aussagen schon nahe:
Absolute Gleichheit für schwule Paare: Die CDU gönnt sich ein Streitthema und trifft für viele den Nerv. Ist Ehe wirklich gleich Ehe – inklusive Steuervorteil und Recht auf Adoption? Oder ist Familie nur da, wo Mann und Frau sind? Im Faktencheck bewertet der Soziologe Rüdiger Lautmann einige Aussagen aus der Sendung vom 03.12.2012.
Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt „Hart aber fair“ nach und lässt einige Aussagen und Behauptungen von Experten überprüfen. Die Antworten gibt es am Tag nach der Sendung hier im Faktencheck.
Martin Lohmann über Homosexuelle und Sexualität
Der Theologe und Journalist Martin Lohmann zieht Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie heran. Demnach sei Sexualität etwas kostbares, das gestaltet und entfaltet werden müsse. Sich mit diesem behutsamen Umgang zu identifizieren, falle manchen Homosexuellen jedoch schwer. Hat er Recht?
„Das ‚Kostbare‘ der Sexualität wird einer Moral des Verzichts unterworfen“, sagt Rüdiger Lautmann. Dabei falle die Identifikation mit dem Gebot sexueller Zurückhaltung den meisten Menschen schwer, nicht nur den Homosexuellen. „Nur wenige Menschen halten sich heute noch an das Gebot. Und wohl alle versuchen, ihr Begehren zu gestalten und entfalten. Die Moraltheologie des Verzichts und des Zölibats trägt dazu allerdings praktisch nichts bei außer dass sie Angst verbreitet und Geheimniskrämerei auferlegt.“ Von diesen Verzerrungen habe sich unsere Sexualkultur noch nicht vollständig befreit, so der Soziologe. Für ihn sind die Homosexuellen Teil des Prozesses einer sexuellen Liberalisierung und Entkrampfung: „Sie haben im 20. Jahrhundert manches vorgemacht, was dann von der Mehrheit übernommen wurde. Eine Kultur des zivilisierten Umgangs mit den geschlechtlichen Wünschen wird erst dann entstehen, wenn Angstmache und Entwertung verschwinden.“
Birgit Kelle über die Methodik einer Studie der Uni BambergEine Studie der Uni Bamberg kommt zu dem Ergebnis, dass es kaum Unterschiede zwischen den Entwicklungen von Kindern aus gleichgeschlechtlichen und Kindern aus heterosexuellen Partnerschaften gibt. Die Journalistin Birgit Kelle zweifelt jedoch an der Methodik der Studie. Sie sei lediglich eine „Befragung und Selbsteinschätzung dieser Mütter.“ Darüber hinaus hält sie sie für nicht repräsentativ, weil fast nur lesbische Mütter befragt worden seien. Sind ihre Zweifel an der Methodik berechtigt?
„Nein“, sagt Rüdiger Lautmann, der selbst vom Bundesjustizministerium in den wissenschaftlichen Beirat zu dieser Studie berufen worden war. „Die Studie des bayerischen Staatsinstituts befindet sich auf der Höhe der modernen Forschungsmethodik. Sie nutzt alle erdenklichen Zugänge und Instrumente, um Informationen zum Befinden der Kinder in Regenbogenfamilien zu gewinnen und zu interpretieren.“ Das Bundesjustizministerium habe den gesamten Forschungsverlauf von einem stark besetzten wissenschaftlichen Beirat begleiten lassen. Hier wurden sowohl die methodische Qualität besprochen und einvernehmlich beschlossen als auch die Resultate eingehend geprüft, so der Soziologe. „Die Studie selbst wurde von einer Gruppe Bamberger und Münchner Familienexperten durchgeführt, vermutlich alle mit heterosexueller Lebensführung. Die Untersuchung beruht nicht nur auf einer ‚repräsentativen‘ Stichprobe, sondern weithin auf einer ‚Totalerhebung‘; das heißt, alle erreichbaren Kinder gleichgeschlechtlicher Elternpaare wurden einbezogen. Stichproben gab es für die Kontrollgruppen der Kinder in gemischtgeschlechtlichen Familien. Dass ganz überwiegend Lesbenpaare die Eltern stellen, entspricht dem Zahlenverhältnis in der Wirklichkeit“, stellt Lautmann klar. Nach seiner Einschätzung gilt die günstige Prognose der Studie von Marina Rupp auch für Kinder, die bei einem Schwulenpaar aufwachsen.
„Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ [Studie von Marina Rupp, Uni Bamberg]
Martin Lohmann über eingetragene Lebenspartnerschaften
Martin Lohmann kann bei Betrachtung der Zahlen den „Hype“ um die Diskussion über die Gleichstellung von homosexuellen Paaren nicht verstehen. Er sagt, gerade einmal 0,058 Prozent der Gesamtbevölkerung leben in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Verlässliches Zahlenmaterial zur Anzahl homosexueller Männer und Frauen in Deutschland gibt es nicht. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland schätzt, dass zwischen 1,1 und 2,7 Prozent der Männer schwul und zwischen 0,4 und 1,1 Prozent der Frauen lesbisch sind. Nimmt man an, dass insgesamt zwei Prozent der Menschen homosexuell sind, so trifft die Größenordnung, die Lohmann nennt, zu. Bei einer Bevölkerung von 81,8 Millionen wären demnach rund 1,64 Millionen Menschen homosexuell. Laut Statistischem Bundesamt leben 54.000 Menschen in 27.000 eingetragenen Lebenspartnerschaften. Auf die Gesamtbevölkerung bezogen machen sie einen Anteil von rund 0,06 Prozent aus.
Destatis: Bevölkerung, Familien und Lebensformen [pdf]
LSVD zu Zahlen von Homosexuellen in DeutschlandBirgit Kelle über Kinder ohne Väter
Birgit Kelle behauptet, ein Kind, das ohne Vater aufwächst, habe eine stärkere Neigung zu Depressionen, Aggressivität und Drogenkonsum. Sie versteht nicht, warum Kinder durch eine potenzielle Adoption durch ein lesbisches Paar absichtlich einer Situation ausgesetzt werden, in der sie es eventuell schwerer haben. Sind ihre Befürchtungen berechtigt?
„Die Fakten, auf die Frau Kelle sich bezieht, betreffen Kinder aus heterosexuellen Familien“, stellt Rüdiger Lautmann klar. „Der Vater ist nicht mehr da, und manche alleinerziehende Mutter ist mit der Doppelaufgabe überfordert, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und ihre Kinder zu beaufsichtigen.“ Aus dieser Situation einer Not leidenden Teilfamilie lässt sich nach Einschätzung Lautmanns nichts ableiten, was für ausreichend unterstützte oder gar vollständige Familien gelten könnte. „Die Regenbogenfamilien holen den gegengeschlechtlichen Pol oft hinzu. Bei Frauenpaaren wird das der Kindsvater sein oder ein befreundeter Mann. Bei Männerpaaren sind es die in der öffentlichen Erziehung dominierenden Frauen.“ Lautmann ist sich sicher, dass kaum ein solches Kind ohne Kontakt zum ‚anderen‘ Geschlecht aufwachse. Da Eltern dies wüssten, greifen sie auch zu passenden Maßnahmen. „Die Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren wachsen heute in einer Atmosphäre besonderer Sorgfalt auf. Das ist ein nicht beabsichtigter Nebeneffekt der Opposition gegen das Adoptionsrecht.“ Für Lautmann leuchtet daher auch die Schlussfolgerung von Marina Rupp ein, dass diese Kinder es nicht schlechter, vielleicht sogar ein wenig besser haben.
Der Experte für den Hart aber Fair-Faktencheck: Rüdiger Lautmann (04.12.2012)
Rüdiger Lautmann ist Professor für allgemeine Soziologie und für Rechtssoziologie. An der Universität Bremen forschte er viele Jahre unter anderem zu den Themen Sexualität, Homosexualität, Kriminalität und Recht.
Seit den siebziger Jahren befasst sich Lautmann mit der Historie der Diskriminierung von Homosexuellen in der Gesellschaft. In Bremen leitete er unter anderem das Institut für empirische und angewandte Soziologie. Darüber hinaus führte ihn seine wissenschaftliche Laufbahn an die Universitäten Münster, Bielefeld und die Sozialforschungsstelle Dortmund. Lautmann ist langjähriger Experte auf dem Gebiet der sozialwissenschaftlichen Forschung über Homosexualität. Auch nach seiner Pensionierung ließ ihn das Thema nicht los. Derzeit arbeitet der gebürtige Koblenzer an der Herausgabe eines Sammelbandes zur Homosexualität im Spiegel der Wissenschaften.