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Libertarismus und katholischer Glauben – Versuch einer Annäherung

10. Mai 2013 by Papsttreuer
Lesezeit 6 Minuten
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Freiheit

Ich hatte, das ist schon eine Weile her, mal einen recht umfangreichen Artikel zur Frage des Zusammenspiels von katholischem Glauben und Libertarismus geschrieben. Kernthese, der ich bis heute nachfolge ist, dass in einer Gesellschaft wie der, die wir vor uns haben, der Libertarismus nur funktionieren wird unter der Maßgabe des katholischen Glaubens. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen:

Wenn ein bislang ausufernder Sozialstaat, der die Leistungsträger der Gesellschaft bis an deren Belastungsgrenze und darüber hinaus schröpft, sich dem Libertarismus zuwendet und seine eigenen Aktivitäten auf ein Minimum der Sicherung der inneren und äußeren Sicherheit beschränkt, dann läuft man dabei in der Tat in die Gefahr in einen „Raubtierkapitalismus“ zu münden, in dem jeder sich selbst der Nächste und das Leiden oder der (wirtschaftliche, psychische oder physische) Untergang eines anderen Menschen nurmehr ein „Kollateralschaden“ der Wirtschaftsordnung ist. Unser Staat (und das gilt für die meisten westlichen Staaten) hat Solidarität und Mitgefühl, Hilfeleistungen und Unterstützung von in Not geratenen, in einer Art und Weise institutionalisiert und verstaatlicht, dass Eigenverantwortung in weiten Teilen unterdrückt wird: Wenn der Staat doch durch meine Steuern für jeden sorgt, wieso sollte ich mich dann um ihn sorgen? Dieses System ist also nicht einfach umzukehren ohne dass man befürchten muss, dass diese Mentalität auch dann weiter greift, wenn diese Institutionalisierung nicht mehr gegeben ist.

Der libertäre Staat zwingt – systemimmanent – niemanden zur Solidarität, die damit zu einer Frage des aus Solidarität erwarteten Vorteils, oder der selbst wahrgenommenen gesellschaftlichen Verantwortung wird. Letztere speist sich aus dem Menschenbild des Einzelnen und es ist hoffentlich richtig anzunehmen, dass ein gläubiger Katholik hier einen recht hohen Anspruch an sich selbst hat. Christlicher Glauben wird dann zu einem Träger einer libertären Gesellschaftsordnung, die aber ansonsten zwangsfrei bleibt.

Zu Ende gedacht führt der Libertarismus aber zu weiteren Konsequenzen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Staat und Religion. Hierzu möchte ich Ludwig von Mises (1881 – 1973) zitieren, von vielen als Vater der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und des Libertarismus betrachtet:

Die Neigung unserer Zeitgenossen, obrigkeitliche Verbote zu fordern, sobald ihnen etwas nicht gefällt, und die Bereitwilligkeit, sich solchen Verboten selbst dann zu unterwerfen, wenn sie mit ihrem Inhalt durchaus nicht einverstanden sind, zeigt, dass der Knechtsinn ihnen noch tief in den Knochen steckt. Es wird langer Jahre der Selbsterziehung bedürfen, bis aus dem Untertan der Bürger geworden sein wird. Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.

Der Text stammt – das mag erstaunen vor dem Hintergrund, was wir in den vergangenen Jahren an staatlichen Gängelungen über uns ergehen lassen mussten – aus einem 1927 veröffentlichten Buch von Mises (Libertarismus) und zeigt deutlich auf, wohin die Reise mit dem Libertarismus gehen wird – und stellt unsere, bzw. meine Vorstellungen von einem guten Staat, der die Religion, die christlichen Grundlagen des Abendlandes in seine Entscheidungen einbezieht, in Frage.

Nehmen wir auch dazu ein Beispiel: die Regulierung der Ladenöffnungszeiten. Nach christlichen Vorstellungen sollten Menschen am Tag des Herrn, am Sonntag, keiner Arbeit nachgehen. Ausnahmen davon gelten für den Bereich der Seelsorge für Kranke etc. aber gemeinhin ist auch gemeint, dass an dem Tag kein Handel betrieben werden sollte. Diese Vorstellung hat ihren Niederschlag in der Gesetzgebung zu Ladenöffnungszeiten erhalten in denen geregelt ist, dass Geschäfte am Sonntag nur in Ausnahmefällen geöffnet werden dürfen. Diese Regulierung ist von einem libertären Standpunkt nicht vertretbar: Niemand sollte gezwungen sein, am Sonntag sein Geschäft zu öffnen, niemandem sollte aber auch verboten werden, dies zu tun.

Unter den Bedingungen des Libertarismus wird ein katholischer Ladenbesitzer aufgrund seiner religiösen Überzeugungen sein Geschäft geschlossen halten, sein Nachbar und Konkurrent sein Geschäft dagegen öffnen dürfen. Die Nachteile, die der katholische Geschäftsmann dafür in Kauf nimmt, „rentieren“ sich für ihn über sein Seelenheil. Ein katholischer Konsument wird nun alleine deshalb nicht am Sonntag einkaufen gehen, um nicht (gläubige oder nichtgläubige) Geschäftsleute zum Verstoß gegen das Gebot der Würdigung des Sonntags zu verleiten. Nichtglaubende Konsumenten hätten dagegen weiterhin die Möglichkeit, bei nichtglaubenden Geschäftsleuten einzukaufen. Der nichtglaubende Geschäftsmann wird entsprechend seine Entscheidung, das Geschäft am Sonntag zu öffnen oder nicht, treffen nach seiner Erwartung, ob er trotz ausbleibender (gläubiger) Kundschaft an dem Tag ausreichend Gewinn erwirtschaften kann.

Problematisch wird dies spätestens dann, wenn Angestellte ins Spiel kommen: in einem libertären Markt kann niemand gezwungen werden, am Sonntag zu arbeiten, es kann aber auch niemand gezwungen werden, jemanden, der am Sonntag nicht arbeiten will, einzustellen oder zu behalten. Wer also am Sonntag aus religiösen (oder auch anderen) Gründen nicht arbeiten will, der muss einen Arbeitgeber finden, der sich damit einverstanden erklärt, das so im Arbeitsvertrag zu vereinbaren. Je nach Markt- und Mehrheitsverhältnissen kann das einerseits dazu führen, dass ein Arbeitgeber, der dabei ansonsten keine Hemmungen hätte, sonntags trotzdem auf die Produktion oder Geschäftsöffnung verzichtet oder entsprechende Arbeitnehmer mit einem Lohnaufschlag für Sonntagsarbeit belohnt (wenn dies immer noch ertragreich erscheint). Andererseits kann es auch sein, dass der entsprechende Arbeitnehmer keinen adäquaten Arbeitgeber mehr findet, der auf seine religiöse Einstellung Rücksicht nimmt: der Preis, das Seelenheil, steht hier in direkter Konkurrenz zur Notwendigkeit des Arbeitsplatzes.

Wie gesagt, vor all dem „beschützt“, mehr oder weniger gerecht und mehr oder weniger erfolgreich, derzeit der Staat mit seiner Gesetzgebung. Diese entwickelte sich aber eben nicht aus ökonomischen oder christlichen Erwägungen sondern als Ergebnis von Lobbyarbeit. Eine „christliche Lobby“ war in der Vergangenheit erfolgreich, eigene Moralvorstellungen auch in Gesetzesform gießen zu lassen. Mit abnehmender Bedeutung des Glaubens muss nun konstatiert werden, dass die entsprechenden Regelungen von vielen nur noch als Relikte aus alten Zeiten betrachtet werden. Mit Zuzug anderer Kulturen, die zudem an Einfluss gewinnen, wird dieser Konflikt noch verstärkt: der Moslem wird aus seiner Sicht fragen, wieso er am Freitag arbeiten muss, der Jude wird den Samstag in Frage stellen. Geht man bei den religiösen Interessen davon aus, dass es sich dabei nicht nur um Fragen des Geschmacks sondern der Reinheit der eigenen Glaubenslehre handelt, kann der Staat darauf eigentlich nur mit einer vollständigen Liberalisierung oder einem unüberschaubaren Wust an Regulierungen reagieren, die jedem Recht verschaffen soll, der seine Stimme laut genug zu erheben versteht: Lobbyarbeit eben.

Eine Lösung dieses Spannungsfeldes zwischen katholischem Glauben und Libertarismus lässt sich insofern nur finden in einem gemeinsam eingegangenen, ungeschriebenen Konsens, der so aussehen könnte, dass sich Arbeitgeber, die gerne sonntags produzieren oder verkaufen lassen wollen, sich hierfür Arbeitnehmern bedienen, die dazu bereit sind, gleichzeitig aber auf die religiöse Einstellung christlicher Mitarbeiter Rücksicht nehmen und deren Einsatz an Sonn- und Feiertagen zu vermeiden suchen. Solche eine Lösung im Sinne der Mitarbeitermotivation und des Betriebsklimas oder auch eines für den Arbeitgeber sinnvollen sozialen Friedens zu suchen, ist dann unternehmerische Aufgabe, der sich aber nicht jeder Unternehmer stellen muss sondern dies nur aus Gründen der Einsichtigkeit tut. Damit wäre ich wieder bei der Grundaussage, dass Libertarismus und christlicher Glaube – zumindest ein christliches Menschenbild, dass religiöse Gefühle anderer Menschen ernst nimmt und bereit ist, sie in die eigenen Betrachtungen einzubeziehen, auch wenn man dazu nicht gesetzlich gezwungen wird – sich gegenseitig bedingen können.

Beides allerdings scheint für den Moment illusionär: unser Land und die westliche Welt ist von einem wirklich christlichen Gesellschafts- und Menschenbild mindestens ebenso weit entfernt wie von einer libertären Gesellschaftsordnung. Mein Plädoyer geht daher dahin, sich mit beiden Gedankenmodellen auseinanderzusetzen: ein System staatlicher Gängelung entspricht einem christlichen Weltbild nämlich in keinem Fall! Der Christ ist bereit, einer Staatsordnung im gewissen Rahmen zu folgen (dem Kaiser zu geben, was dem Kaiser gehört), ein System der unsolidarischen zwangsweisen Enteignung und Umverteilung versucht aber nur, eine christliche Gesellschaft zu ersetzen, sie überflüssig zu machen und stärkt sie nicht. Der Libertäre ist also aufgefordert zu prüfen, ob der christliche Glaube, oder zumindest die Akzeptanz christlicher Moralvorstellungen, nicht der Sache des Libertarismus in komplementärer Weise dient. Und der gläubige Katholik ist aufgefordert zu prüfen, ob der Libertarismus, betrachtet durch die Brille des Glaubens, nicht viel mehr einer christlichen und freien Gesellschaftsordnung entspricht als ein pseudosolidarischer Sozialstaat mit seinen Zwangsmitteln. Für letzteren bedeutet dies aber auch, Abschied zu nehmen von einer staatlich verordneten Protektion – die aber, so meine ich, ohnehin nur noch auf dem Papier besteht und keinen Bestand für die Zukunft verspricht. Oder, um noch mal von Mises zu wiederholen:

Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.

Und nachdem diese Forderung natürlich nicht nur die Ökonomie sondern auch andere Fragen des Zusammenlebens betrifft, namentlich solche der christlichen Morallehre, über die ich hier noch gar nicht geschrieben habe, müssen wir uns, muss ich mir die Frage stellen: Können wir das? Wollen wir das?

Wie im Titel angedeutet: dieser Beitrag ist ein Versuch einer Annäherung, er wirft für den einen oder anderen vielleicht mehr Fragen auf als er beantwortet, versteht sich auch nicht als Manifest in dem Sinne, dass ich mir selbst schon vollkommen klar wäre und es mag für manche auch Gründe geben, den vertretenen Thesen (ökonomischen wie religiösen) zu widersprechen. Ich hoffe trotzdem, damit ein ganz klein wenig eine Diskussion bereichern zu können, auch wenn ich nicht auf alle Fragen eine befriedigende Antwort geben kann. Christliche Demut scheint mir an dieser Stelle angemessen.

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Posted in: Allgemein Tagged: Österreichische Schule, Freiheit, Katholizismus, Libertarismus, von Mises

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