Im vierten Kapitel Ich überliefere euch, was ich empfangen habe wird der Hinweis auf die Notwendigkeit der Kirche und des Lehramtes, das bereits im vorigen Beitrag kommentiert wurde, vertieft. Dabei sind vor allem die Aspekte der Verkündigung sowie wie die Bewahrung des Glaubens wesentliche Faktoren, anhand derer der Papst die Notwendigkeit der Kirche, ohne die es keinen echten Glauben geben könne, erläutert.
Die Kirche, Mutter des Glaubens
Zunächst ist wesentlich, dass der Glaube, wie bereits in den vorherigen Kapiteln erläutert wurde, in Wort und Licht weitergegeben wird. Wer diesen Glauben einmal angenommen hat, den hält es nicht, er wird vom Heiligen Geist gedrängt, ihn auch weiterzugeben. Wesentliches Merkmal dieser Evangelisierung ist, dass der Glauben von Gläubigen weitergegeben wird, die wie Jesus das Licht seines Vaters erstrahlen lässt, selbst ein Spiegelbild Christi zu werden versuchen:
Das Licht Jesu erstrahlt wie in einem Spiegel auf dem Antlitz der Christen, und so verbreitet es sich, so gelangt es bis zu uns, damit auch wir an diesem Schauen teilhaben können und anderen sein Licht widerspiegeln, wie bei der Osterliturgie das Licht der Osterkerze viele andere Kerzen entzündet. Der Glaube wird sozusagen in der Form des Kontakts von Person zu Person weitergegeben, wie eine Flamme sich an einer anderen entzündet. Die Christen säen in ihrer Armut einen so fruchtbaren Samen, dass er ein großer Baum wird und die Welt mit Früchten zu erfüllen vermag.
Auf diese Weise ist der Glaube der Apostel, wie er von Jesus selbst bezeugt wurde, von Person zu Person in einer ununterbrochenen Kette zu uns gekommen so unwahrscheinlich ist das über zwei Jahrtausende, dass sich die Frage stellt, wie das überhaupt gehen kann, dass der Glaube auf diese Art und Weise tatsächlich bewahrt und nicht durch die unterschiedlichen Eindrücke und Ausdrucksweisen der handelnden Personen verfälscht wurde? Hier kommt hinzu, dass der Mensch eben nicht nur etwas aus den Schriften erfährt und sich alleine ein Bild daraus macht, sondern in Beziehungen lebt. Es ist also nicht nur das Gedächtnis einzelner, dass die Weitergabe des Glaubens sicherstellt, sondern die Gemeinschaft der Glaubenden, die insofern ein größeres Gedächtnis bilden, als es ein Einzelner zu tun vermag und diese Gemeinschaft der Gläubigen, die sich um den Glauben bemühen, Christus zu folgen und ein gottgemäßes Leben zu leben versuchen, ist die Kirche:
Die Vergangenheit des Glaubens, jener Akt der Liebe Jesu, der in der Welt ein neues Leben hervorgebracht hat, kommt auf uns durch das Gedächtnis der anderen, der Zeugen, und ist lebendig in dem einzigartigen Subjekt des Gedächtnisses, der Kirche. Die Kirche ist eine Mutter, die uns lehrt, die Sprache des Glaubens zu sprechen. [ ] Die Liebe, die der Geist ist und in der Kirche wohnt, hält alle Zeiten untereinander geeint und macht uns zu Zeitgenossen“ Jesu. So leitet er unser Unterwegssein im Glauben. [ ] Deshalb gilt, wer glaubt, ist nie allein, und deshalb breitet der Glaube sich aus, lädt er andere zu dieser Freude ein.
So vollzieht sich der Glaube immer in Gemeinschaft, er ist keine Einzelentscheidung eines Individuums sondern immer abhängig von den Beziehungen, in denen dieser Glaube vermittelt wird:
Die Sakramente und die Weitergabe des Glaubens
Den einen oder anderen mag es überraschen, wenn der Papst im folgenden darauf eingeht, dass ein wesentliches Element der Glaubensweitergabe die Sakramente der Kirche darstellen. Dazu ist das rechte Verständnis von Sakramenten notwendig, die eben nicht nur zeichenhafte Handlungen sind sondern in der Realität tatsächlich wirken. Durch die Sakramente wird den Gläubigen nicht nur von Christus berichtet, sondern es kommt zu einer wirklichen Begegnung mit Gott. Das Geschenk der Sakramente ist auch deshalb so wertvoll, weil sie uns den Glauben mit allen Sinnen vermitteln, nicht nur durch Sprache und Wort, sondern auch durch materielle Handlungen, die einem einen Blick auf Gott erschließen und in der Wiederbelebung des Glaubens daher einen hohen Wert haben:
Die Wiederbelebung des Glaubens führt über die Wiederbelebung eines neuen sakramentalen Sinns des Lebens des Menschen und der christlichen Existenz. Dabei zeigt sich, wie das Sichtbare und Materielle sich auf das Geheimnis der Ewigkeit hin öffnen.
Als Beispiele erläutert der Papst die Sakramente der Taufe und der Eucharistie sowie in dem Zusammenhang auch das Glaubensbekenntnis, das bei der Feier der Sakramente gesprochen wird. Dabei ist insbesondere die Taufe nicht lediglich eine symbolische Handlung mit der der Täufling den eigenen Glauben bekennt, sich gleichsam selber tauft. Die Taufe verwandelt uns dagegen zu Söhnen und Töchtern Gottes, er erhält mit der Taufe einen Glaubensrahmen im Sinne einer zu bekennenden Lehre und einer konkreten Lebensform:
So erinnert uns die Taufe daran, dass der Glaube nicht Werk eines Einzelwesens ist, nicht eine Tat, die der Mensch allein im Vertrauen auf seine eigenen Kräfte vollbringen kann, sondern dass er empfangen werden muss, und zwar mit dem Eintritt in die kirchliche Gemeinschaft, die das Geschenk Gottes weitergibt: Niemand tauft sich selber, so wie niemand von allein zum Dasein geboren wird. Wir sind getauft worden.
Dadurch, dass die Taufe nicht so sehr ein individueller Glaubensakt ist als vielmehr eine Handlung, die Gott selbst an uns vornimmt, erklärt sich auch die Sinnhaftigkeit, wenn nicht Notwendigkeit der Kindstaufe. Das Kind selbst kann seinen Willen nicht äußern, seinen Glauben nicht bekennen, aber es kann von den Eltern und der Kirche in den Glauben aufgenommen und eingeführt werden. Die Eltern machen ihren Kindern, indem sie sie zu Kindern Gottes machen, ein Geschenk durch die Taufe (dass sie ihnen, diese Anmerkung von mir sei erlaubt, verwehren, wenn sie aus falsch verstandenem Individualismus die Kinder nicht taufen lassen um ihnen die eigene spätere Entscheidung nicht zu nehmen):
Nach einem Wort des heiligen Augustinus sind die Eltern berufen, ihre Kinder nicht nur zum Leben zu zeugen, sondern sie zu Gott zu bringen, damit sie durch die Taufe als Kinder Gottes wiedergeboren werden und das Geschenk des Glaubens empfangen.[38] So werden ihnen zusammen mit dem Leben die Grundorientierung des Daseins und die Sicherheit einer guten Zukunft gegeben. Diese Grundorientierung wird dann im Sakrament der Firmung mit dem Siegel des Heiligen Geistes weiter gestärkt.
Als zweites wesentliches Beispiel der Glaubensweitergabe durch die Sakramente verweist der Papst dann auf die Eucharistie. Diese ist deshalb so bedeutsam, weil sie sich in zwei unterschiedlichen Dimensionen abspielt: der horizontalen oder geschichtlichen Dimension wie auch in einer transzendenten Dimension.
In der Eucharistie kreuzen sich die beiden Achsen, auf denen der Glaube seinen Weg geht. Zum einen die Achse der Geschichte: Die Eucharistie ist Gedächtnishandlung, Vergegenwärtigung des Geheimnisses, wo Vergangenes als Geschehen von Tod und Auferstehung sich fähig erweist, auf Zukunft hin zu öffnen, die endgültige Fülle vorwegzunehmen. [ ] Zum anderen findet sich hier auch die Achse, die von der sichtbaren Welt zum Unsichtbaren führt. In der Eucharistie lernen wir, die Tiefe des Wirklichen zu sehen. Brot und Wein werden in Leib und Blut Christi verwandelt, der auf seinem österlichen Weg zum Vater gegenwärtig wird: Diese Bewegung führt uns mit Leib und Seele hinein in die Bewegung der ganzen Schöpfung hin auf ihre Fülle in Gott.
Zusammenfassend erläutert der Papst zu den Sakramenten auch die Bedeutung des Glaubensbekenntnisses. Er verweist darauf, dass das Sprechen des Glaubensbekenntnis nicht nur eine Zustimmung zu einer Sammlung von abstrakten Wahrheiten beinhaltet. Der Gläubige betritt mit dem Glaubensbekenntnis eine quasi neue Welt, auf die er sich einlässt, die Ansprüche an ihn formuliert, auf die er sich in Freiheit und in Liebe zu Gott einlässt:
Wer den Glauben bekennt, sieht sich in die Wahrheit, die er bekennt, einbezogen. Er kann die Worte des Credos nicht in Wahrheit aussprechen, ohne dadurch verwandelt zu werden, ohne sich auf die Geschichte der Liebe einzulassen, die ihn umfängt, die sein Leben weitet und ihn zu einem Teil einer großen Gemeinschaft werden lässt, des eigentlichen Subjekts, das das Credo spricht, nämlich die Kirche. Alle Wahrheiten, an die man glaubt, sprechen vom Geheimnis des neuen Lebens im Glauben als einem Weg der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.
Glaube, Gebet und Dekalog
Diese Einbindung, die durch das Glaubensbekenntnis geschieht, vollzieht sich nach den Worten des Papstes auch im Gebet des Herrn, dem Vaterunser, sowie in den Zehn Geboten, die uns von Gott gegeben wurden. Mit dem Vaterunser, dass uns Jesus selbst gelehrt hat, lernt der Christ mit den Augen Christi zu sehen. In ähnlicher Weise lernt er durch den Dekalog, sich ganz auf Gott einzulassen. Dazu ist ebenfalls das richtige Verständnis notwendig, das bei den Zehn Geboten nicht darin besteht, bestimmte Verbote einzuhalten, sondern darin zu lernen, wie das geht, ein gottgemäßes Leben zu führen:
Der Dekalog ist nicht eine Sammlung von negativen Vorschriften, sondern von konkreten Weisungen, um aus der Wüste des selbstbezogenen, in sich verschlossenen Ich herauszukommen und in Dialog mit Gott treten zu können, während man sich von seiner Barmherzigkeit umfangen lässt, um selber Barmherzigkeit zu bringen. [ ] Der Dekalog erscheint als der Weg der Dankbarkeit, der Antwort aus Liebe, der möglich ist, weil wir uns im Glauben für die Erfahrung der verwandelnden Liebe Gottes zu uns geöffnet haben. Und dieser Weg wird von dem neu beleuchtet, was Jesus in der Bergpredigt lehrt (vgl. Mt 5-7).
Die Einheit und die Unversehrtheit des Glaubens
Zum Schluss kommt der Papst noch einmal auf die Verfasstheit des Glaubens als Kirche zu sprechen, die er für wesentlich erachtet, und die all jenen widerspricht, die meinen, man könne auch alleine glauben oder für den Glauben reiche es, Jesus zu folgen, einer Kirche bedürfe es nicht. Wie schon beim Schluss des letzten Kapitels hätte ich den Verdacht, dass die Enzyklika von den Kritikern der Kirche nicht gelesen wurde, da sie ansonsten Sturm laufen müssten.
Zunächst bekräftigt der Papst noch einmal den Wahrheitsgehalt des Glaubens, der damit einhergeht, dass es nur einen rechten Glauben geben kann. Vielfach wird diese Einheit im Glauben als Einschränkung der Freiheit des Denkens und der Autonomie des Subjekts missdeutet. Diese Fehleinschätzung klärt sich, lässt man erst einmal zu, dass die Wahrheit nur in der Liebe bestehen kann:
Die Erfahrung der Liebe sagt uns hingegen, dass es gerade in der Liebe möglich ist, eine gemeinsame Vorstellung zu haben, dass wir in ihr lernen, die Wirklichkeit mit den Augen des anderen zu sehen, und dass uns dies nicht ärmer macht, sondern unsere Sicht bereichert. Die wirkliche Liebe nach dem Maß der göttlichen Liebe erfordert die Wahrheit, und in der gemeinsamen Sicht der Wahrheit, die Jesus Christus ist, wird sie tief und fest. Dies ist auch die Freude am Glauben, die Einheit der Sicht in einem Leib und einem Geist. In diesem Sinn konnte der heilige Leo der Große sagen: »Wenn der Glaube nicht einer ist, ist er kein Glaube«.
Diese Einheit des Glaubens sagt aber auch aus, dass der wirkliche Glaube nur als Ganzes angenommen werden kann und der Glauben Schaden nimmt, wenn man Teile von ihm missachtet oder entfernt. Hier sieht der Papst eine wesentliche Aufgabe der Kirche: die Einheit des Glaubens sicherzustellen. Dies betrifft zu unterschiedliche Zeiten unterschiedliche Glaubensinhalte, die in der Außenwahrnehmung manchmal als wesentlich, manchmal als vernachlässigbar, manchmal als leichter, manchmal als schwieriger bis unmöglich anzunehmen erscheinen.
Diese Aufgabe wird durch die Kirche erfüllt, indem ihr die Gabe der apostolischen Sukzession geschenkt wurde. Es ist also der Papst, die Gemeinschaft der Bischöfe und das Lehramt der Kirche, die verantwortlich sind, verantwortlich gegenüber Gott selbst und nur indirekt gegenüber den Menschen, die ein Recht auf die richtige Weitergabe des Glaubens haben, die Einheit des Glaubens zu bewahren.
Die Garantie der Verbindung mit dem Ursprung wird also von lebendigen Personen gegeben, was dem lebendigen Glauben entspricht, den die Kirche weitergibt. Er stützt sich auf die Treue der Zeugen, die vom Herrn für diese Aufgabe ausgewählt werden. Deshalb spricht das Lehramt immer in Gehorsam gegenüber dem ursprünglichen Wort, auf das sich der Glaube gründet; und es ist verlässlich, weil es dem Wort vertraut, das es hört, bewahrt und auslegt. In seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus in Milet, die vom heiligen Lukas in die Apostelgeschichte aufgenommen wurde, bezeugt der heilige Paulus, den ihm vom Herrn anvertrauten Auftrag erfüllt zu haben, »den ganzen Willen Gottes zu verkünden« (Apg 20,27). Dank des Lehramts der Kirche kann dieser Wille unversehrt auf uns kommen und mit ihr die Freude, ihn vollkommen zu erfüllen.
Der Papst formuliert damit einerseits ein Recht, das Recht der rechten Auslegung der Bibel und der Überlieferung, der Erinnerungen durch den Heiligen Geist, vor allem aber eine Pflicht, die jeder Bischof und Papst gegenüber Gott übernimmt. Wer dem im Affekt, im Gefühl seine Eigenständigkeit im Glauben zu verlieren, widerspricht, muss sich vor Augen halten, welche Verantwortung die apostolischen Nachfolger tragen: die Einheit und Wahrheit des Glaubens zu bewahren, der seit Jahrtausenden von der Kirche und von Person zu Person weitergegeben werden.
Fortsetzung folgt