Am Wochenende habe ich in der Jungen Freiheit ein Interview gelesen, dass mich sprachlos hinterlässt. Berichtet wird von der Praxis in Krankenhäusern der ehemaligen DDR, Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1000 g als Totgeburten zu deklarieren und sie konsequenterweise nach der Geburt auch zu ermorden bzw. qualvoll sterben zu lassen. Ziel war offenbar, die Statistik über die Kindersterblichkeit zu schönen: Natürlich ist die Gefahr, dass solche Frühchen nicht überleben sehr hoch, deklariert man sie jedoch direkt als Totgeburt, so gingen sie nicht in die entsprechende Statistik mit ein, sodass die DDR sich einer im weltweiten Vergleich deutlich niedrigen Kindersterblichkeitsquote rühmen konnte. In dem genannten Interview unter dem Titel Die Kinder zappelten im Todeskampf berichtet die Hebamme Christine Philipp, wie sie in ihrer Ausbildung mit dieser Praxis konfrontiert wurde, wie sie sich zu wehren versuchte, sie verschweigt auch nicht, schuldig geworden zu sein, und wie es ihr erging, als sie auch nach der Wende die Vorkommnisse öffentlich zu machen versuchte. Prozesse von Ärzten, die ihre Aussagen verhindern wollten (die sie allesamt gewonnen hat) und darüber hinaus eisiges Schweigen der Politik.
Man muss sich das, auch mit Widerwillen aufgrund der Grausamkeit, vor Augen führen: früh aber lebend geborene Kinder, die das Pech hatten unter einer statistischen Gewichtsgröße geboren zu werden, werden in Eimer oder Kisten geworfen, im Winter auf eiskalte Fensterbänke gelegt, in mit Wasser gefüllte Behälter gelegt um sie sterben, nein, eigentlich eher verrecken zu lassen.
Wie kann man nur? Wie konnten die nur? Die Frage, die so berechtigt klingt, hat doch eine einfache wenn auch zynische Antwort: weil es der Sache diente! Die Sache, das ist der Sozialismus, der sich als moderne Variante der Gerechtigkeit gesehen hat und diesen Anspruch ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen versuchte. Teil dieser Gerechtigkeit, die eine Art Himmel auf Erden schaffen sollte (und zur Hölle nicht nur dieser Kinder wurde), war die Abwendung von Gott Religion ist Opium für das Volk, so die Devise. Staatsdoktrin des Sozialismus ist die Nichtexistenz Gottes, an dessen Stelle sich das Volk, der Staat, die Politik, die Ideologie selbst setzt (was die Nähe des Sozialismus zum Nationalsozialismus deutlich werden lässt).
Von Dostojewski stammt der Satz: Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt. Man kann das fortsetzen oder detaillieren: Wenn es keinen Gott gibt, dann hat mein Handeln keine moralischen Konsequenzen. Wenn es keinen Gott gibt, gibt es keine höchste, überstaatliche Stelle, die mein Handeln als richtig oder falsch, als gut oder böse klassifizieren könnte. Wenn es keinen Gott gibt, dann sind Entscheidungen und Handlungen nur noch anhand weltlicher Maßstäbe beurteilbar, ewige Werte kann es dann nicht mehr geben. Wenn es keinen Gott gibt, dann ist der Mord an zu früh geborenen Kindern auf der Grundlage weltlicher Zielsetzungen, wie der Verbreitung einer Ideologie, gerechtfertigt. Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es kein moralisches Hemmnis mehr, kleine Kinder zu töten. Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es kein moralisches Hemmnis mehr, irgendeinen Menschen zu töten, wenn es der Gesellschaft, dem Staat, der Durchsetzung der Ideologie dient.
Der Mord an den Kindern in der DDR ist keine bedauernswerte Fehlentscheidung im Rahmen eines seinerzeit real existierenden Sozialismus mit besten Absichten, der Mord an diesen Kindern ist systemimmanent. Wer heute noch dem Sozialismus das Wort redet (und das muss nicht notwendigerweise bedeuten, dass er diesen beim Namen nennt), der muss wissen, dass die Gottferne dieser Ideologie Menschen zu Monstern machen kann, die kleine, hilflose Kinder verrecken lassen. Wer einer Gesellschaft ohne Gott das Wort redet, der muss sagen, dass er neben dem Glauben auch die Hoffnung und die Liebe, zusammen mit der Wahrheit und der Moral, ablehnt zugunsten der eigenen Ideologie, die sich zu Gott, zu einem Götzen macht.
Es ist nicht nur der Sozialismus, der solche Abartigkeiten hervorbringt, es sind alle weltlichen Ideologien, die sich an Gottes Stelle zu setzen versuchen. Machen wir uns nichts vor: mehr als einhunderttausend Abtreibungen in Deutschland pro Jahr, Versuche der Legalisierung von Sterbehilfe, Abschaffung von Ehe und Familie in ihrer klassischen, biblisch begründeten Form, faktischer Kindesentzug in Kitas und Kindergärten zur Aufrechterhaltung der weiblichen Produktivität, Normierung und Aussortierung von Kindern bereits vor der Geburt durch PID und entsprechende Selektionskriterien das alles sind Symptome einer Gesellschaft, die von Gott nichts mehr wissen will. Wir sind regiert von einer sogenannten christlich-liberalen Koalition mittendrin in einer solchen Gesellschaft, die als Ganzes und ihre staatlichen Vertreter im besonderen, unser Gebet notwendiger hat denn je.