Eine interessante Betrachtung gibt es vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger, später Papst Benedikt XVI. über die Versuchungen Christi, wie sie in der Bibel nach der Taufe durch Johannes beschrieben werden, wiedergegeben sowohl in Lukas 4, 1-13 oder Matthäus 4, 1-11. Die Betrachtung kann als Aufnahme von Radio Vatikan bestellt werden.
Lukas beschreibt das Geschehen wie folgt:
Erfüllt vom Heiligen Geist, verließ Jesus die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher, und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt. Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger.
Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot.
Da führte ihn der Teufel (auf einen Berg) hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.
Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln befiehlt er, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, / damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Da antwortete ihm Jesus: Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.
Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab.
Ratzinger überträgt die Versuchungen, die Jesus hier vom Teufel angeboten werden als drei immerwährende Versuchungen an den Menschen, denen wir nur zu oft nachgeben (im Gegensatz zu Jesus, der versucht wurde, aber nie gesündigt hat). Die Versuchung besteht in der Anbetung von Götzen, die uns von Gott ablenken, indem sie uns andere Götter, eben Götzen, als Orientierung anbieten: die Anbetung des Wohlstands (Brot), die Anbetung des Eros und Ansehens (Sturz vom Tempel) und die Anbetung der Macht. Viele, vielleicht alle, der heutigen Götzen lassen sich auf diese Götzen zurückführen, die Jesus schon vor 2000 Jahren vom Teufel angeboten wurden. Wer wachen Auges durch die Welt läuft, dem wird die Anbetung von Wohlstand und Eros nicht neu sein: Geiz ist geil, die Fixierung auf das Thema Geld in allen, auch moralischen Fragen, die exzessive Exhibitionismuskultur a la Big Brother oder diverser Casting-Formate alles Dinge, die bei vielen zwischenzeitlich einen unangenehmen Beigeschmack hinterlassen, sich trotzdem großer Beliebtheit erfreuen (so ist das mit den Götzen, sonst wären es keine). Was im Großen gilt hat auch im Kleinen seine Bedeutung: Wie viele Familien zerbrechen über Streitigkeiten über ein nur minimales Erbe? Wie viele Freundschaften zerbrechen über die Geltungssucht des jeweils anderen? Götzen schaffen keinen Wert, schon gar keine Werte, sie brechen Beziehungen auf, führen zu Trennung und Hass.
Weniger Beachtung, wobei nicht weniger wichtig, findet die letztere Anbetung, die der Macht. Zwar werden die Mächtigen eher kritisch beäugt, einen selbst eingerichteten und gewonnen Machtbereich geben aber auch die wenigsten wieder frei. Ob es die Rolle des Familienoberhauptes ist (auch wenn sie von der Frau wahrgenommen wird), die des Vereinsvorstands oder des Stadtrats einer kleinen Gemeinde: Gestaltungswille wird genannt was nicht selten Machtverliebtheit oder eben die Anbetung der (eigenen) Macht ist. Und was wir in den Tagen des Wahlkampfs an Machtwillen beobachten können, führt sicher bei vielen ebenfalls zu einem unguten Gefühl in der Magengegend (und wieder: bei anderen erkennen wir den Götzen recht gut, bei uns selbst sind wir eher blind für den Balken in unseren Augen).
Politischer Gestaltungswille ist dabei ein durchaus zweischneidiges Schwert: Wer politisch etwas bewegen will, der wird über kurz oder lang eine Machtposition anstreben, Opposition ist Mist hat es ein Klartextpolitiker mal auf eine kurze Formel gebracht. Sicher, wer einer kleinen Splitterpartei zugehörig ist, wird nicht direkt die Regierung anstreben, aber selbst derjenige wird versuchen, seine Ideen umzusetzen, sei es zunächst auf kommunaler Ebene, sei es durch Volksbegehren oder Bürgerinitiativen. Wesentlich ist dabei für einen Christen, den Charakter der Macht als Götzen nicht aus den Augen zu verlieren.
Definiert man Macht als die Fähigkeit einer Person oder Interessengruppe, auf das Verhalten und Denken von einzelnen Personen, Personenmehrheiten und sozialen Gruppen einzuwirken (Quelle: Wikipedia) wird deutlich, dass diese Fähigkeit, diese Potenz zunächst mal wertneutral ist, in ihr aber der Kern für die Manipulation und/oder den Machtmissbrauch liegt: es kommt eben drauf an, wie und für was die Macht genutzt wird. Dass jemand versucht, einen anderen im eigenen Sinne zu beeinflussen, ist keine besondere Neuigkeit, wesentlich ist aber, wie der andere auf diese Einflussnahme reagieren kann. Macht nach herkömmlichen Verständnis ist dann, wenn man andere nicht nur beeinflusst sondern sie zu einem bestimmten Verhalten zwingen kann. Womit wir spätestens jetzt beim Staat wären: der Staat zwingt uns mit der Exekutive zur Einhaltung von Gesetzen: Meldewesen, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Beachtung von roten Ampeln, Zahlen von Steuern, Rauchverbote, Notwendigkeit von Baugenehmigungen, Umweltschutzauflagen, Dosenpfand die Liste der staatlichen Zwangsmaßnahmen ist fast unendlich lang und auf ganz unterschiedliche Bereiche unseres täglichen Lebens verteilt. Eines haben sie aber gemeinsam: der Staat maßt sich das Recht an und fühlt sich durch demokratische Mechanismen dazu legitimiert , das Verhalten der Menschen mit Zwangsmaßnahmen zu steuern. Spreche ich hier vom Staat, dann ist damit natürlich keine neutrale Institution gemeint sondern Menschen, die die Regierung eines Staatsgebietes bilden und Macht ausüben man muss sagen naturbedingt nicht neutral sondern im ihnen genehmen Sinne.
Menschen üben also Macht über andere Menschen aus, zwingen sie zu Verhaltensweisen, die sie so die Annahme ohne äußeren Zwang nicht annehmen würden. Trifft eine solche Kaste der Macht auf willige Regierte erscheint der Gestaltung der Gesellschaft durch eine Regierung kaum noch Grenzen gesetzt zu sein. Macht wird als anbetungswürdig schnell zum Allheilmittel. In westlichen Staaten wird die Macht demokratisch über Wahlen legitimiert, aber gerade hier zeigt sich die Gefahr: finde ich als potenzieller Mächtiger ein Thema, für das sich eine Mehrheit bereit erklärt, mir zu folgen (mich zu wählen) kann ich dieses Thema im Wesentlichen uneingeschränkt und gegen eine Minderheit umsetzen. Das führt einerseits dazu, dass sich einzelne Politiker Themen suchen, mit denen sie punkten können: Steuern zu erheben ist kein Reißerthema, Steuern für eine (reiche) Minderheit zu erheben, ist schon wieder mehrheitsfähig. Sozialleistungen auszubauen verspricht Wählerstimmen bei den Nutznießern dieser Leistungen. Nicht das, was langfristig für ein Volk gut ist entscheidet eine Wahl, sondern was die Mehrheit für gut hält: wer wollte dieser Mehrheit verübeln, dabei auch an sich zu denken. Neid und Gier wird somit zu einem natürlich nicht so klar benannten Wahlkampfthema, das die Anbetung der Macht nur weiter untermauert.
Schlimmer allerdings ist andererseits die Hypothese, dass man mit der Macht, die einem gegeben ist, uneingeschränkt Einfluss auf die Welt nehmen könnte. Wer in den Wahlkampfreden genau hinhört und ihnen Glauben schenkt, der muss annehmen, dass es tatsächlich Politiker, Regierende sind, die Arbeitsplätze schaffen, für Wirtschaftswachstum sorgen, Armut bekämpfen Viel weiter entfernt von der Wahrheit kann man kaum sein: Politik ist in sich nicht produktiv, Politik kann über die ihr zur Verfügung stehenden Machtmittel Rahmenbedingungen schaffen: ob die förderlich sind, ob die besser sind als solche, die sich aus einer natürlichen Ordnung ergeben, darf man und muss man als Libertärer sicher bezweifeln. Das hindert aber die Mächtigen nicht daran, von der Machbarkeit der eigenen Ideen vollständig überzeugt zu sein. Machbarkeitswahn ist eine der häufigsten Nebenwirkungen der Anbetung der eigenen Macht. Diese Differenz zwischen Machbarkeit und Machbarkeitswahn verdeutlicht dann auch den eigentlichen Götzencharakter der Macht. Sie erscheint als Mittel der Wahl, ist aber zur Lösung von Problemen gar nicht in der Lage, sie wird angebetet und die Mächtigen verstärken dadurch das Gefühl der Allmacht, die ihnen gar nicht zusteht.
Eine mögliche Heilung dieses Götzendienstes, dieser Anbetung der Macht, liegt in der demütigen Annahme der Begrenztheit der Mittel der Macht. Macht nicht um der Macht willen anzustreben sondern als Dienst an der Gesellschaft, durchaus mit der Option, damit auch selbst erfolgreich zu sein, ist ein Test, dem sich jeder Mächtige immer wieder unterziehen muss. Dazu gehört aber auch, dass diejenigen, an denen Macht ausgeübt wird, von der Anbetung der Macht, von der Anbetung der Mächtigen lassen und sie ebenfalls als Dienstleistung verstehen, die sich dem Guten der Regierten unterzuordnen hat. Jede Machtausübung, die nicht zwingend zum Gemeinwohl notwendig ist (und das schränkt den Handlungsrahmen wirklich auf ein Minimum ein, je nach Dogmatik maximal auf innere und äußere Sicherheit und die Unterstützung unverschuldet in Not geratener Menschen wenn überhaupt) beinhaltet die Tendenz zum Missbrauch, zum Machbarkeitswahn und damit wieder zur Selbstvergötterung. Was hier propagiert wird soviel wird deutlich geworden sein ist ein Macht- und Politikverständnis, dass sich nicht von heute auf morgen umsetzen ließe, dessen Umsetzung aber langfristig notwendig ist, will man einer götzenhaften Anbetung der Macht entgehen. Der Glaube an Gott, dem einzig Mächtigen und Allmächtigen, dem einzigen, dem Anbetung gebührt, ist sicher ein probates Mittel, die erforderliche Demut zu erlangen und der Versuchung der Anbetung der Macht nicht zu erliegen; ob er zwingend ist oder auch eine Art weltlicher Demut und Aufklärung in ausreichendem Maße zu dieser Einschränkung der Macht beiträgt, wird sich in einer säkularen Gesellschaft erweisen müssen.