In einem Beitrag vom vergangenen Sonntag hatte ich Stellung genommen zu einer Kolumne von Andreas Püttmann, die in der ZEIT-Beilage Christ & Welt unter dem Titel Die Moralpächter veröffentlicht wurde. Meine These war, dass Püttmann in seinem Beitrag mit unzulässigen, und vor allem nicht nachgewiesenen Pauschalierungen arbeitet und so die nicht kleine Gruppe von konservativen Christen aus dem von ihm als notwendig erachteten Wertediskurs ausschließen, ihre Argumente im vorhinein unmöglich machen möchte. Da ich mich selbst als konservativ-christlich betrachte, war meine Antwort sicher auch nicht ganz ohne Emotion, ich bin aber nach wie vor dieser Ansicht und irritiert über die unreflektierten Urteile des von mir ansonsten ob seiner objektiven Art durchaus geschätzten Autors.
Mit einem etwas anderen Blick hat allerdings meine Frau auf das Thema geschaut, und ich möchte das meinen Lesern nicht vorenthalten, weil auch dieser Blick etwas bedenkenswertes hat, vielleicht und vor allem auch im Hinblick auf das aktuelle Papstinterview (siehe hier). Der Einwurf meiner Frau verteidigt dabei nicht die Aussagen Püttmanns selber, sie weist aber darauf hin, dass bei vielen offenbar ein Bild des konservativen Christen entsteht, mit dem man sich, ob es nun richtig ist oder nicht, auseinandersetzen muss. Offenbar ist bei Herrn Püttmann, der eigentlich durchaus nachdenklich an diese Themen herangeht und nicht im Ruf steht, gegen die katholische Kirche zu agitieren, ein Bild des konservativen Christen entstanden, dass er in seinen Worten wiedergibt:
Der Christlich-Konservative sucht den Schulterschluss mit der politischen Rechten oder Nationalkonservativen, favorisiert oder unterstützt autokrate Herrschaftssysteme, fokussiert in Moralfragen auf die Sexualität, dort vor allem in einem Kampf gegen Homosexualität und Homosexuelle, strahlt Selbstgerechtigkeit und Hochmut in Moral- und Glaubensfragen aus, sieht sich selbst als Glaubens- und Wertelite, ist unsensibel für die eigene Irrtumsfähigkeit, wertet im Gegensatz zu den Aussagen des Katechismus nicht nur die Sünde sondern auch den Sünder persönlich ab, relativiert dagegen die Verfehlungen von seinesgleichen und entpuppt sich damit als lernunfähiger Rigorist.
Es ist dabei gar nicht so entscheidend, ob dieses Bild auf die konservativen Christen zutrifft, oder ob es zumindest relevante kirchliche Gruppen gibt, auf die es zutrifft und die mit dem Adjektiv konservativ-christlich assoziiert werden. Entscheidend ist, dass das offenbar das Bild ist, dass ein nachdenklicher Apologet des Christlichen in unserer Gesellschaft diesen Eindruck gewinnt; wie muss dann das Bild bei weniger reflektierten Zeitgenossen aussehen? Ich selbst hatte in diesem Blog schon mal darauf hingewiesen, dass ich die Kritik aus konservativer Sicht an Papst Franziskus oft als nicht nachvollziehbar empfinde. Auch der oft vorzufindende Hinweis, eine bestimmte vom Papst angewandte Verhaltensweise, die von den Medien positiv bewertet wird, habe es auch schon bei Papst Benedikt gegeben (z.B. Beichte beim Weltjugendtag), ist wenig gewinnend für einen Außenstehenden.
Dabei gelten die Einwände Püttmanns auch für diesen Blog; mehr als einmal habe ich die Rückmeldung bekommen, dass ich an der einen oder anderen Stelle zu hart, zu dogmatisch, zu wenig menschlich argumentiere. Ich versuche dann, mit anderen Worten deutlich zu machen, was ich meine, aber oft ist das Kind dann schon in den Brunnen gefallen: der erste Eindruck bleibt haften da schreibt ein Hardliner. Argumente haben es in der Folge doppelt so schwer, gerade in Glaubensfragen.
Man kann an dem Text von Püttmann einiges kritisieren, und das habe ich mit meinem ersten Beitrag getan, aber ein Satz bleibt, unter Berücksichtigung des Vorgenannten, richtig:
Solch ein Moraldiskurs untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten Kirche, selbst wenn es sich bei ihm nur um eigenwillige Akzentuierungen ihrer Lehre handelt.
Unser Papst führt uns in Exzellenz vor, was auch mit dem II. Vatikanischen Konzil (und nicht nur seinem ominösen Geist) gemeint war: er steht felsenfest hinter der Lehre der Kirche, hat dies erst gerade wieder im Interview deutlich gemacht, aber er hämmert den Menschen nicht als erstes den Katechismus und die Bibel auf den Kopf, sondern sucht nach Möglichkeiten, Jesu Botschaft in einer Sprache zu vermitteln, die auch Fernstehende verstehen, er sucht nach ihren Wunden und den Möglichkeiten, diese zu heilen. Dem Sünder mit der Bibel oder dem Katechismus seine Sünde nachzuweisen versuchen, gleicht für denjenigen dem Versuch, klarzustellen, warum eine Radarfalle nachts um drei vor einer Schule sinnvoll ist die Gesetzeslage ist klar, verinnerlicht werden kann sie aber so nicht. Die Sünde nicht kleinzureden, aber zunächst nach den offensichtlichen oder manchmal auch tiefer liegenden Wunden zu suchen und sich um sie zu kümmern, das ist unsere Aufgabe, anschließend kann man durchaus auch tiefer gehen und uns selbst und andere näher an eine christliche Moral heranführen. Das richtige Maß dabei zu finden ist die Herausforderung, wie sie der Papst in seinem Interview beschreibt:
Der Rigorist wäscht sich die Hände, denn er beschränkt sich auf das Gebot. der Laxe wäscht sich die Hände, indem er einfach sagt: ‚Das ist keine Sünde‘ – oder so ähnlich. Die Menschen müssen begleitet werden, die Wunden geheilt. [ ] Gott begleitet die Menschen durch das Leben und wir müssen sie begleiten und ausgehen von ihrer Situation. Wir müssen sie mit Barmherzigkeit begleiten. Wenn das geschieht, gibt der Heilige Geist dem Priester ein, das Richtige zu sagen.
So verstanden, als Hinweis auf die Rezeption der konservativ-christlichen Positionen mit dem Ansatz, die Ursachen dieser Außenwirkung in unserer eigenen Person und unserer Art der Evangelisierung zu suchen, hat der Beitrag von Andreas Püttmann einen hohen Wert. Ob er ihn so gemeint hat die Frage kann wohl am Ende nur er selbst beantworten.
Marcus der mit dem C
Nun, als treuer Fan amerikanischer Krimis kenne ich zwei Ansätze die Kriminalität zu erklären auf fatale Weise:
Die Behavioristen und die Environmentalisten. Beide behaupten das gleiche, nämlich daß es keine willentliche Straftat gibt, sondern man entweder unentrinnbar durch die Gene vorgeprägt ist oder durch die Umwelt so vorbelastet ist, daß man nicht verantwortlich für die eigenen Taten ist. Beides ist fatal, da generell nur „Gott“ oder „die Gesellschaft“ schuld ist, und niemand sich mit direkten Konsequenzen der eigenen befassen muß.
Leider gibt es diesen Ansatz auch in der Theologie. Natürlich ist nach Jesu Vorbild auch der Barmherzigkeit den ihr zustehenden Platz einzuräumen. Doch am richtigen Platz! Ehedem war es mal so: Sünde, Gericht, Strafe, Reue, Umkehr, Buße/Sühne, Barmherzigkeit. Heute gibt es faktisch keine Sünde mehr, weil von denen deren Aufgabe es ist, vor der Sünde zu warnen, nur noch Töne kommen, daß das Benennen von Sünde diskriminieren für die Sünder sei: „Die Sünde ist abgeschafft, Gott ist barmherzig.“
Wenn die Seelsorger (gefällt mir besser als Pastorale Mitarbeiter, weil die SEELE erwähnt wird) zu diesem ureigenen Thema schweigen und Laien statt dessen die Verkündigung darüber übernehmen müssen, damit dazu nicht geschwiegen wird, kann es natürlich auch zu pharisäischen Auswüchsen kommen. Aber dazu bedenke man, ein modernistischer Priester wird die forma extraordinaria als klerikalistisch bezeichnen, weil es ihm in den Kram paßt, er wird aber explodieren, wenn man ihn klerikalistisch nennt, wenn er seine eingebildete Befugnis das Hochgebet ad hoc umzuformulieren mit seiner überbreiten Überstola begründet: „Ich bin Priester, ich darf das!“
Die Kirche versucht seit dem Konzil viel zu oft als Sozialpädagoge und Psychologe unterwegs zu sein, und den Gläubigen mit dem hier und jetzt zu versöhnen und die leise Stimme des Gewissens zum Schweigen zu bringen, anstatt ihn mit Gott zu versöhnen. Wer den ersten Schritt hin zu Gott macht, egal wie klein, dem kann ich Barmherzigkeit erweisen und die Sühne erleichtern, aber einem verstockten Sünder kann ich nicht attestieren, daß es keine Sünde gibt, die er begangen hat.