Die Kommentarfunktion dieses Blogs ist fast chronisch unterausgelastet, manchmal wünschte ich mir, ich bekäme mehr Nachfragen, ob kritisch oder zustimmend, damit ich auch feststellen könnte, ob ich mit dem, was ich so daher schreibe, eigentlich auf der richtigen Fährte bin, richtig verstanden werde, überhaupt wahrgenommen werde. Mehr Feedback gibt es da schon auf facebook, aber selbst dort werden manche Beiträge ab und zu nicht kommentiert und als Blogger, der natürlich gerne gelesen werden möchte, stellt man sich dann die Frage, ob Schweigen in diesem Sinne Zustimmung, Widerspruch oder am schlimmsten Desinteresse ausdrückt?
Umso erstaunter war ich, als ich vor kurzem morgens um halb sechs eine Mail erhielt, ohne Betreff, mit dem Text: Pilatus hätte auch besser auf seine Frau gehört rufen Sie mal an? Telefon . HG AP Absender: Andreas Püttmann. Offensichtlich bezog sich seine Anfrage auf meine beiden Beiträge zu seiner Kolumne bei Christ & Welt, die ich einmal als Wiedergabe meiner persönlichen Eindrücke geschrieben habe („Die Moralpächter“ – Ein Ausraster) und einmal ergänzt um die, in Teilen meinem ersten Beitrag widersprechenden Ansichten meiner Frau (Meine Frau meint: Andreas Püttmann hat Recht!). Natürlich habe ich erst mal darüber nachgedacht, was ich denn überhaupt geschrieben habe, ob ich beleidigend gewesen sein könnte hatte aber den richtigen Riecher, dass es sich bei der Anrede Pilatus hätte eher um eine augenzwinkernde Kritik gehandelt haben muss.
In dieser Hoffnung habe ich Herrn Püttmann dann direkt (naja, nicht ganz so früh, in etwa gegen sieben) angerufen schließlich: wenn sich ein von mir gescholtener und von meiner Frau verteidigter renommierter Autor nicht nur die Mühe macht, meine Blogbeiträge zu lesen sondern sich auch noch darauf zu melden, dann hat er auch ein Recht auf eine zeitnahe Antwort. Und so haben wir morgens in aller Frühe eine halbe Stunde geplaudert, und sind in gewisser Weise zu zwei Schlüssen gekommen: erstens hat meine Frau mit Ihrer Einschätzung Recht, dass der Artikel von Herrn Püttmann keine Pauschalabrechnung mit den Christlich-Konservativen in Deutschland darstellt sondern provokativ, aber konstruktiv die nicht ganz unberechtigte Außenwahrnehmung dieses Milieus widerspiegeln soll; und zweitens, dass wir in dieser Hinsicht die gleichen Ansichten vertreten.
Es ging Herrn Püttmann, der natürlich nicht nur, wie in meinem Beitrag geschrieben, unverdächtig ist, gegen katholische Positionen zu schreiben, sondern sich immer wieder vehement für Glaube und Kirche in die öffentliche Debatte eingebracht hat, und damit selbst als konservativer Katholik wahrgenommen wird, es ging ihm also nicht darum, Glaubensinhalte in Frage zu stellen. Sein Ziel, da hatte meine Frau den richtigen Eindruck, ist eher die Selbstreflektion, die man als kleines Milieu notwendig hat, um nicht sektiererisch zu werden. Die zum Teil wütenden Reaktionen aus dem konservativ-katholischen Lager bestätigen unbewusst diesen Eindruck: Mit der Wahrnehmung des eigenen Milieus in der Gesellschaft, die doch unseren Markt der Evangelisierung darstellt, will man sich nicht hörend und auch selbst lernend auseinandersetzen; stattdessen spricht man Kritikern lieber gleich das Katholischsein ab und ist mit der Sache fertig.
Besonders problematisch wird das, weil man sich damit so etwas wie eine selbsterfüllende Prophezeiung einhandelt: Man stellt (in vielen Fällen durchaus berechtigt) den Tatbestand einer sündigen Welt fest, der man dann ihre Vergehen wie einen nassen Lappen ins Gesicht klatscht, und wenn die Welt sich wehrt, erklärt man sie für unverbesserlich und sich selbst zu den letzten verblieben Aufrechten im Glauben. Dieses Verdikt kann dann auch einen Papst treffen, wenn er sich entscheidet, auf die Welt zuzugehen, dabei aber nicht die gängigen konservativen Aufregerthemen in den Mittelpunkt stellt sondern die Frage nach den darunter liegenden Wunden. Nicht wenige setzen den Papst daraufhin dem Verdacht aus, es mit der Morallehre der Kirche nicht so genau zu nehmen weil er sie nicht ständig in den Vordergrund stellt. Dass man bei dieser formal korrekten Haltung (man stellt ja nichts anderes vor als Inhalte des Katechismus), diejenigen verliert, die man vorgeblich erreichen möchte, wird offenbar in Kauf genommen. Die Buchstaben des Gesetzes vor der Heilung seelisch verwundeter Menschen Rigorismus nennen das sowohl der Papst als auch Püttmann.
Herr Püttmann berichtete mir, dass sein Beitrag entgegen meiner Darstellung kein Ausraster, nicht das Ergebnis eines Wutausbruches darstellt, sondern das langsam gereifte Ergebnis jahrelanger Beobachtungen im konservativ-katholischen Milieu war. Diese sowie die von ihm zitierten Artikel und Beiträge aus dem konservativen christlichen Lager, fügen sich zum Gesamtbild eines Teilmilieus der Kirche (unabhängig davon ob katholisch oder evangelisch/evangelikal), das sich selbst als unfehlbar betrachtet oder eben zumindest diesen Eindruck hinterlässt. Dem kann man in der Tat nur zustimmen. Ich selbst bleibe dabei, dass es dem Beitrag an Differenzierung fehlt und man sich als konservativer Katholik nur ungern mit den Betonkatholiken in einen Topf werfen lässt. Das kann aber durchaus dem Medium geschuldet sein ich kann nachvollziehen, dass man in einem überschaubaren Artikel nicht so detailliert argumentieren kann, wie man es in einer wissenschaftlichen Arbeit tun würde. Daher ist es durchaus legitim, sich als konservativ-christlich zu betrachten, und sich trotzdem nicht von Püttmann angesprochen zu fühlen. Aber auch da gilt: Vorsicht! Ein bisschen mehr Reflektion auf die eigene Außenwirkung tut sicher immer gut, vor allem dann, wenn man gehört bzw. gelesen und ernst genommen werden möchte, und noch mal mehr, wenn man eine Botschaft hat, bei der es um das ewige Seelenheil geht.
Der Disput, den sein Beitrag in Christ & Welt vor dem Hintergrund seiner im Wesentlichen konservativ-katholischen Position, sicher auslöst, wurde von Herrn Püttmann mit seinem Anruf für mich auf eine persönliche Ebene gehoben. Persönlich ist deshalb wichtig (und daher auch der Begriff gehoben), weil das bloß rationale Diskutieren von persönlichen Außenwirkungen das Eigentliche kaum erfassen kann. Man kann rational über den Spritverbrauch seines neuen Autos sprechen, aber ob man sich in dem Auto wohlfühlt, das ist ein sehr persönliches Thema. Genau so kann man über die biblische und theologische Begründung von Glaubensinhalten diskutieren, die Akzeptanz dieser Inhalte hat aber viel mit persönlichen Befindlichkeiten und mit der Art der Vermittlung zu tun. Man kann darüber sprechen, ob ein Lebensstil der Bibel nach gottgemäß ist, ob die die Art, wie man diese Botschaft an den Mann oder die Frau bringt, richtig und ebenfalls gottgemäß ist, ist aber sowohl von der persönlichen Disposition des Empfängers wie des Senders abhängig. Beides gilt es für die konservativen Christen, die eben keine ganz homogene Gruppe sind, zu berücksichtigen, wenn man es mit der Evangelisierung und der Rettung der Seelen (soweit menschlich möglich) ernst meint. Nur Recht haben (was in Glaubensfragen sowieso von Nichtglaubenden oder Fernstehenden, die den Katechismus nicht als Referenz betrachten, kritisch gesehen wird), reicht nicht!
Jeder darf sich also selbst fragen: Bin ich für Kritik an meiner Art der Verkündigung noch empfänglich? Kann ich auf die Menschen in meinem Umfeld, die meinen Glauben nicht teilen, eingehen, bin ich in der Lage, die Welt und die Botschaft Christi mit ihren Augen zu sehen? Kann ich ihre Verwundungen, die wir letztlich alle mit uns herumtragen, erstens erkennen und zweitens auch in Betracht ziehen? Oder sehe ich die Welt nur aus dem Schema des Katechismus und teile Menschen in katholisch und verloren ein (und rechne mich selbst großzügig zur ersten Gruppe)? Oder viel operationaler gefragt: Bin ich mit der Art meiner Verkündigung in der Lage, Menschen Christus näherzubringen, Interesse am Glauben in ihnen zu wecken und einen Blick auf das Geschenk des Glaubens freizugeben? Oder wenden sich Menschen in meiner Umgebung mit Schrecken vom Glauben ab? Gehen Sie durch mich erst Recht verloren?
Mich treiben solche Fragen immer wieder mal um, und vielleicht war meine erste Reaktion auf den Beitrag von Herrn Püttmann auch unterbewusst eine des Erwischtfühlens? Andererseits freue ich mich, diese Fragen gestellt zu bekommen, sie annehmen zu dürfen, und sortiere mich so (vielleicht zu großzügig?) aus den Betonkatholiken aus. Andreas Püttmann hat einem Teil der katholischen Szene den Spiegel vorgehalten. Damit gewinnt man nie einen Beliebtheitspreis, aber wir sollten dankbar sein, dass er das trotzdem tut und dazu seine journalistischen Möglichkeiten nutzt; auch und besonders, wenn der Gegenwind aus dem eigenen Lager absehbar ist.
Wer Püttmanns Artikel und das Interview des Papstes mit den Jesuitenzeitschriften parallel liest, der wird nicht nur ein paar Wortähnlichkeiten feststellen (wobei Püttmann seinen Beitrag zeitlich weit vor der Veröffentlichung des Interviews verfasst hat) sondern auch einen ähnlichen, den oben beschriebenen, Denkansatz. Wenn der eine oder andere dann meint, nicht nur Andreas Püttmann, sondern auch dem Papst das rechte Katholischsein absprechen zu können Dessen Empörung über Papst wie Püttmann ist nachvollziehbar: Denn er ist gemeint!
Eugenie Roth
Lieber Papsttreuer, Sie hätten gerne mehr Kommentare und wüssten, was Ihre Leser denken.
Ich denke abends nicht viel, überfliege wegen Müdigkeit ihre Artikel mehr als ich lesen und finde sie gut – und zu lang. Aber das mag der späten Stunde geschuldet sein.
+ u!!!
Benjamin K
Ein bisschen zu lang ist es in der Tat geraten. Aber Denken braucht nunmal auch Raum, und man kann Ihnen förmlich dabei zusehen in diesem Blog. Das ist sehr anregend, und damit beweisen Sie, dass Sie sich zu Recht aus den Betonkatholiken aussortiert haben ;)
Ich würde mir wünschen, dass ihr Beispiel Schule macht.
Heiner S
Ich möchte mich beiden Vorrednern anschließen, auch wenn das widersprüchlich scheint. :)
Interessant wäre es nun noch zu erfahren, wen genau Herr Püttmann für Betonkatholiken hält und ob er über „Betonprogressisten“ auch mal was zu schreiben sich traut!