Ab und zu muss man auch mal in den sauren Apfel beißen und zugeben, falsch gelegen zu haben. Natürlich ist mein letzter Beitrag zur Causa Wulff schon über zwei Jahre alt, ich habe ihn aber nicht vergessen und auch nicht, dass ich zu der Zeit tatsächlich Bedenken hatte, ob unser damaliger Bundespräsident nicht tatsächlich korrupt sein könnte.
Nun stellt sich heraus, dass die Warnung Papst Franziskus vor dem Geschwätz in diesem Fall ein schönes Anwendungsbeispiel darstellt. Nachdem es am Anfang so aussah, als habe sich Christian Wulff großräumig in seiner Zeit als Ministerpräsident bestechen lassen, fielen über die Zeit immer mehr der Vorwürfe in sich zusammen. Zuletzt waren es ein paar Hundert Euro Hotelrechnung, bei der wohl niemand mehr ernsthaft darüber nachgedacht hat, ob ein deutscher Bundespräsident Wulff für diesen Preis käuflich gewesen sein könnte. Und selbst dieser Vorwurf ist mit dem heutigen Freispruch inklusive Anspruch auf Entschädigung für erlittene Durchsuchungen“ vom Tisch.
Man könnte jetzt sagen, dass die Justiz ihren Dienst versehen hat, aber in einem solchen prominenten Fall wird stellvertretend für andere Fälle deutlich, dass eine solche Geschichte nicht einfach vom Tisch zu wischen ist. Ein deutsches Staatsoberhaupt, dessen Einfluss sich vor allem durch seine Repräsentation äußert, wurde abgesägt, vielleicht durch eine Intrige, ziemlich sicher aber durch eine übereifrige Staatsanwaltschaft, die sich wohl gegen Ende nicht mehr eingestehen konnte, sich verrannt zu haben. Das hat nicht nur der Person Wulff selbst geschadet, es schadete auch dem Amt an sich und damit der Außenwirkung der Bundesrepublik, die zeitweise wie eine Bananenrepublik dastand, deren Präsident sich von den Schönen und Reichen des Landes aushalten lässt.
Medien haben durch ein Trommelfeuer von unbewiesenen Behauptungen den Ruf eines unbescholtenen Politikers nachhaltig ruiniert und ich muss zugeben, auf eine Weise, dass auch ich zu der Überzeugung gekommen war, Wulff habe Dreck am Stecken. Über die ganze Affäre ist die Ehe des Bundespräsidenten zerbrochen vielleicht nur als Auslöser, aber wer wollte behaupten, dass diese Vorgänge nicht eine erhebliche, und in diesem Fall unnötige, Belastungsprobe für eine Beziehung darstellen?
Der heutige Freispruch könnte und sollte daher eine kleine Zäsur darstellen, bei der sich Politik, Institutionen, Medien und auch wir als Bundesbürger, eine kleine Auszeit nehmen sollten, um das Geschehen Revue passieren zu lassen. Ab welchem Zeitpunkt ist da eigentlich was schief gelaufen, und warum? Möglicherweise ist mein alter Beitrag über den Teufel als Eichhörnchen, abgesehen von der Grundannahme der Schuld des Präsidenten, im Nachhinein gar nicht mal so schlecht. Denn was nach den ersten Vorwürfen passiert ist, muss den Teufel ganz kolossal erfreut haben: Verdächtigungen, Verleumdungen, Annahmen, Vorverurteilungen hier noch mal ein Auszug meines Beitrags:
[ ] Auftritt der Medien: man hat ein Opfer ausgemacht, und da man ihn nicht juristisch packen kann, versucht man, den Bundespräsidenten über die Moral dranzukriegen. Da wird auch schon mal mit Halbwahrheiten und Unwahrheiten gepunktet. 5:0 für den Teufel!
Zwischen Medien und Bundespräsidenten entsteht ein Zwist, der zu persönlichen Verunglimpfungen führt und die charakterliche Eignung des jeweils anderen in Frage stellt. Dass hier alles ans Tageslicht gezerrt wird, was auch nur ansatzweise von Interesse, wenn auch ohne Belang, sein könnte, macht die Geschichte von Tag zu Tag „schmutziger“: 6:0 für den Teufel!
Und wir, Wähler, Medienkonsumenten? Bilden uns unsere Meinung, verurteilen die eine oder andere Seite, geraten vielleicht sogar untereinander in Streit darüber, wie das Thema zu bewerten ist, ob der Bundespräsident zurücktreten muss, ob der Chefredakteur der größten deutschen Boulevardzeitung ein Charakterschwein oder moralisches Vorbild ist? Wie viel zu Null für den Teufel?
Ausgangspunkt war eine kleine Unlauterkeit, juristisch vermutlich ohne Belang, moralisch ein wenig fragwürdig der (aktuelle) Endpunkt ist der Zwist zwischen Medien und Menschen, Streit um (vermeintliche?) Nichtigkeiten! [ ]
Es hilft nichts: um aus dem Teufelskreis auszubrechen, taugt nur die Wahrheit vielleicht ergänzt um Wahrhaftigkeit! Die Orientierung an Machterhalt oder -ausbau, an Auflagenzahlen und gutem Standing in der Welt, die Orientierung an weltlichen Gütern verstrickt uns mehr und mehr in die Sünde, wenn wir dem Teufel erstmal die Tür einen Spalt geöffnet haben. Aber eine der großartigen Charakterzüge Gottes ist sein Erbarmen: egal, wie weit wir uns verstrickt haben, er vergibt uns immer wieder (wie auch wir vergeben unseren Schuldigern?) und so muss uns die Wahrheit auch nicht ängstigen, selbst wenn sie uns in der Welt schlecht dastehen lässt.
Das ist nicht einfach und für jeden von uns ein hehrer Anspruch, aber wer wüsste nicht Geschichten über sich selbst zu berichten, die nicht so in der Öffentlichkeit stehen wie der Fall unseres Bundespräsidenten, und trotzdem erheblichen Schaden in unserem und im Leben unserer Familie und Freunde angerichtet haben?
Was bleibt also? Das wird hoffentlich die Frage sein, die in den kommenden Tagen und auch darüber hinaus, Politik, Medien und auch uns beschäftigen wird. Da überlasse ich das Wort sicherheitshalber lieber unserem Papst:
Wollen wir heilig werden? Ja oder nein? [Rufe vom Platz Ja.] Wollen wir es uns zur Gewohnheit machen, über andere zu schwätzen? [Rufe vom Platz Nein.] Dann sind wir uns also einig: kein Geschwätz über andere!
Wie wärs damit als Fastenvorsatz für die kommenden Wochen (und darüber hinaus)? Ergänzt vielleicht um den Vorsatz, bei denjenigen um Entschuldigung zu bitten, die schuldig oder unschuldig Opfer unseres Geschwätze geworden sind?
Ottaviani
Großer Respekt vor diesem selbstkritischen Eingeständnis! Finde ich sehr beeindruckend.
Abgesehen davon kam mir beim Lesen noch ein anderer Gedanke. Wie wäre es, neben aller (sachlich ja berechtigten und notwendigen) Medienschelte in der Causa Wulff auch mal mit etwas selbstkritischer Nachdenklichkeit, wie wir konservativen Katholiken über diesen Menschen und Bundespräsidenten gedacht und geredet haben?! Auch da war vieles nicht in Ordnung. Was in etlichen katholischen Blogs im Zusammenhang mit dem Papstbesuch 2011 und Wulffs Begrüßungsworten über den Bundespräsidenten, v.a. aber den Menschen Christian Wulff und dessen persönliche Lebenssituation gesagt bzw. geschimpft worden ist, war teilweise unterste Schublade. Das liess nicht nur jeden Respekt vor seinem Amt vermissen, sondern ging die Person, den Menschen frontal und elementar an. Insofern noch viel gravierender als alle kleinen Korruptiönchen, welche „Bild“ und andere Presseerzeugnisse aufgedeckt haben wollten. Ich habe mich seinerzeit fast geschämt, katholisch zu sein.
Ist jetzt alles Vergangenheit und nicht mehr zu ändern. Kam mir aber beimm Lesen dieses bemerkenswerten Blogs in den Sinn.
Papsttreuer
Lieber Ottaviani,
bedenkenswerter Kommentar, danke dafür!
Gottes Segen für Sie
Der Papsttreue
IMST
Athen. 405 v. Chr.
Ganz aufgeregt kommt einer zum weisen Sokrates gelaufen.
Höre, Sokrates, das muss ich dir erzählen: Stell dir vor, dein Freund
Halt ein!, unterbricht ihn der Weise. Hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?
Drei Siebe?, fragt der andere voll Verwunderung. Welche drei Siebe?
Ja, drei Siebe. Das erste Sieb ist das Sieb der Wahrheit. Hast du das, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?
Nein, aber ich denke mir Ich hörte es auf dem Markt und…
So, so. Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft; das ist die Güte. Ist das, was du mir erzählen willst wenn schon nicht wahr, ist’s so doch wenigstens gut für mich? Werde ich mich daran erfreuen?
Nein, das nicht, eher im Gegenteil…
Der Weise schaut ihn an: Lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden, die Notwendigkeit. Ist es notwendig, dass ich das, was dich so erregt, weiß? Brauche ich es um mein Leben sinnvoll zu gestalten?
Notwendig nun gerade nicht…
Also, sagt Sokrates, wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut noch notwendig ist, warum willst du es mir dann erzählen? Lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit.“