In vielen Diskussionen höre ich zur Zeit vom Argument der Selbstbestimmung; zuletzt in verschiedenen Diskussionsbeiträgen zu meiner letzten Sendung der Stunde des Herrn, in der es unter anderem um das Thema Abtreibung ging.
Nun ist Selbstbestimmung ein Schlagwort, dass man für alles mögliche verwenden kann. Positiv klingt es für mich dann, wenn ich nicht in Abhängigkeit zu einem anderen Menschen stehe, soweit ich diese nicht selbst gewählt habe. Alles andere ist Macht- und Gewaltanwendung, und als freier Mensch fühlt man sich direkt unwohl mit einer solchen Art von Fremdbestimmung.
Etwas ganz anderes ist es, wenn ich mich beispielsweise dafür entscheide, mich von jemand anderem abhängig zu machen. Das kann sehr profan als Mitarbeiter in einem Unternehmen sein. Meine Anstellung bedeutet dann nichts anderes, als dass ich eben nicht mehr die freie Entscheidung habe, wann ich morgens aufstehe, wann ich zum Mittagessen gehe etc. Ich bin in Teilen fremdbestimmt, was ich aber selbst gewählt habe, und aus dieser Art der Selbstbestimmung kann ich mich auch jederzeit lösen.
Intensiver ist die Bindung an einen Partner, besonders dann, wenn sie sakramental geschlossen wurde ich spreche von der Ehe. Mit Eingang der Ehe bin ich nicht mehr alleine, Frau und Mann werden ein Fleisch, und ich bin mitverantwortlich für meine Frau, meine Frau für mich. Alles, was ich tue hat Auswirkungen auf sie und umgekehrt und zu trennen ist eine solche Verbindung auch nicht mehr: Ich kann nicht einfach kündigen!
Dann gibt es aber noch eine Art von Fremdbestimmung, die vielen vielleicht auch unheimlich ist, weil sie denjenigen, von dem sie abhängig sind, nicht zu erkennen vermögen. Es geht um unser Verhältnis zu Gott der hat uns in Freiheit erschaffen, und so sind wir frei, ihm zu folgen oder es zu lassen, ihn zu lieben oder ihn abzulehnen. Gott nimmt uns also nicht unser Recht auf Selbstbestimmung und trotzdem wird jedem Christen bei der Forderung nach absoluter Selbstbestimmung ein ungutes Gefühl beschleichen, eben weil diese Forderung in aller Regel Gott außen vor lässt.
Ich begebe mich als Gläubiger in eine Art von Fremdbestimmung. Ich erkenne an, dass Gott es gut mit mir meint, mich liebt, alles aus Liebe tut und sein Plan für mich immer besser ist als ein eigener, der davon abweicht. Freiwillig folge ich ihm oder versuche es zumindest und gebe dabei, im Einvernehmen zwischen Ihm und mir, mein Selbstbestimmungsrecht auf.
Und es gibt gerade in diesen Tagen ein prägnantes Beispiel für einen Menschen, der das nicht getan hat, nicht tun wollte, der seinen eigenen Plan verfolgt hat, der geglaubt hat, es sei besser für ihn, einen anderen Weg einzuschlagen als Jesus (Matthäus 26, 14ff.):
In jener Zeit ging einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohenpriestern und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere? Und sie zahlten ihm dreißig Silberstücke. Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, ihn auszuliefern.
Und während sie aßen, sprach er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten und ausliefern. Da waren sie sehr betroffen, und einer nach dem andern fragte ihn: Bin ich es etwa, Herr? Er antwortete: Der, der die Hand mit mir in die Schüssel getaucht hat, wird mich verraten.
Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.
Da fragte Judas, der ihn verriet: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus sagte zu ihm: Du sagst es.
Judas hat, bewusst und in Kenntnis der Konsequenzen, seinen Kopf durchgesetzt. Gott selbst hat aus diesem Verrat und dem Tod Jesu etwas gutes machen können, die Erlösung der Menschen von Judas berichtet die Überlieferung, er habe sich umgebracht, sein letztes Nein Gott entgegengeschleudert.
Auf welcher Seite möchte ich stehen: Auf der von Jesus oder der von Judas? Gottes Plan für mein Leben folgen oder mein Selbstbestimmungsrecht ausüben? Vor Gott verblassen die Forderungen nach Selbstbestimmung aber es ist ein lohnender Weg, sich bewusst in seine Abhängigkeit zu begeben.
Gasser
Danke für Ihre Aussage.
In diesen Tagen stellt sich mir als gläubiger Christ folgende Frage die ich anhand der folgenden Textpassagen schildern möchte:
„Matthaeus 26
Er antwortete und sprach: Der mit der Hand mit mir in die Schüssel tauchte, der wird mich verraten. Des Menschen Sohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird! ES WÄRE IHM BESSER, DASS ER NIE GEBOREN WÄRE. Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich’s Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es.“
„Matthaeus 26:54
Wie würde aber die Schrift erfüllet? Es muß also gehen.“
Jesus wurde im Laufe seines Lebens häufiger von einem bösen Geist angenähert der Ihn verlockte den Plan Gottes nicht zu befolgen. Jesus Christus hat aber für die Erlösung von uns allen, Gottes Plan zu seinem persönlichen weltlichen Nachteil erfüllt. Er selbst, Gottes Sohn, hatte eine wahre Selbstbestimmung. Jesus lies es deshalb auch zu, dass Judas zusammen mit den anderen Jüngern ihn folgen durfte, wissend dass er eine wichtige Rolle im Plan Gottes hat um diesen zu erfüllen. Was aber Judas anbelangt, stellt sich für mich die Frage, hatte er wirklich eine Wahl? Was ist wenn Judas sich für den Weg Gottes entschieden hätte, also Jesus nicht verraten hätte? In diesem Fall wäre der Erlösungsplan nicht aufgegangen. Jemand musste also, ohne Selbstbestimmungsrecht den verrat umsetzen um die Schriften zu erfüllen.
Wieso sagt Jesus an der Stelle am letzten Abendmahl: „Es wäre ihm besser, daß er nie geboren wäre“. Er musste die Schrift wie gesagt erfüllen..
Hier stellt sich die Frage über Selbstbestimmung, haben wir wirklich eine, oder ist es vorherbestimmt wie wir handeln? Haben wir in letzterem Fall eine Verantwortung dafür zu tragen und somit nach unserem Ableben mit den in unserem Glauben implizierten Folgen zu rechnen?
Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüssen,
Th. Gasser
Papsttreuer
Sehr geehrter Herr Gasser,
vielen Dank für Ihren Kommentar und ihre Frage, und natürlich vor allem zunächst ein frohes und gesegnetes Osterfest.
Meiner Antwort muss ich vorausschicken, dass ich weder Theologe noch Philosoph sondern lediglich interessierter Laie bin. Trotzdem ist die Frage natürlich berechtigt. Wenn ich darf, würde ich sie gerne um einen Aspekt erweitern, den ich mit einer Szene aus dem Film Matrix einführen möchte. Darin besucht der Held Neo von dem manche mutmaßen, er sei der „Auserwählte“, der die Menschheit aus der Macht der Maschinen befreien wird, auf das sogenannte Orakel trifft, eine Frau, die prüfen soll, ob er wirklich der Auserwählte ist. Dann entspinnt sich folgender Dialog:
Orakel: „Ich würde dir gern einen Stuhl anbieten, aber du möchtest dich ja sowieso nicht setzen. Und wegen der Vase mach dir keine Sorgen.“
Neo: „Welche Vase?“ [dreht sich um und kippt dabei eine Vase um]
Orakel: „Diese Vase!“
Neo: „Tut mir leid…“
Orakel: „Ich sag doch, mach dir deswegen keine Sorgen! Eins meiner Kinder macht sie schon wieder ganz.“
Neo: „Woher wussten Sie das?“
Orakel: „Och, viel quälender wird für dich später die Frage sein, hättest du sie auch zerbrochen, wenn ich nichts gesagt hätte?“
Worauf ich damit hinaus will: Wie wäre Judas Leben verlaufen, wenn er Jesus nie getroffen hätte? Wäre er ein Gerechter gewesen, der niemanden etwas zu Leide getan hätte, und wäre sein Schicksal durch Gott verschlechtert worden, weil er ihn zum Teil seines Erlösungplanes gemacht hat, von dem der arme Judas aber vermutlich nichts haben wird?
Diese Frage erscheint mir noch wesentlich komplexer, denn ich bin in der Tat der Überzeugung, dass wir einen freien Willen haben, und keine unserer Handlungen vorherbestimmt sind im Sinne einer Steuerung durch Gott. Gott hat allerdings, da er Gott ist, einen Blick auf die gesamte Zeit. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass wir als Menschen, die Zeit als lineare Größe immer vor uns haben und nicht wissen, was als nächstes passieren wird. Gott dagegen hat die gesamte Zeit im Blick, weiß was wir tun werden – und fällt uns aber im Normalfall nicht in den Arm. Gott weiß also, was ich in zehn Minuten, in einem Jahr, in zehn Jahren, in wie viel Zeitabstand auch immer, tun werde, und warum ich tue, was ich tue.
Macht mich das aber unfrei? Nein, es bleibt meine eigene Entscheidung, ob ich gleich eine Tasse Tee trinke oder einen Kaffee, ob ich morgen meine Frau hintergehe oder ihr einen Blumenstrauß mitbringe, ob ich mein Leben gut oder weniger gut verbringe. Es ist meine Entscheidung, auch wenn Gott sie schon kennt.
Alles was er tun könnte, wäre mich vor Versuchungen, die mich von ihm wegführen, zu bewahren. Dann allerdings wäre ich nicht mehr frei, mir blieben Optionen verborgen, die ich heute sehen kann und mich – frei – für oder gegen sie entscheide.
Und so hat auch Gott gewusst (ob Jesus als Mensch das ebenfalls die ganze Zeit gewusst hat, wird ein Geheimnis bleiben), wie Judas zu der Zeit reagieren würde. Judas hätte anders reagieren können, aber Gott wusste, dass er das nicht tun würde – nicht, weil er nicht die Freiheit gehabt hätte, sondern weil sein Handeln eine Folge seiner eigenen Gedanken und Entscheidungen gewesen ist.
Und damit bin ich bei meiner Erweiterung ihrer Frage: hätte Gott Judas davor bewahren können, Jesus kennenzulernen, ihn zu verraten, sodass es besser für ihn gewesen wäre, er wäre nie geboren worden? Hat Gott also Judas hinters Licht geführt, in eine Falle tappen lassen? Nun, dann wäre es jemand anders gewesen, der Jesus verraten hätte, vielleicht anders, vielleicht zu einer anderen Zeit – unsere menschliche Natur, so sehr sie sich nach Gott sehnt, zweifelt doch auch an Gottes Wohlwollen uns gegenüber – davon berichtet schon die Geschichte vom Sündenfall.
Das Verhältnis zwischen Gott und Judas ist – davon dürfen wir als Christen überzeugt sein – von Gottes Seite aus durch Liebe geprägt, und zumindest zum Zeitpunkt des Verrats wurde diese Liebe von Judas nicht mit Liebe beantwortet. Bleibt also für uns die spannende Frage: Was wäre, wenn ich an Judas Stelle gestanden hätte? Hätte ich besser reagiert?
Lieber Herr Gasser, ich hoffe, meine Erläuterungen helfen ein bisschen weiter – und ich würde mich freuen, von Ihnen zu lesen, wenn Sie selbst weitere Antworten finden. Ihnen weiter Gottes Segen und noch eine gesegnete Osterzeit!
Der Papsttreue