Ich gebe zu, die Frage im Titel, ob Pazifisten potenzielle Mörder seien, ist provokant gestellt und ich habe sie bewusst als Frage formuliert und nicht in einem Brustton der Überzeugung, wie der eine oder andere Pazifist Soldaten als potenzielle Mörder bezeichnet, und das gerichtsbestätigt auch tun darf. Aber die Fragestellung kann einen schon umtreiben, wenn es heute noch immer Menschen gibt, die angesichts der Lage religiöser Minderheiten wie Christen, Jesiden oder auch islamische Glaubensrichtungen im Irak und in Syrien, auf friedliche Lösungen pochen.
Gideon Böss hat auf seinem feinen Welt-Blog schon mal festgestellt, wie Pazifismus in der aktuellen Situation zu werten ist:
Und genau das ist das Problem mit Pazifismus. Er ist eine feige Ideologie, die keine Verantwortung übernimmt, die Schwachen und Verfolgten dieser Welt im Stich lässt und sich dabei trotzdem als moralisch überlegen begreift. Den Preis für das porentief reine Gewisse der Pazifisten zahlen jene Menschen, die wehrlos einem Mob bewaffneter Psychopathen gegenüberstehen. So wie die Opfer von ISIS, die von den Käßmanns dieser Welt keine Hilfe erwarten können, denn Krieg kann nie und Dialog muss immer die Lösung sein. Auch dann, wenn der Dialogpartner keine Lust auf Dialog hat, weil er viel lieber seinem Gott ein weiteres Menschenopfer darbringen will. Und noch eines und noch eines, weil ihm das gefällt und ihn niemand aufhält, weswegen er auch nicht damit aufhören wird, bis ihn jemand aufhält. Und dieser Jemand wird mit Sicherheit kein Pazifist sein.
Böss bezieht sich hier explizit und exemplarisch auf Margot Käßmann, frühere EKD-Ratsvorsitzende und jetzige Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, die sich immer wieder mit Kritik an Militäreinsätzen hervorgetan hat, für das Gebet mit den Terroristen von Al Qaida plädiert und gerade eben die Abschaffung der Bundeswehr gefordert hat als Utopie zwar, aber doch begründet mit der deutschen Geschichte und in Distanzierung zum deutschen Bundespräsidenten, der in einem seiner wenigen hellen Momente im Amt den Krieg als letztes Mittel sieht (was ihn in den Augen seiner Kritiker schon wieder zum Kriegshetzer macht), also mit recht konkreten Vorstellungen.
Nun kann kein Christ mit dem Zustand des Krieges, der Gewalt oder auch nur der Zwietracht zufrieden sein, kein Christ sollte Gewalt als Mittel der Durchsetzung eigener wirtschaftlicher oder politischer Interessen propagieren. Der Journalist Klaus Kelle stellt aber in seiner wöchentlichen Kolumne in der Rheinischen Post Politisch Inkorrekt die richtige Frage:
Aber meine ganz konkrete und ernst gemeinte Frage an die Pazifisten: Wie stoppt man das Morden der Isis ohne Einsatz massiver militärischer Gewalt? Oder was ist die Alternative? Wegschauen? Überlassen wir die nach UN-Angaben derzeit 200 000 Menschen, die auf der Flucht sind, ihrem Schicksal? [ ]
Aber von den aus ehrlicher Überzeugung geleiteten Pazifisten würde ich gern erfahren, wo beim Isis-Vormarsch die friedliche Lösung ist, die ich nicht zu erkennen vermag.
Ich bin versucht, die Frage als rhetorische aufzufassen. Denn wie Kelle in der Kolumne ebenfalls richtig feststellt, geht es den Terroristen der IS ja nicht um Verhandlungen, es geht nicht um nachvollziehbare Forderungen, denen man sich zumindest auf dem Wege des Kompromisses annähern könnte. Damit aber wird der Völkermord, der sich dort vollzieht zu einem Lackmustest der westlichen Gesellschaft Wie reagieren wir auf die Vorgänge, nehmen wir sie ernst, berührt uns das Leid der betroffenen Menschen und mündet das in Aktionen? aber auch des Pazifismus!
Denn die Frage, die sich beim Pazifismus (verstanden als Ideologie der absoluten Gewaltlosigkeit, nicht des Wunsches und Strebens nach Frieden) stellt, die jeder Pazifist beantworten muss, und die derjenigen aus dem obigen Beitrag ähnelt, lautet: Wie gehe ich mit Gewalt gegen andere Menschen, seien es die eigene Familie oder völlig unbekannte fremde Völker um, wie schütze ich andere vor Gewaltanwendung durch Aggressoren, wenn ich die Waffe in der Hand (mit dem Willen sie auch einzusetzen) ablehne? Und und damit komme ich zur Ausgangsfrage welche zumindest moralische Verantwortung übernehme ich damit?
Der Pazifist nimmt selbst keine Waffe in die Hand, bezeichnet diejenigen als potenzielle Mörder, die es tun und gibt keine Antwort auf die aufgeworfenen Fragen, sondern überlässt andere Menschen in Erfüllung seiner Weltsicht ihrem grausamen Schicksal. Auch biblische Argumente eignen sich nicht zur Argumentation. Das immer wieder gern angeführte wenn Dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin (Matthäus 5,39) verfängt für einen persönlich, nicht aber für andere. Wenn ich wegen meines Glaubens angegriffen werde, dann kann ich die freie Entscheidung aus diesem Glauben treffen, mich nicht zu verteidigen und für den Angreifer betend den Tod erleiden. Ein solches Martyrium aber von anderen zu fordern, sie in ein Martyrium zu treiben, dazu fehlt jede biblische Grundlage.
Moralisch betrachtet überantwortet also der Pazifist aus seiner eigenen ideologischen Sicht und sehenden Auges andere Menschen einem mörderischen Mob, nimmt deren Tod billigend in Kauf. Möglicherweise nicht juristisch, aber moralisch ist das nicht besser, als selbst zu töten. Insofern finde ich die Frage berechtigt, ob die ideologischen Pazifisten, die jede Anwendung von Gewalt kategorisch ausschließen, nicht tatsächlich Mittäter sind bei dem tausendfachen Mord, der sich in aller Welt gegen Minderheiten vollzieht.
Das heißt übrigens nicht solche schwarz/weiß-Malereien werden bei ideologischen Diskussionen gerne angeführt, deswegen weise ich noch mal darauf hin dass jede Art von Gewalt gegen Gewalttäter gerechtfertigt wäre. Das stellt auch nicht in Abrede, dass es in den beschriebenen wie in den meisten Fällen militärischer Konflikte keine reine Monokausalität gibt, die andere Verantwortliche außen vor ließe. Es heißt ganz sicher nicht, dass wir Christen es unterlassen sollten für den Frieden, für die Opfer von Krieg und Gewalt und so es uns denn hoffentlich gelingt für die Täter zu beten. Aber die Hände zu falten und das Weltgeschehen alleine Gott und die Menschen sich selbst und ihren Peinigern zu überlassen, dazu davon bin ich überzeugt hat uns Gott nicht als Menschen mit eigenem Willen und freier Entscheidung erschaffen!