Als Konservativer und als Christ, auch als Libertärer (wie immer man diesen Spagat hinbekommt) ist man es durchaus gewohnt auf der Seite derjenigen zu stehen, die die Mehrheit, insbesondere die mediale Mehrheit als Feind auserkoren hat. Als solcher verteidigt man die Marktwirtschaft, ist nicht erst seit Franziskus Papstfan und hält ein Familienmodell aus Vater-Mutter-Kinder (alles aus einer Ehe und kirchlich verheiratet) für das Non-plus-ultra. Damit gewinnt man erstens in öffentlich-rechtlichen Medien keinen Blumentopf und wird sich aber zweitens darüber klar, dass wenn sich alle auf einen eingeschossen haben Vorsicht angesagt ist. Was hätte ich für Erkenntnisse verpasst, wenn ich der Meute in Fragen der Kirche, der Marktwirtschaft oder der Familie gefolgt wäre, wenn ich ungebremst die Pressemeinung über Papst Benedikt, Hans-Olaf Henkel und Birgit Kelle übernommen hätte?
Umso schwerer wiegt es, wenn man plötzlich Teil dieser Meute ist, die ein neues Feindbild hat, einen Mann der laut Focus zum meistgehassten Deutschen geworden ist. Die Rede ist von Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GDL, der das Land bereits mehrfach lahmgelegt hat und sich anschickt, in den kommenden Tagen Reisende und Industrie für seine machtpolitischen Gewerkschaftsinteressen in Geiselhaft zu nehmen? Und meine Wortwahl verrät es: Im Wirtschaftsleben kann ich mir im Moment in der Tat keinen Schlimmeren vorstellen als Herrn Weselsky selbst die SPD, sonst kein besonderer Hort der Marktwirtschaft, distanziert sich genau so von ihm wie andere Gewerkschaften, teilweise sogar seine eigenen Gewerkschaftsmitglieder.
Da kommt man ins Grübeln und fragt sich oder lässt sich von seiner Frau fragen ob es denn sein kann, dass sich alle so einig sind, ob man dabei nicht möglicherweise etwas übersieht?
Und wenn ich dann die Pressemeldungen lese, komme ich in der Tat zu einem etwas anderen Schluss und vor allem zu einem wesentlich milderen Urteil über Weselsky. Er vertritt nämlich die Interessen seiner Gewerkschaft. Ob er das geschickt tut oder sich und den von ihm vertretenen Arbeitnehmern mit den Aktionen ins eigene Fleisch schneidet, tut dabei gar nichts zur Sache. Er sieht als Chef einer Kleingewerkschaft seinen Einflussbereich absterben, wehrt sich dagegen und nutzt die Mittel, die ihm der Rechtsstaat dazu zur Verfügung stellt. Das hat Kollateralschäden zur Folge, wie eben Millionen Pendler, die in den kommenden Tagen vergeblich auf den Zug warten oder auf andere Verkehrsmittel umsteigen müssen, wie die Industrie, die bereits um Zulieferungen bangen muss, die zu einem großen Teil über die Schienen transportiert werden. Das alles ist nicht schön, aber auch nicht erste Verantwortung des Gewerkschafters. In Verhandlungen auf den Tisch zu hauen wird ihn nicht weiter bringen, also nutzt er die Druckmittel die er hat, auch wenn sie unpopulär sind.
Ist der Papsttreue jetzt zum Gewerkschafter oder gar zum Sozialisten mutiert? Meint er tatsächlich, dass das, was da passiert, so in Ordnung ist? Nein, das meine ich natürlich nicht, aber an der Stelle sehe ich die notwendigen Konsequenzen ganz woanders als der Mainstream. Der geht nämlich davon aus, dass Streiks zu gerechtfertigten Forderungen durchaus legitim seien, nur in diesem Fall sei das eben nicht gegeben. Was aber ist eine legitime Forderung? Welche Forderung der Mitarbeiter eines Unternehmens ist so legitim, dass ich als Kunde dieses Unternehmens unter einem Durchsetzungskampf leiden muss?
Freiheit ist aus libertärer Sicht so zu verstehen, dass jeder tun kann, was er möchte, so lange er die Freiheit eines anderen damit nicht einschränkt. Als Christ unterwirft man sich freiwillig bestimmten Einschränkungen, das tut aber jeder andere auch, der in Beziehung mit Menschen tritt. Wenn ich ein Auto kaufe besteht meine Freiheit nicht darin, es nicht zu bezahlen, diese Freiheit habe ich mit dem freiwillig eingegangenen Vertrag aufgegeben. Das mal in aller Kürze als theoretischer Hintergrund.
Was machen nun Herr Weselsky und die streikenden Lokführer? Sie stehen in einem Vertragsverhältnis mit der Bahn: Geld gegen Arbeit, wie es die meisten Menschen in diesem Land tun. Stelle ich als Arbeitnehmer meine Arbeit ein, bekomme ich schnell kein Geld mehr und über kurz oder lang auch keinen Job mehr. Zahle ich als Arbeitgeber kein Gehalt mehr, werden meine Mitarbeiter die Arbeit schnell einstellen. Habe ich als Arbeitnehmer das Gefühl, ein einmal geschlossenes Vertragsverhältnis mit meinem Unternehmen übervorteile mich, dann trete ich in Verhandlungen und sehe zu, ob ich mehr bekommen kann. Schaffe ich das nicht, wechsele ich womöglich den Arbeitgeber oder bescheide mich, wenn ich keinen besseren finde. Nichts anderes tun Gewerkschaften als Vertreter der Mitarbeiter: Haben sie das Gefühl, die Mitarbeiter verdienten mehr als sie bekommen, gehen sie in Verhandlungen, wenn die nicht erfolgreich sind, drohen sie mit der Einstellung der Arbeit.
Es ist ein Machtverhältnis, das hier zum Ausdruck kommt, und das sich insoweit bewährt hat, als das eine Arbeitnehmerorganisation die Interessen der Mitglieder bündeln kann und ganz anders auftritt als ein einzelner Arbeitnehmer, auf dessen Mitarbeit ein Unternehmen im Zweifel auch mal verzichten kann. Lasse ich mich als Arbeitnehmer von einer Gewerkschaft vertreten, dann nutze ich die entsprechenden Vorteile und stelle meine eigene kleine Stimme in den Chor der anderen. Ich muss dann mit den Ergebnissen leben, auch damit, wenn meine Gewerkschaft als Gesamtinteressenvertretung nicht mehr in meinem persönlichen Interesse handelt kann dabei übrigens auch die Notbremse ziehen und austreten.
Soweit so marktwirtschaftlich! Aber wie man sich denken kann jetzt tritt der Staat auf den Plan! Denn wenn heute von einem Streikrecht gesprochen wird, dann ist das etwas ganz anderes als man meinen könnte: Natürlich soll jeder das Recht haben, freiwillig in Streik zu treten, seine Arbeit also einzustellen, wenn man sich schlecht behandelt fühlt. Und natürlich können sich Arbeitnehmer auch zusammen tun und freiwillig zusammen für eine gemeinsame Sache streiken. Aber natürlich sollte dann ein Unternehmen auch das Recht haben, einem, vielen oder gar allen Streikenden nicht nur für die nicht geleistete Arbeit kein Gehalt mehr zu zahlen sondern ihnen notfalls auch zu kündigen. Ein solches Recht würden sie notwendigerweise nur in dem Umfang einsetzen, wie es dem eigenen Geschäft nicht schadet.
Am Beispiel der Bahn: Die Bahn würde nicht alle Lokführer rauswerfen, sich aber gut überlegen, ob es nicht doch besser geeignete Kandidaten am Markt gibt. Außerdem würde sich die Bahn am Markt umschauen, ob es nicht ausreichend potenzielle Mitarbeiter gibt, die für weniger Geld den gleichen Job machen. Beides geht aber nicht ohne weiteres: Wegen eines Streiks rauswerfen ist ebensowenig möglich wie Mitarbeiter außerhalb eines Tarifes einzustellen, der bereits allgemeingültig in der Branche etabliert ist also vom Staat fixiert!
Man sieht: Das oben beschriebene marktwirtschaftliche Kräfteverhältnis, das je nach Branche und Situation zu Gunsten der Unternehmen oder zu Gunsten der Mitarbeiter ausfallen kann, von dem in Summe aber durch richtige, weil marktgerechte, Lohnfindung alle profitieren, ist durch staatliche Eingriffe aus dem Lot! Gewerkschaften und auch Unternehmen und Arbeitgeberverbände die an dieser Situation in der Vergangenheit mitgewirkt haben, haben ihren Einfluss unter Reduktion der Freiheit anderer Menschen seien es Unternehmen, seien es potenzielle Mitarbeiter, die sich nicht an den Tarifergebnissen orientieren wollen oder können ausgeweitet. Es ist kein System der Freiheit mehr, kein System des Marktes, sondern ein System des Sozialismus, in der Mehrheiten und Lobbygruppen die Freiheit beschneiden. Darum weisen auch Forderungen nach Gesetzen zur Einschränkung der Möglichkeiten von Kleingewerkschaften in die falsche, weil unfreiheitliche Richtung.
Claus Weselsky und die GDL stehen wie die Bahn am Ende dieser Kette leben mit den Ergebnissen verfehlter Politik und nutzen sie zu ihrem Vorteil. Das kann ich Herrn Weselsky nüchtern betrachtet nicht zum Vorwurf machen, auch wenn mich sein Streik in den kommenden Tagen unglaublich nerven wird! Aber das ganze freiheitsbeschränkende System gehört auf den Prüfstand der Arbeitsmarkt, der schon lange keiner mehr ist, gehört wieder in die Hände der eigentlichen Akteure, nicht in die Hand des Staates. Dann werden sich rein marktwirtschaftlich eine Gewerkschaft und ihre Mitglieder genau überlegen, ob sie für machtpolitische Zwecke streiken und ein Unternehmen wird sich genau überlegen, ob es die Mitarbeiter dauerhaft schlechter stellt, als es legitim wäre. Das wäre nicht das Ende von Streiks, sehr wohl aber würde es zur Transparenz über die Streikgründe beitragen. Und dann wäre Claus Weselsky vielleicht auch nicht mehr einer der meistgehassten Deutschen sondern einfach nur ein legitimer Interessenvertreter unter vielen!
Kassandra
http://www.dasgelbeforum.net/forum.php
Hier im gelben Forum bringen die Foristen Beiträge, die eine etwas differenziertere
Sicht aud den Streik und auf Herrn Weselsky zulassen,