AfD-Mann Björn Höcke und der mediale Umgang mit ihm ist ein Phänomen, dem man nicht in einem Beitrag gerecht werden kann – daher hier nur Teil 1.
Es ist in der Tat ein leidiges Thema, das sich derzeit durch die liberale und katholisch-liberale (nicht liberal-katholische!) Szene nagt: Die Frage nach der Nation, der Kultur, der Religion(sfreiheit) auch des politischen Extremismus. Wenn es stimmt, dass Krisen die Sichten klären, dann ist die aktuelle Flüchtlingskrise wohl ein unverzichtbarer Bestandteil der Bewusstwerdung des Werteschemas der Einzelnen und der Gesellschaft als ganzer. Wobei ich mit letzterem hinsichtlich der Frage des Kollektivismus schon wieder ein Problem habe … aber eins nach dem anderen.Das Flüchtlingsdrama als klärende Krise
Die Flüchtlingsproblematik, die schon bei der Frage beginnt, ob der Begriff überhaupt richtig ist, hat dabei so viele Facetten, dass man sie unmöglich in einem Beitrag unterbringen kann. Andererseits hat jeder Leser eine eigene Sicht der Dinge und setzt andere Schwerpunkte, die er womöglich in einem kurzen Blogbeitrag nicht wieder findet. Vielleicht steht dazu in einem anderen Beitrag etwas, vielleicht gibt es auch nur inhärente Aussagen dazu auf meinem Blog. An der Herausforderung jedenfalls, das Thema hier erschöpfend zu behandeln, muss ich scheitern, ich nehme auch an, das täten auch Leute, die klüger sind als ich. Der Grund, warum ich trotzdem mal wieder einen Ansatz wage ist die Tatsache, dass ich meine, mich erklären zu müssen, wenn ich die deutsche Flüchtlingspolitik kritisiere und gleichzeitig nicht zur AfD überlaufe, wenn ich Risiken in der Migration und der mangelnden Integration sehe und trotzdem nicht ein Verfechter von Björn Höcke werde. „Stuck in the middle“ heißt ein Stichwort, dass im Management verwendet wird, wenn sich ein Unternehmen nicht recht zu einer eindeutigen Strategie bekennen will. „Stuck in the middle“ könnte man auch dem Liberalismus attestieren, der durchaus meinungsstark sein kann, dabei aber nicht dogmatisch sein darf, in dem Sinne, andere Meinungen nicht mehr zuzulassen.
Meinungsfreiheit
Da ist zunächst mal das Thema der Meinungsfreiheit selbst: Gibt es die in Deutschland? „Lügenpresse“ wird allenthalben von Rechten (nur von denen?) gerufen oder auch „Zensur“, wenn angeblich unliebsame Meinungen nicht in den Medien kommuniziert werden. Beide Begriffe gefallen mir allein schon deshalb nicht, weil sie erstens pauschalieren und zweitens auch nicht den Kern des Gemeinten treffen:
Lügen kann man die Meinungsbildung der Mainstreammedien kaum nennen. Tendenziöse Berichterstattung schon eher, aber die liegt in der Gestaltungsfreiheit der Medien begründet. Der Normalbürger mag glauben, dass private Medien wie Spiegel oder FAZ dazu da sind, zu informieren oder auch zu bilden. Aus unternehmerischer Sicht werden sie aber publiziert, um Gewinn zu erwirtschaften. Zeitungen mit „Hausmeinungen“, die nicht den Nerv der Kundschaft treffen, verlieren an Auflage. Einbrüche bei den Verkaufszahlen gängiger Magazine und das seit Jahren stetige Wachstum der „Jungen Freiheit“ mögen verdeutlichen, was ich meine. Denn es gibt noch eine andere Intention: Die der „Erziehung“ der Leser! Die Elder Statesmen des Journalismus würden das zwar weit von sich weisen, aber natürlich ist es verlockend, die Leser, die – siehe oben – glauben, neutral informiert zu werden, in eine bestimmte Richtung zu stupsen. Da werden dann bestimmte Themen betont, andere eher stiefmütterlich behandelt, Meinungen fließen in die Berichterstattung ein, kleine und unscheinbare Adjektive wie die der „umstrittenen“ Politiker oder des „angesehenen“ Instituts machen deutlich, was geglaubt werden soll. Das alles hat nicht so sehr mit Lüge als mit „Volkserziehung“ zu tun, die zwar nicht immer die Wahrheit offenbart, aber doch meist diesseits der Defintion von Lüge bleibt.
Und Zensur ist es ebensowenig, wenn in der Berichterstattung oder Kommentierung manche Sichtweisen nicht vorkommen. Das verfassungsgemäße Verbot der Zensur betrifft den Staat, der sich nicht einmischen darf, was berichtet werden soll und was nicht. Ob aber ein Journalist – immer vor dem Hintergrund des Spagats zwischen Auflage einerseits und ideeller Überzeugung bzw. Sendungsbewusstsein anderereits – über ein Thema berichtet oder nicht, ob ein Redaktionsteam einen Aufreger auf die Titelseite nimmt, auf Seite 7 verbannt oder ganz unter den Tisch fallen lässt, das ist in erster Linie mal deren eigene Entscheidung. Das bedeutet nicht, dass nicht Vertreter von Parteien oder Regierung versuchen, Einfluss zu nehmen oder das implizit tun (Was wohl ein aufstrebender Journalist bereit ist zu tun für ein Exklusivinteview oder die Einladung zum Presseball?), aber Zensur mit Druckmitteln ist doch etwas anderes. So gehen auch Vorwürfe der „Zensur“ ins Leere, wenn festgestellt wird, dass bestimmte Autoren in den Medien niedergemacht und ungerecht behandelt werden. Ja, das passiert – Sarrazin und Pirinçci lassen grüßen -, moralisch und gesellschaftlich ist das auch bedenklich, Zensur im rechtlichen Sinne ist das aber nicht.
Trotzdem kommt man nicht umhin festzustellen, dass „Meinungsfreiheit“ implizit doch auch etwas anderes meint, als das, was wir in Deutschland vorfinden. Natürlich kann Akif Pirinçci Bücher weiter veröffentlichen, wenn er einen Verlag findet – aber wenn der weiß, dass die Bücher in großen Buchhandlungsketten und bei Amazon & Co. nicht gelistet werden, kann das eine schwierige Sache werden. Es gibt kein Publikationsverbot für ihn, faktisch kann er aber seine tatsächlich Bekanntheit nicht mehr in vollem Umfang – letztlich auch zur Bestreitung seiner Lebenshaltung – in Leserzahlen umsetzen, seine potenziellen Leser sein Buch nur noch unter Schwierigkeiten erwerben. Trotzdem liegt sein Buch „Die große Verschwulung“ gerade heute auf Rang 2.937 der Amazon-Bestseller – im Vergleich zu sagen wir mal Giesas/Bednarzs „Gefährliche Bürger“ auf Rang 75.768; dabei sind Pirinçci-Bücher dort nur noch durch Drittanbieter erhältlich. Das zeigt: Eine Zensur findet nicht statt, und wer wirklich gelesen werden will, hat die Möglichkeiten dazu.
Und doch: Meinungsfreiheit gerät in Gefahr, wenn entweder eine Mehrheit oder bestimmende Oligopole bestimmen, dass eine Meinung nicht gehört werden sollte. Denn Meinungsfreiheit bedeutet nicht nur, dass jeder seine Meinung äußern darf, es bedeutet überhaupt nicht, dass man die Gesellschaft von bestimmten Meinungen frei halten sollte, es bedeutet dagegen im Besonderen, dass jede Meinung auch gehört werden kann – und das möglichst ohne größere Klimmzüge, die über den einfachen Klick bei Amazon oder die Lektüre einer gängigen Zeitung hinausgehen. Ob man mit diesem erweiterten Verständnis noch von Meinungsfreiheit sprechen kann? Sicher ist die Freiheit seine Meinung zum Ausdruck bringen zu können und andere Meinungen hören zu dürfen in Deutschland ausgeprägter als in vielen anderen Ländern. Aber erstens sollte der Maßstab nicht der Mangel der anderen sondern das eigene Ideal sein, und zweitens ist die Tendenz in dieser Frage wichtiger als der Status Quo – Wehret des Anfängen!
Fortsetzung folgt … In den kommenden Tagen erscheint eine Fortsetzung (oder mehrere) zu den Themen „Leitkultur“ und „Extremismus“ – dann komme ich auch wieder auf Björn Höcke zu sprechen.
Matthias Schrader
Mir gefällt in diesem Zusammenhang der m.E. zuerst von Michael Klonovsky geprägte und verwendete Begriff der „Lückenpresse“. Natürlich sind Zeitungen Unternehmen, die auch Gewinn erwirtschaften sollen. Soll dieses aber auf Kosten und zu Lasten der Wahrheit gehen? Man kann jetzt mit Pilatus fragen: Was ist Wahrheit? Und ich weiß auch, das Wahrheit auch mit Wahrnemung zu tun hat. Bei vielen Presseartikeln in diesem Jahr hatte ich aber den Eindruck, dass wissentlich (der Jurist nennt so etwas vorsätzlich) Fakten verschwiegen oder sogar falsch dargestellt wurden. In solchen Fällen spreche ich dann nicht mehr von Lücken sondern von Lügen bzw. Manipulation. In diesem Sinn hoffe ich auf ein besseres neues Jahr. Ich fürchte aber, dass es diesbezüglich nicht besser wird.
Andreas
Ich finde man sollte klare Sachverhalte auch klar benennen. OK sagen wir nicht Lügenpresse, wenn dieser Terminus in der Hauptsache von eher unerfreulichen Gestalten geprägt wurde.
Einerseits.
Wenn Tagesschau, Tagesthemen, Heute und Heute Journal bspw. nicht über die m.w. im Nachkriegsdeutschland erstmalig vorgekommene, gezielte Verfälschung einer Wahl berichten, dann passt der Begriff Lüge ja nicht so richtig.
Und es ist ja nicht gelogen, wenn der Umfang und die Art der Berichterstattungen über z. B. HOGESA-Gewalttaten eine andere ist, als z. B. die linken Gewalttaten zuletzt in Leipzig.
Und wenn in den Medien zum Thema Flüchtlinge hauptsächlich Bilder von Familien mit Kindern gezeigt werden, statt von den weit überwiegend ankommenden jungen Männern ist das zwar gezielte Manipulation, aber noch nicht gelogen.
Aber nehmen wir den Fall Pirinci. Der Satz mit den Vernichtungslagern fiel als Reaktion auf die Äußerung eines CDU-Politikers, der einem Bürger der gegen dessen Flüchtlingspolitik war entgegegnete, man könne ihn ja leider nicht in ein Lager sperren.
In den Medien wurde daraus, Pirinci habe Vernichtungslager für Flüchtlinge gefordert.
Das ist schon eine Lüge, oder ?
Papsttreuer
Danke für den Hinweis: Allerdings haben sich nach meinem Empfinden schon die meisten Medien an die Wahrheit im Fall Pirinçci gehalten. Manche hatten zunächst reflexartig und in Unkenntnis der Sachlage die Interpretation von „Vernichtungslagern für Flüchtlinge“ angeschlossen, dies aber später korrigiert. Hier machte eher die Formulierung die Problematik aus, weil mit Überschriften häufig anderes suggeriert wird, als dann im Text steht. Derartiges zu sehen und die Medienschaffenden nicht von vorneherein als Verkünder der Wahrheit zu sehen, gehört für mich heute zur Medienkompetenz. Schöner wär’s anders, aber von „Lügenpresse“ – in dieser Art pauschalierend – würde ich auch hier nicht sprechen.
Gottes Segen!
Andreas
wie gesagt, der Begriff Lügenpresse scheidet ob seiner Urheber ja sowieso aus und würde in dieser Pauschalität dem Sachverhalt auch nicht gerecht werden.
Ob „die meisten“ Medien korrekt berichteten oder nur „unrichtige“ Überschriften verwendeten, fände ich bei der Vielzahl derselben schwierig zu beurteilen.
Einen Anhalt finde ich aber in der Tatsache, dass viele „Korrekturen“ erst durch die Tätigkeit des Herrn Steinhöfel bedingt waren.
Übrigens, man würde eigentlich immer auch von Lüge sprechen, sobald jemand gezielt Teile einer Information weglässt, oder nicht? Gilt das für Medien nicht?
Den Begriff der Lückenpresse von Michael Klonovsky finde ich auch recht passend.
Wobei, das geräuschvolle Beschweigen der Ereignisse in Bremerhaven und vor allem aber die Einschaltung ehemaliger Stasi-IM durch den Bundesjustizminister in neuerliche Überwachungstätigkeiten, eigentlich eine Ungeheuerlichkeit, bar jeden Diskurses in den Medien, sind für mich eigentlich Zäsuren in der Berichterstattung.
Reicht es da, Medienschaffende nicht als Verkünder der Wahrheit zu sehen?
Anton Vogel
Ja das ist ein sehr difizieles Thema ! Wie sehr, das sieht man auch an den Kommentaren hier. Da werden eben bereits Begriffe von Vorn Herein verworfen, weil sie aus „der falschen Ecke “ kommen…..
Eines muss ich aber fragen : Wo beginnt Lüge oder falsche Berichterstattung ? Bei (bewusst ?) falschen Überschriften ? Beim weglassen relevanter Fakten ? Beim bewussten setzen von Prädikaten wie „Ausländerfeindlich“ „Rechtspopulistisch“ „Links-Grün “ „Lügenpresse “ ?
Ein Freund schrieb mir dazu vor ein paar Tagen :
„Wen in den Medien Tatsachen verschwiegen werden, wenn Ereignisse einfach totgeschwiegen werden, ist das dann nicht so etwas wie eine Straftat durch Unterlassung ( Im StGB z.B. Töten durch Unterlassung…) ? Ist das nich genau so schlimm wie verdrehen und Lügen ? “
Ist eben ein weites Thema………….
Konrad Kugler
Lügenpresse mag ich schon deswegen, weil dieses Schlagwort [im Hirn] anständig weh tut. Sogar in meinem.
Das „Lügen“ setzt sich aus verschiedenen Verhaltensweisen zusammen, die alle aber nur täuschen sollen.
Wenn eine Zeitung, die bei den Memminger Prozessen Anti-Reklame gegen die Vernunft machte, nun regelmäßig den Marsch für das Leben in Berlin in der Berichterstattung unterschlägt, dann ist das logisch. Aber unseriös.
Andreas
Leider schneller als gedacht, ist das Thema wieder da. In der Sylvesternacht kam es am Kölner Hauptbahnhof zu massiven sexuellen Übergriffen auf etwa 30 Frauen, die gleichzeitig bestohlen wurden. WDR und RP beschreiben die Täter als „Männer“, die WAZ beschönigt die massiven Übergriffe, die ich hier gar nicht beschreiben möchte, als „Antanztrick“. Die herkunft der Täter wird generell verschwiegen.
Eine umfassendere Darstellung habe ich auf der Seite von Michael Klonovsky gefunden.
Wer hilft mir mit einem anderen Begriff als Lügenpresse ?