Das Gebet, insbesondere das gemeinsame Gebet, ist ein wesentlicher Baustein der Beziehung zu Gott – vor allem in der Familie.
„Für’s Gebet habe ich keine Zeit!“ – Der eine oder andere mag dieses Argument kennen, ich beziehe es auch durchaus auf mich, denn auch wenn ich weiß, dass das in den meisten Fällen, in denen ich beten sollte und es nicht tue, gar nicht stimmt, und auch wenn ich den Satz so nicht formulieren würde – im Inneren ist es doch genau die Einstellung, die zutage tritt, wenn ich mal wieder nicht bete, mein Morgengebet „schlabbere“ oder den Rosenkranz gerade jetzt doch lieber nicht bete. Umso wichtiger, dass sich der Papst dieses Themas bei seiner 100. Generalaudienz angenommen hat, in der es wieder um die Familie ging.
Der Papst hat eine Begabung, gerade die Liebe Gottes zu uns in fast poetischen Worten auszudrücken, die es manchen erscheinen lassen, als sei sein Blick auf Gott naiv. Ich dagegen glaube eher, er hat etwas von der Liebe Gottes verstanden, das mir – jedenfalls im Alltag – abgeht. Dabei spricht der Papst zu Beginn seiner Katechese eher von der Liebe des Menschen zu Gott, die ihn zum Gebet führen sollte (Zitate hier wie im Folgenden von Zenit):
Wir können uns eine sehr einfache Frage stellen. Es ist in Ordnung, mit dem ganzen Herzen an Gott zu glauben, auf seine Unterstützung in Schwierigkeiten zu hoffen, eine Verpflichtung zum Dank an ihn zu empfinden. Aber verspüren wir dem Herrn gegenüber auch ein wenig Zuneigung? Sind wir beim Gedanken an Gott bewegt, verwundert, gerührt?
Denken wir an den Wortlaut des großen Gebotes, das die Grundlage aller anderen darstellt: „Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,5; vgl. Mt 22,37). In diesen Worten wird die innige Sprache der Liebe verwendet und auf Gott ausgegossen. Der Geist des Gebetes wohnt vor allem dort. Und wenn er dort wohnt, so verweilt er die gesamte Zeit und geht niemals fort. Können wir uns Gott als jene zärtliche Berührung vorstellen, die uns am Leben erhält und vor der es nichts gibt; als eine zärtliche Berührung, von der uns nichts – nicht einmal der Tod – trennen kann?
Also, ich bekomme bei diesen Sätzen einen mindestens kleinen Kloß im Hals: Ich weiß, das mein Gebet so sein sollte, von der Liebe zu Gott geprägt, es aber meistens nicht ist. Gott als der, dem ich danke, Gott als der, den ich lobe, Gott als der, den ich um etwas bitte – das alles kommt in meinen Gebeten vor. Aber Gott als der, den ich „mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ liebe? Ich beneide jeden, der das immer so spürt, und ich glaube, ich kenne Menschen, bei denen das so ist und die darum auch eine ganz besondere Beziehung zu Gott haben; oft sind es Priester oder Ordensleute.
Dabei ist das eigentlich Überraschende, das Gott mich trotz dieses Mangels liebt – und der erste Schritt zu innigerer Liebe zu ihm ist es wohl, sich dessen bewusst zu werden. Der Papst dazu:
Doch nur wenn Gott die Zuneigung all unserer Zuneigungen ist, gelangen diese Worte zur vollen Verwirklichung. Dann empfinden wir Glück und auch ein wenig Verwirrung, denn er denkt an uns und liebt uns vor allem! Ist dies nicht beeindruckend? Ist es nicht beeindruckend, dass Gott uns mit der Liebe eines Vaters zärtlich berührt? Dies ist von großer Schönheit! Er hätte sich einfach als das höchste Wesen zu erkennen geben, seine Gebote erteilen und auf die Ergebnisse warten können. Stattdessen hat Gott unendlich mehr vollbracht. Er begleitet uns auf dem Weg des Lebens, schützt uns und liebt uns.
Da ist er wieder, der Kloß im Hals, nicht aus Trauer, sondern aus dem Glücksgefühl heraus zu wissen, dass Gott mich – trotz allem – liebt. Wenn ich oben vom Mangel an Liebe zu ihm gesprochen habe, und von Menschen, die offenbar in der Lage sind, ihn besonders zu lieben, dann bedeutet das nicht, dass diese Liebe zu Gott nur besonderen Menschen möglich wäre, man als „Normalgläubiger“ das nicht erreichen könnte. Gott will das jedem von uns schenken, und die einzige Kunst (nicht missverstanden als Übung, bitte) besteht darin, dieses Geschenk anzunehmen, sich lieben zu lassen und zurück zu lieben.
Dafür braucht es aber ein gewisses Gespür, das uns ins Herz gelegt ist, nicht selten aber verschüttet wird. Darum ist es so wichtig, in der Familie das Gebet zu pflegen, die Liebe zu Gott zu pflegen. Wieder der Papst:
Ein von der Zuneigung zu Gott bewohntes Herz macht auch aus einem Gedanken ohne Worte, einer Anrufung vor einem Heiligenbild oder einem der Kirche gesandten Kuss ein Gebet. Es ist schön, wenn Mütter ihre Kinder anleiten, Jesus oder der Gottesmutter einen Kuss zu schenken. Wie viel Zärtlichkeit liegt in dieser Geste verborgen! In diesem Augenblick verwandelt sich das Herz der Kinder in einen Ort des Gebetes. Es handelt sich um ein Geschenk des Heiligen Geistes. Vergessen wir niemals, dieses Geschenk für einen jeden von uns zu erbitten, denn der Geist Gottes hat die besondere Eigenart, das Wort „Abba“ – „Vater“ in unser Herz einströmen zu lassen. Er lehrt uns, „Vater“ genauso wie Jesus zu sagen; in einer Art und Weise, die wir alleine nicht zu finden vermögen würden (vgl. Gal 4,6). In der Familie wird vermittelt, dieses Geschenk des Geistes zu erbitten und zu schätzen. Wenn man dies ebenso spontan erlernt wir das Aussprechen der Worte „Vater“ und „Mutter“, so wird man es nie mehr vergessen. Wenn dies geschieht, wird die Zeit des gesamten Familienlebens vom Schoß der Liebe Gottes umgeben und wird sich von selbst auf die Suche nach der Zeit für das Gebet begeben.
Gerade aber in der Familie fehlt nicht selten die Zeit zum Gebet: Arbeit, Haushalt, Schule, Erziehung, Schlafenszeiten, Erholung … wo ist da noch die Zeit, sich – auch noch gemeinsam – hinzusetzen, und zu beten? Am Beispiel von Martha und Maria macht der Papst deutlich, dass die Zeit des Gebetes uns geschenkt wird, oder „die Zeit, die wir Gott geben, […] uns zurückgeschenkt [wird].“ Martha wird klar, dass der „bessere Teil“ darin liegt, Jesus zu hören, seinen Worten zu lauschen, viel wichtiger ist als ihn zu bedienen. Die Prioritäten verschieben sich – Martha wird nicht den Haushalt vernachlässigt haben, aber doch dafür gesorgt haben, Jesus ausreichend persönliche Zeit zu widmen.
Daraus wird auch deutlich, wie man das Gebet gestalten kann, wie man die Liebe zu Gott „erlernen“ kann, nämlich im Lesen der Heiligen Schrift. Ich gebe zu, wir beten mit unseren Kindern zu den Mahlzeiten und abends, wir haben einen ganzen Haufen Kinderbibeln zu Hause, aber wirklich sein Wort hören, es gemeinsam lesen und darüber sprechen? Natürlich ist das nicht ganz leicht, vor allem nicht mit kleinen Kindern. Aber wer Kindern Geschichten vom Raben Socke oder Benjamin Blümchen vorlesen kann, der kann ihnen auch kindgerecht wiedererzählte Geschichten aus der Bibel vorlesen. Noch einmal dazu der Papst:
Das Gebet sprudelt aus dem Hören auf Jesus, aus der Lektüre des Evangeliums. Vergesst nicht, jeden Tag einen Abschnitt aus dem Evangelium zu lesen. Das Gebet sprudelt aus der Vertrautheit mit dem Wort Gottes. Existiert in eurer Familie Vertrautheit? Gibt es in unserer Wohnung ein Evangelium? Öffnen wir es manchmal, um gemeinsam daraus zu lesen? Betrachten wir es während dem Rezitieren des Rosenkranzes? Das in der Familie gelesene und betrachtete Evangelium ist wie gutes Brot, das das Herz aller nährt. Morgens und abends, wenn wir uns am Tisch versammeln, lernen wir, mit großer Einfachheit gemeinsam ein Gebet zu sprechen: Jesus tritt in unsere Mitte wie in die Familie von Martha, Maria und Lazarus.
Das mag für den einen oder anderen abgehoben klingen: Kennt denn der Papst gar nicht die akuten Probleme im Familienleben, darin, die Familie zusammen zu halten, geschweige denn sie im Gebet zu versammeln? Seine Kenntnis der Problematik macht der Papst aber sehr wohl deutlich, wenn er dazu auffordert, den Kindern erst mal oder zumindest beizubringen, ein Kreuzzeichen zu machen, sie auf diese Weise das Beten zu lehren. Man lernt eben das Beten, das Sprechen zu Gott und das Hören auf ihn, seine Liebe wahrzunehmen und ihn zu lieben … indem man es tut. Wenn also das oben gesagte dem einen oder anderen zu schwer oder zu theologisch klingt, dann ist das mein Fehler, nicht der Fehler Gottes. Ich glaube, man kann beim Beten nicht wirklich etwas falsch machen. Wer sich bemüht, Gott zu lieben, seine Liebe zu erspüren und ihn besser kennenzulernen, dem wird sich Gott auch öffnen – mal schneller, mal langsamer, aber doch.
Damit kann ich zum Abschluss nur einladen, über den letzten Satz der Katechese nachzudenken:
Im Gebet der Familie, in den starken Augenblicken und schweren Zeiten sind wir einander anvertraut, sodass ein jeder von uns in der Familie von der Liebe Gottes geschützt sei.
Die letzten Worte, die ich unseren Kindern abends sage, wenn wir sie ins Bett bringen und ich ihnen einen Segen gebe sind: „Mama hat dich lieb, Papa hat dich lieb, deine Schwester / dein Bruder hat dich lieb … aber ganz besonders lieb hat dich der liebe Gott, und der passt auf dich auf!“ Ich hoffe, dass davon, trotz des formalhaften Satzes, etwas hängen bleibt und sich in Liebe zu Gott und zum Gebet wandelt.
Andreas
Vielleicht hilft es ja, wenn man nicht ūberzeugter Christ ist, auf folgenden Unterschied hinzuweisen. Ich liebe meine Kinder. Sie werden immer meine Kinder sein, auch wenn sie gegen mich fehlen sollten.
Und sollten sie mich nicht mehr kennen und mich nicht lobpreisen wollen- ich wūrde sie dennoch niemals ewiger Verdammnis ūberantworten wollen.
So vorbehaltlos ist Gottes Liebe nicht. Wahrscheinlich glaube ich deshalb nicht
Papsttreuer
Lieber Andreas,
auf solche Kommentare fällt es mir schwer, in Kürze zu antworten. Daher vielleicht nur ein paar Gedanken, die einen Hinweis geben mögen, warum und was ich glaube:
Gott braucht unseren Lobpreis nicht, er braucht nicht unser Gebet, er braucht nicht mal unsere Liebe, die Dreifaltigkeit könnte sich eigentlich genug sein. Er hat uns aber erschaffen aus Liebe, liebt uns und weiß, dass wir es brauchen, ihn zu lieben. Das hat erst mal gar nichts mit dem Weltgericht zu tun sondern nur damit, wie wir selbst meinen, unsere Beziehung zu dem, der uns ohne Vorbedingung liebt, uns aus Liebe geschaffen hat, gestalten zu wollen.
Die ewige Verdammnis von der Sie sprechen ist insofern nichts, wozu uns Gott verurteilt, sondern etwas, das wir selbst wählen. Wenn meine Kinder sich mal von mir abwenden sollten, dann würde mich das unfassbar schmerzen. Das ist bei Gott nicht anders: Er ist nicht wütend, sondern traurig! Er will nicht unseren Tod sondern das wir das Leben in Fülle haben. Wenn ich nun daran denke, meinen eigenen Vater zu verstoßen, macht mich alleine dieser Gedanke traurig – und der ist „nur“ mein weltlicher Vater. Die Hölle, wenn wir den Begriff wählen wollen, ist die ewige Abwendung von Gott, die aber nicht er uns auferlegt sondern für die wir uns entscheiden.
Oft wird gesagt, die Hölle sei leer – da bin ich nicht sicher, aber ich glaube auch nicht, dass sie überfüllt sein wird, einfach weil Gottes Gnade so groß ist, dass er auch aus einem Fünkchen Zuwendung, dass wir für ihn behalten haben, etwas Großes machen kann – durch den Tod Jesu am Kreuz bereits gemacht hat. Und sowenig wie ihre Kinder vermutlich eines Tages ganz ohne Reue und ohne Wehmut nichts mehr mit Ihnen zu tun haben wollen, so wenig sind wir Menschen dafür gemacht, Gott final abzulehnen. Natürlich fehlen wir immer wieder, aber wir dürfen auch auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen – nicht im Sinne eines Ausnutzens, nach dem Motto „Wird schon gut gehen“ aber im Sinne eines Vertrauens, dass ich auch zu meinem leiblichen Vater habe, der mich auch wieder zu Hause aufnimmt, wenn ich ihn verletzt habe.
Ob das alles theologisch einwandfrei formuliert ist, kann ich nicht versichern. Aber das ist mein Bild von Gott, so glaube ich, dass er ist, als Vorbild eifere ich ihm als weltlicher Vater nach, und als solchem vertraue ich ihm, dass er auch für diejenigen einen Platz im Himmel haben wird, für die ich mir das nicht vorstellen kann.
Ich hoffe, ich habe mich einigermaßen verständlich machen können. Ich werde Sie vermutlich nicht auf diesem Weg überzeugen können, aber vielleicht habe ich ein paar Gedankenansätze liefern können, die Sie auf Ihrem Weg begleiten. Wenn ich noch einen Tipp geben darf: Suchen Sie sich doch einen wirklich guten Geistlichen, vielleicht aus Ihrer Gemeinde oder über Freunde – Themen wie diese brauchen mehr als einen schriftlichen Austausch über Blogkommentare.
Gottes Segen für Sie!
Andreas
Einfach vielen Dank.
Das ermutigt mich auf jeden Fall mehr „dran“ zu bleiben, als alles was mir bisher dazu begegnet ist.
Konrad Kugler
Die Hölle ist nur wegen der menschlichen Dummheit voll, vor allem aber wegen des Hochmuts. Mir scheint, daß gerade der die „Sünde wider den Heiligen Geist“ ist, die nicht vergeben werden kann.
Ich bin ein Sonntagsstreuner. Gerne besuche ich die Messe auswärts, auch um andere Kirchen zu sehen. In der Regel muß ich sehen, daß das Kyrie dazu mißbraucht wird um anschließend eine Art Zwangsabsolution zu vollstrecken. Kommt dabei einer der Gläubigen auf den Gedanken, „Reue und Leid“ zu erwecken? Dazu kommen die zwei unterschlagenen Schriftstellen, die vor dem unwürdigen Empfang der Eucharistie warnen.
Gott kann nur vollkommen sein, wenn er nicht nur Liebe, sondern auch Gerechtigkeit ist. Diese wird heute konsequent unterschlagen, weil wir doch sowieso in den Himmel kommen. Gott sei Dank ist Gottes Barmherzigkeit unvorstellbar groß, aber nicht gratis. Ein Hochmütiger kann nicht einsehen, daß er falsch liegt, deshalb …