Hat Gott Liebeskummer? Und ist ein Jahr der Barmherzigkeit eigentlich notwendig? Und was hat das miteinander zu tun?
Einen Beitrag über die Barmherzigkeit ausgerechnet mit dem Fegefeuer zu beginnen mag eigenartig erscheinen, aber ich hoffe, ich kann das gleich aufklären. Natürlich kann niemand so genau sagen, wie es im Fegefeuer oder gar in der Hölle wirklich ist, aber die meisten von uns haben zumindest eine Vorstellung davon. Eine meiner Vorstellungen des Fegefeuers sieht so aus, dass man dort erkennt, in welchen Situationen man zu wenig geliebt hat, in welchen Situationen man sich von Gott abgewandt hat. Bildlich stelle ich mir vor, dass Jesus mit mir zusammen einen Blick auf mein Leben wirft, wie es war … und mir dann zeigt, wie es hätte sein können, wie er es sich gewünscht hätte. Und ich glaube, diese Momente der Klarheit, die uns da bevorstehen, werden schmerzhaft sein: So viele, unendlich viele verpasste Gelegenheiten, zu lieben, barmherzig zu sein, sein Leben an Christus auszurichten. Und Jesus zeigt mir das nicht, um mich zu quälen, sondern damit ich verstehe: Wie er ist, wie Gott ist, und wie sehr mich Gott liebt.Gott liebt mich – und ich erwidere seine Liebe viel zu selten, und der Moment der Erkenntnis, wie gut es Gott mit mir wirklich gemeint hat, wird auch ein Moment der Trauer sein – vielleicht, der Gedanken kam mir gerade spontan – ein Abbild seiner Trauer über mich, wenn ich ihn nicht lieben wollte. Und wenn ich Trauer sage, dann meine ich wirkliche Trauer – kennen Sie das Gefühl von Liebeskummer, der Ihnen das Herz zerreißt, die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen, die Ihnen körperlich wehtut? So in etwa – nur noch potenziert – muss es dann sein, wenn wir uns die Trauer Gottes vorstellen, seine Trauer spüren, und durch diesen Schmerz – da passt der Begriff des Feuers wahrlich gut – erkennen, was wir verpasst haben in unserem Leben – weitgehend – ohne Gott.
Dieser Gedanke kam mir bei zwei Gelegenheiten der vergangenen Tage: Die eine war der Hinweis eines Kommentators, dass ein Jahr der Barmherzigkeit, ein solches Insistieren auf diesem Thema, doch gar nicht angemessen sei, wo doch allenthalben nur davon gesprochen werde, dass Gott doch sowieso alles verzeiht: Barmherzigkeit als Beliebigkeit. Und ich gebe zu, auch mich hat dieses Gefühl nach der Ankündigung dieses Jubiläumsjahres kurz überkommen. Die zweite Gelegenheit war ein Satz, den ich gelesen habe in einem Bericht über den Empfang der Missionare der Barmherzigkeit, die Papst Franziskus gestern ausgesandt hat. Darin heißt es:
„Wir können nicht riskieren, dass ein Beichtender die mütterliche Fürsorge der Kirche, die ihn aufnimmt und liebt, nicht spürt.“ Wenn dieses Bild der Kirche nicht vermittelt werde, wenn stattdessen das Bild einer strengen und strafenden Kirche bei den Menschen ankomme, dann sei dies ein schwerer Schaden für den Glauben, weil der Beichtende auf diese Weise nicht zu der Einsicht komme, dass er ein Mitglied des Leibes Christi ist.
Nun spricht der Papst von der Weltkirche, und da wird es schon noch viele Bereiche geben, in denen Menschen der Glaube an Gott durch das Bild des strafenden Rächers, das die Kirche dort repräsentiert, vergällt wird. In der Tat ist diese Problematik in unseren Breiten wohl eher weniger gegeben. Hier scheint es Verständnis für alles und jedes zu geben, der Begriff der Sünde wird abgeschafft, der Begriff der Schuld genau so: Es bleiben nur noch „Schuldgefühle“, die als solche pathologisiert werden. Nein, das Bild der „strengen und strafenden Kirche“ und damit eines strengen und strafenden Gottes ist wahrlich nicht unser Problem in Westeuropa. Was aber ein Problem ist, ist dass das Bild der „mütterlichen Fürsorge der Kirche“, damit der Barmherzigkeit Gottes, nicht richtig verstanden wird. Vom Begriff der Barmherzigkeit bleibt da nur noch die unbedingte Vergebung: Ohne Reue, ohne Umkehr – Gratisvergebung.
Wen also die Sorge umtreibt, man könne es in der Kirche nun endgültig mit der Barmherzigkeit „übertreiben“, der meint damit ja nicht, dass Gott nicht barmherzig wäre, sondern dass sich ein schiefes Bild der Barmherzigkeit entwickelt hat, von dem viele Menschen meinen, sie stünde ihnen gegenüber Gott zu. Das verbaut womöglich nicht den Weg in den Lilalaune-Gottesdienst, aber das verbaut den Weg zur Erkenntnis der eigenen Schwächen, Fehler und Sünden, es verbaut den Weg zu wahrer Umkehr … und führt am Ende des Lebens zu dem oben beschriebenen Schmerz, wenn wir erkennen, wie Gott wirklich ist und wie er uns gedacht hat.
In diesem Sinne können wir als Christen es wirklich nicht riskieren, dass wir die Barmherzigkeit Gottes nur in verfälschter Form vermitteln. Zur Barmherzigkeit gehört derjenige, der Barmherzigkeit notwendig hat. Etwas verkürzt dargestellt: Der wirklich Gerechte – als Idealbild – bräuchte keine Barmherzigkeit – Gott selbst braucht keine Barmherzigkeit, er ist die Barmherzigkeit. Damit stehen wir als Menschen auf der Seite der Empfänger, mit der traurigen Einsicht, immer wieder zu fehlen, zu sündigen, und der tatsächlich froh machenden Hoffnung, dass Gott uns aus dem Morast der Sünden herausholen will, vergeben will, barmherzig sein will. Vermutlich ist in den meisten Familien und Gemeinden in Deutschland das abweisende Gesicht einer strengen und strafenden Kirche nicht das Problem – das heißt aber nicht, dass die wahre Erkenntnis der Barmherzigkeit, die wahre Erkenntnis des Wesens Gottes nicht sehr wohl unser Problem ist. Und – das ist jetzt aber nur meine These – ein vielleicht noch größeres, als das vom Papst beschriebene.
Und darum brauchen wir gerade bei uns dieses Jahr der Barmherzigkeit. Nicht für ein generelles „Schwamm-drüber“ sondern für eine wahre Umkehr in dem Wissen, immer wieder in die offenen Arme des barmherzigen Vaters fallen zu können.
akinom
Das Fegefeuer ein Ort des Liebeskummers! Ein wunderschöner Gedanke! Ich möchte sie mit den meinen ergänzen: Ja, es ist wirklich ein Feuer der Liebe! Dagegen stelle ich mir die Hölle nicht als Feuer vor, sondern als Ort ewiger Eiseskälte des Hasses, deren Tür von innen verschlossen wurde, weil die Liebe niemanden zur Liebe zwingen kann!
Das Fegefeuer ist in meiner Vorstellung der Ort schmerzlichster Sehnsucht (Liebeskummer) mit der Gewissheit der Erfüllung. Es ist ein Geschenkpäcken, dessen Inhalt wir kennen. Doch dürfen wir es jetzt noch nicht auspacken. Ein Bild – aus der NRZ ausgeschnitten – hängt über meinem PC. Da ich es in diesem Kommentar nicht abbilden kann, werde ich es mailen.
Wie kommt es – so habe ich mich gefragt – dass wir sündige Menschen Platz im Himmel haben, wo doch kein Quadratmillimeter Platz ist für Unheiliges?
Auch Heilige sind ja Sünder. Sie wollen von Künstlern geschaffenen und in unseren Vorstellungen eingebrannten Sockeln herunter gehoben werden. Außer Maria sind es alles Menschen, die nicht perfekt waren und fehlerlos: Menschen die alles geschafft und unendlich viel geschaffen haben, sind die Heiligen nicht, sondern solche, die als Kinder Gottes vertrauensvoll angenommen haben, was der Vater ihnen schenken wollte und alltägliche Dinge mit Liebe tun. So haben sie Gottes Traum von unserer Heiligkeit erfüllt, zu der alle – wirklich alle Menschen – berufen sind! Es gibt ja nur eine Alternative…
Das sind die Therapie, die das Himmelstor öffnen und alles Unheilige wegschmelzen:
* Vergebung der Sünde in der Beichte
* Krankensalbung
* Reue noch in der letzten Sekunde vor dem Tod
* Und last not least die wunderbare Erfindung Gottes: das Fegefeuer.
Ich bin überzeugt: Manche Menschen haben die Gnade, wenigstens ein Stück davon schon auf Erden leben zu dürfen.
Töten wir die Sehnsucht nicht!
Es wäre die Hölle!
Andreas
Nun mir ist es ja schon öfter schwer gefallen, Barmherzigkeit in der Bibel zu entdecken. Realistisch sind Fegefeuer und die im o. g. Text genannte Interpretation desselben ja hinzufūgungen zur Schrift, deren Rechtmässigkeit ich gar nicht beurteilen kann. Ich frage mich dann immer wie man Grenzen möglicher Hinzufūgungen erkennen soll.
Andererseits scheinen gerade auch katholische Christen schnell am Ende der Barmherzigkeit angekommen
So wurde mir gerade der Weg zu Gottes Widersacher prognostiziert, mit einem Gruß „schön warm da“ hinterher, bloß wg. eines Disputes. Ich musste ziemlich alt werden bevor mir so etwas widerfuhr und es stellt alles ad absurdum was ich bisher in katholischen Blogs gelesen habe.
Wie sagt Hector in Troja zu Agamemnon: „Ich kenne die Grenzen Deiner Barmherzkeit“.
Ja, ich glaube ich habe nun auch die Grenzen der Barmherzigkeit kennengelernt und es schaudert mich.
Papsttreuer
Lieber Andreas, ohne den angesprochenen Disput zu kennen: Wer jemand anderem den Weg zur Hölle „prognostiziert“, hat sich offenbar deutlich vom christlichen Glauben entfernt, egal ob katholisch oder nicht. Die katholische Kirche tut seit jeher gut daran, nur „heilig zu sprechen“, das heißt, festzustellen, dass jemand im Zustand der Heiligkeit war, nicht aber „unheilig“ – Gott sieht ins Herz, Gott sieht Absichten, Gott sieht das Potenzial unseres Lebens.
In einem englischen Lied eines Freikirchlers, die nicht eben dafür bekannt sind, besonders zimperlich zu sein, gibt es eine schöne Stelle: „Every saint has a past – and every sinner has a future“. „Heilig“ zu werden ist unser Ziel, und niemand kann sich davon freisprechen, „Sünder“ zu sein. Und dazwischen ist Gott selbst, der uns zu sich ruft, nach Möglichkeiten sucht, wie wir zu ihm kommen können. So verstehe ich auch das päpstliche „Who am I to judge“ – nicht als Beliebigkeit sondern als richtige Feststellung: Unsere Zukunft im ewigen Leben hängt zum Glück nicht vom Urteil anderer Menschen ab und seien sie noch so fromm.
Ich glaube, lieber Andreas, Ihr Kommentar ist ein guter Hinweis darauf, warum es des Jahres der Barmherzigkeit bedarf: Um zu verstehen, zumindest im Ansatz, was Gottes Barmherzigkeit eigentlich bedeutet. Sie sind offenbar noch auf ein Exemplar der Vertreter der strafenden Kirche gestoßen, der genau so schief liegt wie der der Laissez-faire-Kirche. Natürlich basiert meine Beschreibung nicht auf Bibelzitaten, aber sie stehen auch nicht im Widerspruch dazu. Hören wir einfach – gemeinsam – im Jahr der Barmherzigkeit, was Gott wohl meint mit den Worten „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“, warum er Jesus gesandt hat, nicht um zu richten sondern um zu retten.
Zu Ihrem letzten Satz: Diese Grenze der Barmherzigkeit ist nicht die Grenze der Kirche, schon gar nicht die Grenze Gottes, es war lediglich die Grenze eines Menschen. Diese Grenzen haben wir vielleicht alle – Gott hat sie nicht!
Gottes Segen für Sie!