Nachdem ich mich im letzten Beitrag so echauffieren musste, stand ich natürlich ein bisschen unter Zugzwang und war am vergangenen Samstag beim Marsch für das Leben in Berlin (der Berlinaufenthalt war sowieso geplant, ob wir mit unserem kleinen Sohn teilnehmen konnten war uns nur vorher nicht klar). So waren wir also, ein bisschen zu spät aber noch rechtzeitig zur Kundgebung vor dem Kanzleramt. Zu finden war das leicht, denn die Trillerpfeifen waren auch von weitem gut zu hören
Nun möchte ich aber zunächst festhalten: rund 2.200 Teilnehmer der Demonstration trafen auf 400 Gegendemonstranten, und soweit ich das beurteilen kann (also von meinem Umfeld aus) ist alles friedlich geblieben. Natürlich ist friedlich relativ: die Botschaft des Marsches wurde auf Transparenten als Sexistische Kacksch betitelt, was für mich das linguistische Highlight darstellte, die Teilnehmer als Homophobes Pack bezeichnet und über Sprechchöre auf ihre Zugehörigkeit zum Mittelalter, Mittelalter hingewiesen. Propagiert wurde eine Gesellschaft mit den Attributen Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat und leider fehlten auch in diesem Jahr nicht die schon bei den letzten Veranstaltungen zitierten Sprechchöre, die unsere Gottesmutter Maria verunglimpfen (und die ich hier aus vielleicht verständlichen Gründen nicht zitiere). Aber neben derartigen verbalen Entgleisungen und diversen uns entgegen gereckten Mittelfingern war es eben friedlich: soweit ich erkennen konnte, wurden in diesem Jahr auch keine Kreuze (jedes der 1.000 Kreuze symbolisiert ein an diesem Tag im Mutterleib umgebrachtes Kind in Deutschland) entwendet.
Was mich allerdings nachhaltig beeindruckt ist die latente Agressivität der Gegendemonstranten. Nun bin ich kein regelmäßiger Demo-Gänger (genau genommen war das meine erste Demonstration überhaupt) und kann daher nicht beurteilen, wie Gegendemonstrationen sonst verlaufen, aber die verbale Aggressivität, die den anderen verunglimpft hat mich doch betroffen gemacht und ich frage mich, wo so etwas her kommt.
Es muss wohl am Thema liegen und ich habe eine These dazu, die für sich vielleicht nicht vollständig ist und nur mit anderen Erklärungen zusammen funktioniert:
Just auf der Bahnfahrt nach Berlin habe ich in Josef Ratzingers Buch Wahrheit, Werte, Macht. Prüfsteine der pluralistischen Gesellschaft einiges zum Thema Gewissen gelesen. Er weist dort sehr schön nach, dass auch ohne Kenntnis von Gott dem Menschen ein Gewissen eingepflanzt ist, das ihn auch offen macht für die Botschaft Gottes (so ungefähr jedenfalls). Und wenn nun diese Menschen in Berlin ohne Gott aufgewachsen sind oder ihnen Gott abgewöhnt wurde, dann schlägt ihr Gewissen eben doch an. Was ich damit sagen will: dass Abtreibung Mord und sich schlecht ist, ist auch denen unbewusst klar, die das Recht auf Abtreibung propagieren. Dieses Argument werden diejenigen gegen sich nicht gelten lassen, es erscheint mir aber aus christlicher Sicht stichhaltig und würde auch die Aggresivität erklären: ich weiß um mein Unrecht und will es aber nicht wahrhaben da kann ich Menschen, die mir dieses Unrecht vor Augen führen gar nicht haben.
Und unter den Gegendemonstranten finden sich ja nicht nur Menschen, die ein Recht auf Abtreibung propagieren sondern auch solche, die schon für den Kindesmord im Mutterleib verantwortlich sind. So rief uns ein Paar entgegen, dass schon zwei Abtreibungen auf ihr Konto gingen (die Wortwahl fand ich schon bezeichnend). Wenn ich also in dieser Situation annehme, dass nicht nur meine Einstellung falsch ist sondern ich mir auch noch Schuld aufgeladen habe, und sie mir vor Augen geführt wird, wie groß muss da die innere Verzweiflung werden?
Das führt mich aber auch noch zu einem weiteren Punkt, den wir uns selbstkritisch vorhalten müssen: auch wenn es die Initiatoren der Marsches für das Leben und hoffentlich auch ein Großteil der Teilnehmer das nicht intendieren, so kommt doch bei den Betroffenen vielleicht auch eine Vorwurfshaltung an das Urteil der Teilnehmer des Marsches über die Betroffenen scheint so gesprochen. Was diese Menschen eigentlich brauchen ist aber nicht der Nachweis, dass sie unrecht getan haben (das wissen sie nach obigen sowieso schon) sondern einen Weg aus der Schuld, in die sie sich sonst immer weiter verstricken.
Ich kann natürlich immer argumentieren, dass sie die Wahrheit doch gar nicht hören wollen, aber: es ist an uns, der Wahrheit Gehör zu verschaffen und sie den Menschen nicht um die Ohren zu hauen. Ob die Wahrheit dann wirkt dürfen wir getrost Gott überlassen, aber aussprechen müssen wir sie als seine Stimme in dieser Welt. Und so liegt jedes abgetriebene Kind in gewisser Hinsicht auch in unserer Verantwortung, die wir es noch nicht geschafft haben, die Wahrheit so zu positionieren, wie sie es sein sollte. Viele mühen sich redlich, und schaffen sich dadurch Schätze im Himmel, aber viel zu viele, wohl jeder in mancher Hinsicht, ich kann mich da nicht ausnehmen, sehen auch einfach weg und machen das Thema zu einer Privatangelegenheit der Eltern dieser Kinder. Wir aber sind die Anwälte dieser Kinder, die in dieser Welt wie oft auch der Herr selbst keine Stimme haben!
PS: Wie viel noch zu tun ist, zeigt der Umfang der Berichterstattung in den Medien, die entweder ganz ausgeblieben ist, oder trauriger Höhepunkt journalistischer Inkompetenz der ARD sich darin äußert, dass von der Demonstration als Warmlaufen von Papstgegnern vor dem Papstbesuch berichtet wird, ohne den Marsch für das Leben überhaupt zu erwähnen.
Catocon
Wir können, müssen die Wahrheit sagen. Herzen öffnen können wir nicht (sondern nur Gott). Deswegen ist alles richtig was Du sagst. Eine ähnliche Aggressivitätsdynamik findet sich auch bei allen anderen „Unterleibsthemen“ – Homosexualität, Scheidung, Verhütung… Vermutlich aus demselben Grund.