Ich durfte gestern Abend teilnehmen an der Vorstellung des sogenannten Präventionskonzeptes unserer Gemeinde gegen sexuellen Missbrauch zwei Jahre, beginnend mit der Veröffentlichung der Aufdeckung erster Fälle im Canisius Kolleg, mit dem der Skandal über diese Vorkommnisse in den Medien seinen Anfang nahm (der eigentliche Skandal begann natürlich schon zu dem Zeitpunkt, in dem die Verbrechen begangen wurden), hat sich eine Arbeitsgruppe aus der Gemeinde mit dem Thema auseinandergesetzt und ich bin so beeindruckt über das Ergebnis, dass ich hier gerne etwas dazu schreiben möchte:
Unser Pastor hatte in den vergangenen Sonntagsmessen durch einen Hirtenbrief über die Verabschiedung des Konzeptes informiert und die Gemeindemitglieder zu der Informationsveranstaltung eingeladen. Schade daher, dass trotz fußballfreien Abends – nur gut zwei Hände voll Gäste den Weg in den Pfarrsaal gefunden haben da ist sicher noch ein Stück Arbeit, um das Verständnis für die Relevanz des Themas zu schaffen! Man muss dabei aber auch sagen, dass Auslöser der Konzepterstellung die Offenlegung der Taten in den vergangenen Jahren in der katholischen Kirche war, die Gemeinde selbst aber bislang nicht betroffen ist (wobei deutlich gemacht wurde, dass man über Dinge, die man nicht weiß, auch keine Zusage machen kann wer kann schon beschwören, dass es in seiner Gemeinde niemals zu solchen Vorkommnissen gekommen ist?) Das Konzept hält aber eben dieses Bewusstsein auf eine wie ich finde unaufgeregte Art wach, und steht, wie der gestrige Abend unter zwei Schwerpunkten:
Erstens wurde die Relevanz des Themas für die Kirche verdeutlicht: wir als Kirche sind auch so was wie ein Aushängeschild, und sollten für Menschen, besonders für Kinder, hilfreich sein auf dem Weg zur Kenntnis Gottes. Da schmerzt ein Zitat eines Opfers sexuellen Missbrauchs besonders: Die Erinnerung ist ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann was aber, wenn die Erinnerung die Hölle ist? wenn die Erinnerung von Menschen an Erlebnisse in der Kirche, mit Vertretern der Kirche, für Betroffene vielleicht Erlebnisse mit Gott, die Hölle ist, dann haben die Täter, und mit ihnen alle Verantwortlichen, die manche Taten hätten verhindern können und es aus unterschiedlichen Gründen nicht getan haben, den Blick der Opfer auf Gott verstellt: Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. Ihr selbst geht nicht hinein; aber ihr lasst auch die nicht hinein, die hineingehen wollen. (Matthäus 23, 13) wir erleben Jesus in der Bibel selten wütend, aber wenn jemand die Menschen von Gott fernhält entbrennt sein gerechter Zorn gegen die Täter, und wir dürfen wohl annehmen, dass die Verantwortlichen nicht nur die eigentlichen Taten, deren Wunden ein Leben lang die Opfer begleiten werden und deren Leid man sich als nicht Betroffener kaum vorstellen kann, auf dem Gewissen haben, sondern auch die Tatsache, dass sich viele Opfer von Kirche und Gott abwenden. Diese tiefe Wunde ist auch der Grund, warum die Kirche diese Vorkommnisse nicht vergessen darf, denn sie wurden wir als Kirche sind eins! von uns verursacht!
Zweitens stand der Abend und steht das Konzept unter einem wie ich finde eingängigen Leitsatz: Unsere Gemeinde muss der unattraktivste Ort für Pädophile und Sexualtäter sein. Deutlich wurde, dass es in dem Konzept, schon dem Titel nach, um Prävention geht, mit dem Schwerpunkt auf Transparenz und damit zusammenhängend Täterabschreckung. Alle Maßnahmen werden daran gemessen, ob sie geeignet sind, sexuellen Missbrauch zu verhindern. Dazu gehört die vorherige Eignungsprüfung aller im kirchlichen Dienst tätigen, Hauptamtliche und Priester genau so wie Ehrenamtliche, Gruppenleiter, Katecheten etc. Die fachliche Eignung zu überprüfen ist die eine Seite, es ist aber leider heute auch notwendig, die Mitarbeiter für das Thema Missbrauch zu sensibilisieren: von der Einreichung eines polizeilichen Führungszeugnisses über das intensive Gespräch über das Thema Missbrauch (dem, wie Psychologen sagen, Pädophile i.d.R. auszuweichen versuchen), Nachfragen über die Beweggründe zur Arbeit mit Jugendlichen, auch Hinterfragen der Beweggründe bei früheren Gemeinden bis hin zu einfachen und von allen mit Unterschrift zu bestätigenden Verhaltensregeln, die auch überprüft werden sollen. Beispielhaft sei ein Konzept der offenen Türen benannt: arbeitet ein Leiter oder Katechet mit Kindern und Jugendlichen, insbesondere dann, wenn sie nur zu zweit sein sollten, bleibt Öffentlichkeit durch offene Türen gewahrt. Für jeden soll einsehbar sein, das im vertrauten Gespräch zwischen Katecheten und Kindern nicht mehr passiert als genau das. Ein weiteres Beispiel ist das absolute Alkoholverbot bei Jugendfahrten, nicht nur für die Teilnehmer sondern auch für die Leiter niemand soll auch nur in die Nähe einer Versuchung gebracht werden!
Damit einher geht ein weiterer Leitsatz des Konzeptes: Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter! viele der Verbrechen der Vergangenheit hätten womöglich verhindert werden können, wenn sie nicht vielleicht aufgrund falsch verstandenen Opfer- und Täterschutzes unter den Teppich gekehrt worden wären. Der offene Umgang mit dem Thema an sich, der einem Pädophilen und Sexualtäter klar macht, dass er an keiner Stelle in der Gemeinde mit Nachsicht rechnen kann, seine Taten auf jeden Fall öffentlich gemacht werden, dient als Abschreckung und Mittel, die Gemeinde zu einem für ihn unattraktiven Ort zu machen.
Natürlich stellt sich bei der geforderten Transparenz auch die Frage des Missbrauchs dieser Prozesse und Verfahren: wie verhindert man Denunziantentum, Bespitzelung und ungerechtfertigte Verleumdungen, wenn man sich diese Transparenz auf die Fahnen geschrieben hat? Regelungen zum Umgang mit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs, sollen hier Abhilfe schaffen, wobei andererseits auch in der Diskussion klargeworden ist, dass man die Zeit nicht zurückdrehen und so tun kann, als sei die Welt noch so wie vor dem Bekanntwerden der Fälle in unserer Kirche. Hier einen Ausgleich zu finden, einerseits Opfer und potenzielle Opfer ernst zu nehmen und andererseits einem Pauschalverdacht insbesondere gegen Priester entgegenzuwirken, die sich in Einzelfällen gar nicht mehr trauen, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, weil sie Gefahr laufen, Opfer ungerechter Vorwürfe zu werden, die sie nicht widerlegen können, ist der Spagat den man in Kauf nehmen muss und für den man Erfahrungen sammeln will.
Dazu gehört auch die Frage, ob man mit einem Maßnahmenkatalog wie diesem nicht auch Menschen abschreckt, die doch eigentlich nur hilfreich sein wollen? Läuft man nicht Gefahr, noch weniger Katecheten für Kommunionkinder und Firmanden zu finden, wenn die erstmal ein polizeiliches Führungszeugnis beibringen müssen? Die Linie der Gemeinde dazu ist klar: wenn das passieren sollte, muss man halt mit weniger Ehrenamtlichen auskommen! Das Risiko, es bei den Prüfungen nicht so genau zu nehmen, wird aufgrund der möglichen Konsequenzen für potenzielle Opfer nicht eingegangen. Andererseits: die meisten in der Jugendarbeit tätigen Erwachsenen haben selbst Kinder und sind vermutlich ausreichend sensibilisiert. Eine Gemeinde, die das Thema derart ernst nimmt, ist eben auch eine, der man seine Kinder anvertrauen kann. So ist auch die Einbeziehung der Eltern ein wichtiger Punkt: zum Beispiel werden die Eltern eingeladen, an den Ministrantenstunden in der Kirche, deren Türen dabei sowieso immer geöffnet bleiben, als Besucher teilzunehmen ein Angebot, dass auch gerne genutzt wird.
Also, die intensive Prüfung aller Beteiligten, um aus oft unbekannten Gemeindemitgliedern, die sich um eine Funktion bemühen, Bekannte zu machen, ein Klima der maximalen Transparenz und Null-Toleranz gegenüber Vorkommnissen dieser Art und die Schaffung des Problembewusstseins für das Thema Missbrauch in allen eventuell relevanten Bereichen das alles sind die Eckpunkte eines Konzeptes, das unsere Gemeinde zum unattraktivsten Ort für Pädophile und Sexualtäter machen soll und wird! Und neben dem Hauptziel des Schutzes der Opfer und der Abschreckung der Täter kann mit den Maßnahmen auch das Vertrauen der Gemeindemitglieder und vor allem der Eltern wieder gestärkt werden, dass sie in der Kirche einen Ort und in den Mitarbeitern der Kirche Menschen haben, denen sie ihre Kinder anvertrauen können, damit sie den Weg mit der Kirche zu Christus finden!
Anmerkung: auf der Webseite meiner Gemeinde wird in Kürze auch eine Präsentationsunterlage zum Präventionskonzept veröffentlicht, daher verlinke ich gerne auf diese Seite. Offenbar gibt es auch nicht viele Gemeinden, die sich als Konkretisierung von Präventionskonzepten der Diözese selbst mit dem Thema beschäftigen, daher ich nur jedem empfehlen, das Thema auch in seiner eigenen Gemeinde so noch nicht geschehen auf die Agenda zu setzen