Ab und zu ist man versucht, an der Welt da draußen zu verzweifeln, vor allem dann, wenn man den Umgang der Welt mit dem Christentum oder allgemeiner mit der Religion betrachtet.
Aktuell steht ein Urteil des Landgerichts Köln im Raum, dass die rituelle Beschneidung von Jungen als illegal betrachtet, weil sie die körperliche Unversehrtheit und das Selbstbestimmungsrecht des Kindes verletze (siehe bspw. diesen Artikel im Focus). Im konkreten Fall geht es um einen muslimischen Jungen und das Urteil ist nicht bindend für andere Gerichte, es steht aber wohl fest, dass es Signalwirkung haben wird und natürlich in gleicher Weise für andere Religionen und mehr oder weniger vergleichbare Praktiken angewandt werden wird.
Um zunächst mal eines klarzustellen: die Beschneidung von Jungen im Islam und Judentum ist in keiner Weise vergleichbar mit den immer wieder auftauchenden Genitalverstümmelungen bei Mädchen: bei der Beschneidung wird nur die (eigentlich nicht notwendige) Vorhaut entfernt, bei Genitalverstümmelungen ganze Geschlechtsorgane. Man hüte sich also, hier Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Neben dem Fakt, dass das Gericht eine Jahrtausende alte Praktik im Handstreich für illegal erklärt, macht aber genau diese Differenzierung auch aus christlicher Sicht eine zusätzliche Brisanz aus. Denn die Frage stellt sich: inwieweit können Eltern für ihre Kinder entscheiden, wenn es um die religiöse Erziehung, letztlich jeden Erziehungsinhalt geht? Bleibt der Primat der Familie oder greift der Primat des Staates immer weiter um sich? Man muss beachten: die Beschneidung ist im Islam und Judentum so was wie ein Pendant zur christlichen Taufe und es stellt sich die Frage, ob das Übergießen eines Kindes mit Wasser zur Taufe und die Erziehung im (christlichen) Glauben, nicht auch das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung verletzt kann es sich doch in diesem Alter noch nicht gegen religiöse Erziehung zur Wehr setzen. Man sieht schnell, das geht an die Grundfesten unserer christlichen Kultur und trifft frappierend mit den Forderungen von Atheistenvertretern zusammen, die die religiöse Indoktrination von Kindern in der Tat anprangern.
Nun kann man aber zwischen Juden und Christen schlecht über die Notwendigkeit der Beschneidung diskutieren, die die einen für notwendig, die anderen für überflüssig wenn auch nicht schädlich halten. Man kann zwischen Muslimen und Christen schlecht über die Eucharistie sprechen, die die einen für Teufelswerk die anderen für heilsnotwendig halten. Und man kann schlecht mit einem Atheisten über die Kindestaufe diskutieren, die der für einen unzulässigen Erziehungseingriff der Eltern hält. Im Blog von Josef Bordat wird zu Recht darauf hingewiesen, dass bei Urteilen zu solchen Themen die Sichtweise des jeweils anderen in Betracht zu ziehen ist. Bordat schreibt,
daß der rechte Gesichtspunkt, um billig zu urteilen, der ist, sich in die Stelle des anderen zu versetzen (Gottfried Wilhelm Leibniz: Nouveaux essais sur lentendement humain. Buch I, Kap. 2, § 4). Sich in die Stelle eines Juden zu versetzen und dann zu merken, dass mit dem Urteil ein wesentliches Element der eigenen Identität betroffen ist, wäre hilfreich, um sich die allervoreiligsten Schlüsse zu verkneifen.
Was es braucht, ist also so was wie ein kleinster gemeinsamer Nenner, der es ermöglicht, über religiöse Themen zu diskutieren. Ich glaube, es sind im wesentlichen drei Maßgaben, drei Prinzipien, die hierfür notwendig sind, und die hoffentlich von allen Religionen und auch von Atheisten berücksichtigt werden können (oder anders gesagt: wer diese Prinzipien nicht berücksichtigen will, mit dem kann man schwerlich fruchtbringend diskutieren): Liebe Wahrheit Freiheit!
Dem versierten Papstkenner wird auffallen, dass alle drei Prinzipien auch Kernthemen unseres Papstes Benedikt sind, zu denen man noch den Glauben hinzuzählen müsste, was aber wiederum Atheisten aus dieser Art von Diskurs ausschlösse (der Glaube als Prinzip ist also eines, dass für Christen mit gelten muss, sich aber als kleinster (!) gemeinsamer Nenner unter Religiösen und Nicht-Religiösen nicht eignet).
Worum geht es bei diesen Prinzipien?
Liebe Mir scheint, es ist schlicht nicht möglich, eine fruchtbare Diskussion zum Thema Glauben zu führen (wobei fruchtbar nicht bedeuten muss, dass am Ende der Diskussion alle Teilnehmer gläubig sind), wenn ein Mindestmaß an Liebe unter den Diskutanten fehlt. Für Christen sollte das selbstverständlich sein, sind wir doch aufgefordert, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst und nicht nur die zu lieben, die uns lieben sondern auch unsere Feinde. Jetzt müsste man wiederum über eine Definition von Liebe sprechen, das würde den Rahmen dieses Blogs aber sprengen (der Beitrag wird sicher eh wieder zu lang). Einigen wir uns also einfach darauf, dass der Wunsch der Diskutanten das Wohl des anderen sein muss. Wollen, dass der andere ist und dass es ihm gut ergeht, kann eine kleine Definition von Liebe sein, auf die man sich hoffentlich einigen kann.
Als Katholik kann man sich dabei auf die Worte Papst Benedikts XVI, damals noch nicht Papst, aus Glaube als Vertrauen und Freude Evangelium beziehen, mit der er die Liebe Gottes zu den Menschen beschreibt und die auch wir untereinander anwenden können sollten: Gut, dass es dich gibt nein: notwendig, dass es dich gibt. Mit dieser Liebe sollte jede Bosheit aus der Diskussion weichen: ein Christ wird den anderen zum Glauben führen wollen, weil er glaubt, dass dies für den anderen den Heilsweg darstellt, ein Atheist wird den Gläubigen davon überzeugen wollen, dass er mit seinem Glauben auf dem Holzweg ist und diese ihn zu falschen Schlüssen führt, die ihm schaden. Den anderen aus Liebe überzeugen zu wollen und nicht um Recht zu bekommen, dies ist grundgelegt in der Liebe als Prinzip der entsprechenden Diskussionen.
Wahrheit Religion ist für mich immer auch eine Suche nach der Wahrheit, in der Überzeugung, dass es sie gibt! Kann sein, dass ich falsch liege, die Wahrheit nicht kenne, aber die Wahrheit existiert und sie ändert sich auch nicht! Beides, das Eingeständnis nie ganz sicher zu sein, ob man in der Wahrheit ist, letztlich also das Eingeständnis zu zweifeln, und die Überzeugung, dass es diese Wahrheit aber gibt und sie nur noch nicht erkannt wurde, ist notwendige Grundlage einer Glaubensdiskussion. Kardinal Ratzinger hat hierzu in seiner Einführung in das Christentum eine gute Beschreibung gefunden:
Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil, wenn sie sich nicht vor sich selbst verbergen und vor der Wahrheit ihres Seins. Keiner kann dem Zweifel ganz, keiner dem Glauben ganz entrinnen. Für den einen wirkt der Glaube gegen den Zweifel, für den andern ist der Glaube durch den Zweifel und in der Form des Zweifels anwesend. Es ist die Grundgestalt menschlichen Geschicks, nur in dieser unbeendbaren Rivalität von Zweifel und Glaube, von Anfechtung und Gewissheit die Endgültigkeit seines Daseins finden zu dürfen. Vielleicht könnte so gerade der Zweifel, der den einen wie den andern vor der Verschließung im bloß Eigenen bewahrt, zum Ort der Kommunikation werden.
Zweifel also in dem Bewusstsein, dass es Wahrheit gibt die unabhängig von meiner Wahrnehmung existiert, erst Recht unabhängig von demokratisch ermittelten Mehrheiten, macht den Weg frei für einen Austausch, indem sich sonst Fundamentalisten unversöhnlich gegenüberstehen oder der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet wird.
Freiheit Freiheit, als weiteres wesentliches Thema des an Themen nicht armen Pontifikats von Benedikt XVI, meint hier nicht (oder nicht nur) die von Gott gewährte Freiheit des Menschen, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Hier ist vor allem gemeint, die Freiheit des anderen anzuerkennen, sich für oder gegen eine von mir angenommene Wahrheit zu entscheiden. Letztlich korrespondiert dieser Begriff der Freiheit, die dem anderen in der Diskussion gewährt wird, mit der Religionsfreiheit, die heute in den meisten demokratischen Verfassungen der Welt garantiert, wenn auch nicht immer gewährleistet wird.
Als Katholik beziehe ich mich da gerne auf den Katechismus, der hier allerdings nicht in erster Linie aus der Bibel heraus argumentiert, sondern aus dem Naturrecht was in der Form hoffentlich auch für andere Religionen und auch Nichtglaubende eine Grundlage darstellen kann:
2106 Religionsfreiheit bedeutet, dass im religiösen Bereich niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner und in Verbindung mit anderen innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln“ (DH 2). Dieses Recht gründet auf der Natur des Menschen, dessen Würde erfordert, dass er der göttlichen Wahrheit, die die zeitliche Ordnung übersteigt, freiwillig zustimmt. Deswegen bleibt dieses Recht auch denjenigen erhalten, die der Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen und an ihr festzuhalten, nicht nachkommen“ (2. Vat. Konzil, Dignitatis Humanae 2).
Mir scheint also, dass in Glaubensthemen, egal ob in privaten oder öffentlichen Diskussionen, in Fragen der Politik oder auch in der Rechtsprechung, diese Prinzipien zur Anwendung kommen müssen, will man dem bisweilen bestehenden Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und anderen Interessen gerecht werden. Das Recht auf Religionsfreiheit wird hier in der Regel als nachrangig betrachtet, begründet vermutlich auch in der geringen religiösen Durchdringung der Gesellschaft: ist die Beschneidung eines Jungen (nicht gegen seinen Willen aber ohne seine Zustimmung, die er noch nicht geben kann) eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit oder ein in seinem Namen ausgeführtes Recht auf Ausübung der Religion? Wäre die Ablehnung einer Kindstaufe ein Ausweis des Wunsches, seine Religionsfreiheit zu einem späteren Zeitpunkt zu sichern oder ist es eher eine Einschränkung der Religionsfreiheit seiner Eltern heute, die ihrem Kind diese göttliche Gnade zukommen lassen wollen?
Man sieht schon: es ist das Spannungsfeld zwischen Transzendenz und Weltlichkeit und wenn in der Welt Transzendenz nicht als Realität akzeptiert wird, man also die Wahrheit des anderen nicht mal in Betracht zu ziehen gewillt ist, man die Religionsfreiheit eher als Schmuck am Nachthemd der Verfassung sieht, dann bewegen wir uns außerhalb des von mir eben beschriebenen Prinzipienrahmens. Urteile wie das des Landgerichts Köln sind dann fast zwingend, unrecht bleiben sie trotzdem!