Im vergangenen Oktober hatte ich eine kleine Aussage unseres Heiligen Vaters zum Anlass genommen, etwas über den Vereinszweck der Kirche zu schreiben. Ausgehend von ein paar Missverständnissen, wozu die Kirche noch alles dienlich sein könnte, zum Beispiel zur Bewahrung alten christlichen Liedguts, habe ich mir am Ende den Satz von Papst Benedikt aus seiner Predigt zu Beginn der Bischofssynode vom 07.10.2012 zu eigen gemacht, der da gesagt hat:
Die Kirche existiert, um zu evangelisieren.
Mir schien dieser Satz, gerade zu Beginn des Jahres des Glaubens, so wichtig und so treffend, dass ich ihn gar nicht weiter erläutert habe, sondern lediglich als Aufruf an mich selbst und an jeden Christen habe stehen lassen. Nun ist ein Leser dieses Blogs auf den Beitrag gestoßen und hat ihn in der Art kommentiert, dass es doch schade sei, dass diese Beschreibung des Zwecks der Kirche mit keinem Wort auf die Liebe zu Gott eingehe, genauer: Viele schöne Worte ohne Erwähnung dessen, dem wir wirklich alles zu verdanken haben!
Nun hoffe ich einerseits natürlich, dass Leser dieses Blogs nicht auf Grundlage des einen Beitrags auf die Qualität aller Beiträge schließen. Besonders hoffe ich, dass niemand aufgrund der Beiträge ernsthaft glaubt, dass ich der Meinung wäre, man könne ohne Liebe zu Gott wirklich Christ bzw. Katholik sein. Andererseits ist aber natürlich richtig, dass die Liebe zu Gott in dem Beitrag nicht erwähnt wird.
Bei längerer Überlegung habe ich mir nun aber die Frage gestellt: wenn die Grundfrage lautet, welches der Zweck der Kirche ist, muss dann die Liebe zu Gott explizit Erwähnung finden? Implizit (!) ist natürlich die Evangelisierung, die der Papst in diesem kurzen Zitat als Zweck der Kirche beschreibt, ein Akt der Liebe: der Liebe zu den Menschen, denen wir versuchen den Weg zu Gott zu weisen, und der Liebe zu Gott, dessen Gemeinde wir damit vergrößern. Daneben ist auch richtig, dass Evangelisierung ohne Liebe zu Gott nicht erfolgreich sein kann, sowenig wie sie es ohne Liebe zu den Menschen sein kann. Wo die Liebe fehlt, da mangelt es am Ende am Glauben an Gott und Evangelisierung kann nur noch ein Überreden sein, ein Gewinnen in Glaubensgesprächen oder schlimmstenfalls ein Mitgliederfang für die Institution Kirche. So wird sicher niemand guten Willens den Papst verstanden haben, wenn der davon spricht, die Kirche existiere um zu evangelisieren.
Andererseits ist die Liebe zu Gott ja auch eine sehr persönliche Angelegenheit, so ist es eher schwierig, explizit (!) zu sagen die Kirche als Institution liebt Gott oder der Zweck der Kirche ist die Liebe zu Gott / Gott zu lieben klingt zwar schön, ist aber wenig, sagen wir mal, operational.
Nun war mein Papstzitat zwar nicht sinnverfälschend, aber eben doch aus dem Zusammenhang gerissen, und vielleicht ist es gut, sich den kompletten Absatz anzuschauen, in dem er dieses Zitat benutzt hat:
Nun möchte ich kurz über die neue Evangelisierung nachdenken, indem ich sie mit der gewöhnlichen Evangelisierung und mit der Sendung ad gentes vergleiche. Die Kirche existiert, um zu evangelisieren. In Treue zu dem Befehl Jesu Christi, des Herrn, sind seine Jünger in die ganze Welt hinausgegangen, um die Frohe Botschaft zu verkünden, und haben überall christliche Gemeinden gegründet. Im Laufe der Zeit sind daraus gut organisierte Kirchen mit zahlreichen Gläubigen geworden. In bestimmten Abschnitten der Geschichte hat die göttliche Vorsehung eine erneute Dynamik in der Verkündigungstätigkeit der Kirche wachgerufen. Man denke nur an die Evangelisierung der angelsächsischen und der slawischen Völker oder an die Überbringung des Evangeliums in den amerikanischen Kontinent und dann an die Zeiten der Mission unter den Völkern Afrikas, Asiens und Ozeaniens. Vor diesem dynamischen Hintergrund sehe ich gerne auch die zwei strahlenden Gestalten, die ich soeben zu Kirchenlehrern erhoben habe: den heiligen Johannes von Avila und die heilige Hildegard von Bingen. Auch in unserer Zeit hat der Heilige Geist in der Kirche einen neuen Elan, die Frohe Botschaft zu verkündigen, erzeugt eine geistliche und pastorale Dynamik, die ihren umfassendsten Ausdruck und ihren maßgeblichsten Impuls im Zweiten Vatikanischen Konzil gefunden hat. Diese erneuerte Dynamik der Evangelisierung übt einen segensreichen Einfluß auf die beiden spezifischen Zweige aus, die aus ihr hervorgehen, nämlich einerseits auf die missio ad gentes, das heißt auf die Verkündigung des Evangeliums an diejenigen, die Jesus Christus und seine Heilsbotschaft noch nicht kennen, und andererseits auf die neue Evangelisierung, die sich hauptsächlich an die Menschen richtet, die zwar getauft sind, sich aber von der Kirche entfernt haben und in ihrem Leben keine Beziehung zur christlichen Praxis haben. Die Synodenversammlung, die heute eröffnet wird, ist dieser neuen Evangelisierung gewidmet, um in jenen Menschen eine neue Begegnung mit dem Herrn zu begünstigen, der allein unser Leben einen tiefen Sinn verleiht und es mit Frieden erfüllt; um die Wiederentdeckung des Glaubens zu fördern, der eine Quelle der Gnade ist, die Freude und Hoffnung in das persönliche, familiäre und gesellschaftliche Leben trägt. Natürlich darf diese besondere Ausrichtung weder den missionarischen Schwung im eigentlichen Sinn noch die gewöhnliche Arbeit der Evangelisierung in unseren christlichen Gemeinden beeinträchtigen. In der Tat ergänzen und befruchten sich die drei Aspekte der einen Wirklichkeit der Evangelisierung gegenseitig.
(Hervorhebungen durch mich)
Was an diesem Abschnitt auffällt sind die vielen technischen Begriffe: Treue, Befehl, Gemeinden gründen, Verkündigungstätigkeit, geistliche und pastorale Dynamik. Das klänge wiederum eher nach einer etwas lieblosen Tätigkeit, wenn man nicht Subjekt und Objekt kennen würde, also Gott und die Menschen (der Papst beschreibt hier in liebevollen Worten auch Gott, aber eher als Nebensatz wie z.B. der allein unser Leben einen tiefen Sinn verleiht und es mit Frieden erfüllt nicht zu vernachlässigen, aber eben auch nicht der Hauptsatz). Wenn ich zudem noch meinen Kommentator ernst nehme und den Absatz durchsuche, kommt das Wort Liebe in dem Text nicht vor.
Dafür mag es einen Grund geben, wenn ich auch nicht weiß, ob das Fehlen des Wortes Liebe hier bewusst gewählt wurde. Die Kirche ist schließlich ein Mittel zum Zweck der Evangelisierung. Der Papst sagt es hier in anderen Worten so, wie ich es schon oben angedeutet habe: Evangelisierung, als Hauptzweck der Kirche, führt Menschen zu Gott Gott ist die Liebe und das Hinführen zu ihm ein Akt der Liebe unter den Menschen. Im Katechismus der katholischen Kirche, hier im ersten Teil zum Glaubensbekenntnis im Artikel zum Glauben an die heilige katholische Kirche, stoßen wir auf einen ähnlichen Zusammenhang. Die Benennung der Liebe taucht dort nur an wenigen Stellen, meist dann im Zusammenhang mit der Liebe Gottes. Die Liebe der Kirche erscheint dagegen nur angedeutet, zum Beispiel hier:
768 Um seine Sendung zu vollziehen, bereitet und lenkt“ der Geist die Kirche durch die verschiedenen hierarchischen und charismatischen Gaben“ (LG 4). Durch ihn empfängt die Kirche, die mit den Gaben ihres Gründers ausgestattet ist und seine Gebote der Liebe, der Demut und der Selbstverleugnung treulich hält, die Sendung, das Reich Christi und Gottes anzukündigen und in allen Völkern zu begründen. So stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar“ (LG 5).
oder hier:
771 Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt und erhält sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus“ (LG 8).
Die Liebe wird hier also als eine wesentliche Eigenschaft der Kirche bezeichnet, genau so wie die Hoffnung und der Glaube, es ist aber nicht der Zweck der Kirche, zu lieben wiederum muss man einschränkend sagen, es ist nicht der explizite Zweck der Kirche. Andersherum ein bisschen mathematisch formuliert: Liebe ist eine notwendige Bedingung, dass unsere Kirche wirklich die Kirche ist, die Jesus Christus gegründet hat, aber diese Bedingung ist nicht hinreichend evangelisiert die Kirche dagegen nicht, kommt sie ihrem expliziten Zweck nicht nach!
Lange Rede, kurzer Sinn: der Einwand des Kommentators, dass ihm in dem Beitrag über den Zweck der Kirche der Hinweis auf Gott und die Liebe fehlte, ist durchaus berechtigt, jedenfalls dann, wenn man die prägnante Formulierung Der Zweck der Kirche ist die Evangelisierung als abschließende ganzheitliche Beschreibung der Kirche betrachten wollte. Schürft man aber tiefer und greift auf die Grundlegungen dieses Zwecks zurück, stellt nicht nur die Frage nach dem Zweck sondern dem Sein der Kirche, dann kommt man automatisch zu genau den offengebliebenen und vermissten Inhalten, die Liebe Gottes, die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Menschen, ohne die eine Evangelisierung nicht sinnvoll, wohl auch nicht möglich ist.