Der Begriff des Fastens hat das ist beinahe ein Allgemeinplatz seine Bedeutung in den vergangenen Jahrzehnten so deutlich geändert, dass der eigentliche Hintergrund, warum wir als Christen zu bestimmten Zeiten des Jahres fasten, schon fast verloren gegangen ist. Man fastet heute ganz unabhängig von liturgischen Zeiten um Gewicht abzunehmen. Es gibt die Form des Heilfastens, in dem der Körper entschlackt werden soll. Manche Religionen und Sekten schlagen das extreme Fasten auch zur Bewusstseinserweiterung vor. Diese Arten des Fastens haben viel mit dem Gewicht, einiges mit körperlicher Gesundheit, aber wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was das nennen wir es einmal so liturgische Fasten, das uns die Kirche vorschlägt, bedeutet.
In den Evangelien taucht das Fasten im Wesentlichen an drei Stellen auf: einmal nach der Taufe Jesu, der anschließend in die Wüste geht und dort vierzig Tage fastet bevor er vom Teufel in Versuchung geführt wird und in ganz anderem Zusammenhang, fast müsste man sagen, negativ belegt, in der an Jesus gerichteten Frage, warum seine Jünger, anders als die Jünger von Johannes dem Täufer und die Jünger der Pharisäer, nicht fasten. Letztlich noch die Erläuterung von Jesus wie zu fasten sei in der Bergpredigt (Wenn ihr fastet macht es nicht wie die Heuchler )
Stellt sich also die Frage, warum wir Katholiken eigentlich fasten? Einerseits gehen wir ja auch nicht wie Jesus in die Wüste, andererseits ist Jesus auferstanden, er der Bräutigam ist uns nicht mehr genommen, im Gegenteil, wir haben Grund zum Feiern! Wieso also fasten?
Interessanterweise wird das Fasten in der Kirche als Bußpraxis verstanden. Nun ist Buße ein mindestens so altmodisches wenn nicht noch altmodischeres Wort als das des Fastens, vielleicht mit dem Unterschied, dass der Begriff des Fastens seine primäre Bedeutung geändert hat (oder sie geändert wurde), während der Begriff der Buße, des Buße tuns aus dem weltlichen Wortschatz fast vollständig verschwunden ist. Buße, das heißt letztlich das Abtragen von Schuld setzt Schuldanerkenntnis voraus, was heute ebenfalls eine komplexe Sache ist: in einer Welt, in der Werte relativ sind ist es Schuld genau so. Das soll hier aber nicht weiter interessieren, ich gehe beim geneigten Leser zunächst mal davon aus, dass ihm der Begriff der Schuld einigermaßen geläufig und auch nicht zu politisch vorbelastet ist. Nun ist es einerseits in manchen Fällen möglich, eine Schuld tatsächlich zu begleichen: ich habe Schulden gemacht und zahle sie nun zurück. So manche Schuld, insbesondere wenn wir uns im Bereich der moralischen Schuld bewegen, sperrt sich gegen diese Begleichung. Wenn ich jemanden seelisch und/oder körperlich geschadet habe, vielleicht langfristig, wie hoch ist dann meine Schuld und wie kann ich sie wirklich begleichen? Schadenersatz ist ein Versuch, wieder gut zu machen, oft aber nur ein untauglicher, je nach Schaden, den ich verursacht habe.
Hier greift dann der Begriff der Buße: im Angesicht dessen, dass ich die Schuld nicht begleichen kann, tue ich Buße um meine Schuld abzutragen. Nun ist es eine Sache, einen anderen Menschen gegenüber schuldig geworden zu sein, eine andere gegenüber Gott in Schuld zu stehen, was in vielen Fällen Hand in Hand gehen kann. Gott gegenüber eine Schuld zu begleichen erscheint noch schwieriger, fast unmöglich. Der Opfergedanke im Alten Testament und auch in einigen heidnischen Religionen ist davon getragen: man opfert ein Tier, man opfert Blut, man opfert etwas, das einem teuer ist, um so deutlich zu machen, dass man seine Schuld begleichen möchte. Dieses Opfer um unsere Schuld gegen Gott, unsere selbstverschuldete Trennung von Gott hat nun Jesus Christus final und endgültig geleistet. Er hat sein Leben dafür hingegeben, dass wir unserem Vater im Himmel eines Tages schuldenfrei vor die Augen treten können. Das heißt aber umgekehrt nicht, dass wir nicht schuldig werden können, und dass es uns nicht gut anstünde, für diese Schuld Buße zu tun womit wir wieder bei den Bußwerken wären und eben dem Fasten!
Fasten um des Fastens willen, weil es die Zeit dafür ist (und auch wenn es nicht nur ums Abnehmen) geht, ist also nicht der richtige Ansatz, wäre vergleichbar mit dem Beten, um von anderen Menschen gesehen zu werden. Fasten als Bußpraxis dagegen ist eine eigene Verdeutlichung des Schuldverhältnisses zwischen Gott und mir. Ich bin ihm gegenüber schuldig geworden, habe mich von ihm entfernt, und versuche mich nun über Bußwerke Beten, Almosen und eben Fasten ihm wieder zu nähern. Wichtig dabei erscheint mir: Gott braucht mein Fasten nicht, er braucht nicht mal meine Buße, mein Opfer, dieses Opfer hat Jesus, also Gott selbst schon ein für allemal für mich erbracht. Ich selbst brauche die Buße, brauche mein Opfer, mit dem ich mich selbst wieder Gott annähere.
So wird auch nachvollziehbar, warum ein Fleischfasten für einen Vegetarier kein wirkliches Fasten in diesem Sinne darstellt. Ich faste an den Dingen, die sich zu sehr zwischen Gott und mich drängen. Was nimmt einen zu großen Teil im Rahmen meines Lebens ein und macht Gott direkt oder schleichend seinen ersten Platz in meinem Leben streitig? Sehe ich zu viel fern anstatt zu beten? Fernsehfasten! Gönne ich mir Bequemlichkeiten wie unnötige Fahrten mit dem Auto statt die Bahn zu nutzen oder zu Fuß zu gehen? Autofasten! Schreibe ich zu viele Blogbeiträge statt für meine Familie da zu sein, für deren Heiligung ich genau so verantwortlich bin wie für meine eigene? Blogfasten! Etc.pp., jeder kennt bestimmt seine Themen oder wird auf sie stoßen, wenn er in sich hineinhört. Dabei muss das, auf was man fastet nichts schlechtes sein, es reicht, wenn es von mir idealisiert wird, gottgleiche Eigenschaften bekommen hat. Ich glaube nicht, dass ich ohne Fleisch, Süßigkeiten, Auto, Shoppen, Bloggen, Alkohol, Fernsehen auskomme? Dann ist das ein guter Hinweis, dass sich etwas zwischen Gott und mich zu drängen versucht (oder jemand versucht, etwas zwischen mich und Gott zu drängen), selbst dann, wenn der Wunsch nach diesen Dingen (noch) keine Sucht darstellen sollte.
Aber ist Fasten dann nicht eine freudlose Angelegenheit? Wer so fragt, hat den Sinn des Fastens noch nicht verinnerlicht: die Dinge, die sich zwischen Gott und mich drängen, haben einen Reiz, sonst würden sie das nicht tun. Aber das, was ich gewinne, wenn ich bewusst auf sie verzichte, wenn ich mein Leben durch Verzicht wieder näher an Gott rücke, ist deutlich größer als alles andere, was mir weltliche Genüsse schenken könnten. Die darf ich genießen, sie sind ein Geschenk, dass Gott mir macht in seiner Liebe und Großzügigkeit, aber so habe ich mal gelesen, ich weiß leider nicht mehr, von wem das stammt ich sollte den Schenker dieser Gaben mehr lieben als das Geschenk. Wenn ich über das Geschenk den Schenker vernachlässige, dann ist Gefahr im Verzug und Fasten angesagt. Das kann zu jeder Zeit eintreten und wenig erscheint mir weniger sinnvoll als zu fasten und nach der Fastenzeit wieder in den alten Trott zurückzufallen. Die Geschenke Gottes lassen sich aber nach dem Fasten noch mehr genießen, ohne das sie sich zwischen den Schenkenden und mir stellen und so führt das Fasten, recht verstanden, zu deutlich mehr Freude als der reine Konsum der Geschenke.
Wer also für die Fastenzeit noch keine Fastenvorsätze gefasst hat, der mag das noch immer tun, den Verzicht als Bußübung begreifen, als Möglichkeit, näher zu Gott zu kommen und nach Ostern dann Gott umso mehr danken für die Geschenke die er mir macht und die er mich nun noch mehr genießen lässt!