Regelmäßige Leser dieses Blogs werden wissen, dass ich vor einigen Tagen bereits über das Thema Vergebung berichtet habe. Dem einen oder anderen mag daher eine Betrachtung über die Barmherzigkeit als redundant erscheinen. Das ist es aber nur in Teilen ich gebe allerdings zu, dass ich diesen Beitrag nicht geschrieben hätte, wenn nicht unser neuer Papst beim Angelus des gestrigen Sonntags über das Thema gesprochen hätte.
Der neue Papst gerät gerade von unterschiedlichsten Seiten in die Kritik: von modernistischer Seite, die ihm Konservativität vorwerfen, wie von traditionalistischer Seite, die ihm (zumindest liturgischen) Modernismus vorwerfen (die vereinfachte Schubladeneinteilung bitte ich direkt zu entschuldigen, ich wollte an dieser Stelle aber nicht weiter ausholen). Da man nun von einem Papst wenig an Taten erwarten darf, die über einen Symbolismus hinausgehen, muss man ihn also wenn man denn so will an seinen Worten messen. Und so habe ich mich gestern besonders über die Worte des Papstes gefreut, in denen er über die Geschichte Jesu mit der Ehebrecherin spricht, die vor ihn gestellt wird, mit der Aufforderung ein Urteil zu sprechen (Johannes 8, 1-11). Von außen mag es dabei so aussehen, als entziehe er sich diesem Urteil was er aber wirklich tut, ist etwas anderes: er zeigt seine Barmherzigkeit, seine innere Einstellung zur Vergebung. Der Papst sagt es in einfachen Worten:
Wir hören keine Worte der Verachtung, wir hören keine Worte der Verurteilung, sondern nur Worte der Liebe und der Barmherzigkeit, die zur Umkehr einladen. [ ] Das ist die Barmherzigkeit, er hat immer Geduld, Geduld mit uns, er versteht uns, er wartet auf uns, er wird dessen nicht müde, uns zu vergeben, wenn wir es verstehen, zu ihm zurückzukehren mit einem reuigen Herzen.
So definiert der Papst in gewisser Weise die Barmherzigkeit: die innere Einstellung, dem Menschen vergeben zu wollen. Wenn wir diesem Beispiel nachfolgen wollen, dann steht es uns also ebenso gut an, bei keinem Menschen die Vergebung auszuschließen sondern im Gegenteil auch auf diejenigen, die uns nicht um Vergebung bitten mit der inneren Einstellung zuzugehen, vergeben zu wollen.
Gleichzeitig ist Barmherzigkeit, wie sie hier am Beispiel Jesu gezeigt wird, keine Einstellung, die jedes Verhalten, jede Schuld einfach so wegwischt: Geh und sündige von jetzt an nicht mehr! dieser Satz gehört zu der Geschichte dazu, obschon man gerne bei dem lieben, einfach vergebenden Christus verweilt hätte eben Worte der Liebe und der Barmherzigkeit, die zur Umkehr einladen Barmherzigkeit und Umkehr gehen in dieser Geschichte Hand in Hand.
Was uns heute fehlt ist also zweierlei: der innere Wunsch, dem anderen vergeben zu wollen als auch die Einsicht, selbst der Vergebung zu bedürfen. Das Volk will die Frau steinigen und erst die Aufforderung Jesu Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie bringt sie zum Nachdenken, bezeichnenderweise zuerst die Ältesten. Aus dieser Unfähigkeit, selbst die Notwendigkeit zur Vergebung einzusehen entsteht andererseits die Vorstellung, Vergebung sei in jedem Fall zu gewähren auch ohne Umkehr! Umgekehrt fehlt der innere Wunsch, dem anderen vergeben zu wollen so brechen wir den Stab über Menschen, die wir kaum kennen, urteilen von Kleinigkeiten aufs ganze und lassen uns von einem einmal innerlich gesprochenen Urteil nur schwer abbringen.
Der Papst fasst das wunderbar zusammen:
Das Problem ist, dass wir selbst müde werden, um Vergebung zu bitten. Er wird nie müde, uns zu vergeben. Aber wir werden manchmal dessen müde, um Vergebung zu bitten. Mögen wir dessen nie müde werden! Er ist der liebende Vater, der immer vergibt, der dieses barmherzige Herz für alle von uns hat. Und auch wir mögen lernen, barmherzig zu allen zu sein.
Beides, so glaube ich und so lese ich das hier heraus, geht Hand in Hand: unsere Bitte um Vergebung sowie unser Bewusstsein der Vergebung zu bedürfen auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Bereitschaft barmherzig zu sein, dem anderen vergeben zu wollen. Mag sein, dass viel in der Kälte unserer Gesellschaft (der Papst zitiert Kardinal Kaspar mit den Worten Ein wenig Barmherzigkeit macht die Welt weniger kalt und gerechter) daraus entsteht, dass wir unbarmherzig sind, dem anderen nicht vergeben wollen, doch die tiefer liegende Wurzel liegt darin, dass wir nicht erkennen, dass wir selbst der Vergebung bedürfen.
So hätte ich vermutlich die Betrachtung zur Vergebung erst nach dieser Betrachtung schreiben sollen aber dank unseres neuen Papstes habe ich diesen Zusammenhang, der eigentlich nicht schwierig ist, neu verinnerlicht. Und vielleicht ist diese Barmherzigkeit auch eine Einstellung, die dort fehlt, wo unser Papst nach wenigen Tagen seines Pontifikats bereits in eine Schublade gesteckt wird, das Urteil über ihn gesprochen wird. Dank gilt also unserem neuen Papst, der in demütigen Worten vielleicht auch um Barmherzigkeit für sich bittet.
P.S. Einfach weil sie so wunderbar das Wesen unseres neuen Papstes zeigt, gebe ich am Schluss auch noch die Anekdote wieder, über die der Papst in seiner Ansprache berichtet hat – sie ergänzt das oben gesagte und macht es vielleicht noch besser verständlich:
Ich erinnere mich, als ich noch Bischof war, im Jahr 1992, ist die Madonna von Fatima nach Buenos Aires gekommen, und wir haben eine große Messe für die Kranken gefeiert. Und ich habe die Beichte abgenommen. Und fast am Ende der Messe bin ich aufgestanden, denn ich musste eine Firmung vornehmen, und da kam eine sehr einfache alte Frau zu mir, über 80 Jahre alt. Und ich habe sie angeschaut und gesagt, Großmutter denn bei uns sagt man Großmutter zu den alten Frauen Großmutter, wollen sie etwa beichten? und sie sagte: Ja, und ich sagte zu ihr: Aber Sie haben doch nicht gesündigt! Und daraufhin sagte sie: Alle haben wir gesündigt. Aber vielleicht wird der Herr Ihnen nicht vergeben!, sagte ich zu ihr. Und sie antwortete mir: Der Herr vergibt alles, ganz sicher! und ich sagte, Aber wie wissen Sie das? Wenn der Herr nicht alles vergeben würde, würde die Welt nicht existieren, war ihre Antwort. Ich habe in mir Lust verspürt, sie zu fragen, ob sie an der Gregoriana studiert habe, denn das ist die Weisheit, die der Heilige Geist eingibt, die innere Weisheit auf die Barmherzigkeit Gottes hin.