Zu manchen Büchern kommt man eher zufällig und sie öffnen einem auf besondere Art die Augen für Aspekte der Welt, die man bislang noch so nicht gesehen hat. Seit einiger Zeit bin ich auf Facebook befreundet (oder kontaktet) mit Stefan Rochow ich weiß gar nicht mehr, ob die Anfrage von mir ausging oder von ihm, persönlich kennen wir uns nämlich nicht also nehme ich mal an, die Initiative ging von ihm aus, ist letztlich aber auch egal, denn der Grund, warum ich zugestimmt habe (oder eben angefragt) war sein Engagement in den katholischen Gruppen und bei Deutschland pro Papa. Wenn ich Kontaktanfragen via Facebook bekomme, mache ich keine tiefen Recherchen sondern schaue mir in aller Regel an, mit wem diejenigen sonst befreundet sind und entscheide dann, ob ich bestätige oder nicht wenn ich bestätige, werfe ich dann einen schnellen Blick über die Postings, und mache bei Nichtgefallen notfalls die Zusage auch wieder rückgängig. So sind Stefan Rochow und ich auf Facebook Freunde geworden und nach der Lektüre seiner Autobiographie Gesucht geirrt – gefunden bin ich froh, dass ich mich zu der damaligen Zeit nicht weiter informiert habe, womöglich hätte ich abgelehnt
Stefan Rochow war hochrangiger Funktionär der NPD reduziert auf diesen Aspekt seiner Biographie ist man in Deutschland damit für alle Zeiten zum Paria gestempelt. Herkunft ist egal, Gegenwart ist egal, Zukunft ist (fast) egal, was noch zählt ist der Makel NPD im Lebenslauf. Stefan Rochow schreibt in seinem Buch auch über diesen Zustand, der ihm seit seinem Ausstieg aus der Partei immer wieder begegnet und ich muss zugeben: an der einen oder anderen Stelle fühle ich mich erwischt! Ich würde mich selbst als konservativen, papsttreuen (sowieso) Katholiken bezeichnen, durchaus auch als Patrioten, ich liebe das Land in dem ich lebe und dem ich so viel verdanke, auch wenn ich mich über sein politisches Führungspersonal immer wieder echauffieren muss. Gerade in dieser Rolle steht man aber immer im Verdacht, rechtsextrem zu sein, wobei diese Definition immer weiter nach links ausgedehnt wird und so wird man zum Beispiel auf dem jährlichen Marsch für das Leben für seinen Einsatz für ungeborene Kinder und das Lebensrecht aller Menschen auch als Faschist beschimpft. Also herrscht eher der Versuch bei mir vor, aus meiner politischen Einstellung zwar keinen Hehl zu machen, sie aber auch ganz scharf nach rechts abzugrenzen Grauzonen sind da eher kompliziert. Das ist wohl das, was Stefan Rochow in diesen Tagen immer wieder begegnet und worüber er auch schreibt, nicht als Vorwurf, doch als Feststellung und den Lesern und Kritikern seines Lebenslaufs ins Stammbuch geschrieben.
Die Abkehr von der NPD bezeichnet aber eher das Ende seines Buches, das erst kürzlich erschienen ist: über einen Facebookdialog bin ich überhaupt erst darauf aufmerksam geworden und erst dadurch bin ich der Geschichte Stefan Rochows überhaupt erst gewahr geworden: Aufgewachsen in der DDR zum Fall der Mauer war er (ich hoffe, ich habe den Text richtig interpretiert) 11 Jahre alt, stand er aus einer evangelischen christlichen Familie stammend im Spannungsfeld zwischen schulischer, sozialistischer Erziehung auf der einen und christlichen Wertevermittlungen zu Hause auf der anderen Seite. Er berichtet eingehend auch über den totalitären Charakter der DDR, der so wird im weiteren Verlauf des Buches klar sich in seiner Ausgestaltung nicht so sehr von der kollektivistischen Sicht des Nationalsozialismus unterscheidet. Er berichtet über die Konflikte, die das christliche Bekenntnis zu Zeiten der DDR hervorgerufen hat. Er berichtet über die Hoffnungen, die für die meisten Menschen mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung verbunden waren auch davon, dass viele davon, besonders die materiellen, enttäuscht wurden.
Er berichtet über seinen Weg weg vom christlichen Glauben, hin zur Ideologie des Nationalismus und Rassismus, besonders darüber, dass er nicht als vermeintliches Opfer dieser Ideologie gefolgt ist, sondern als Täter, als intellektuell überzeugter sie zu verbreiten versuchte. Er berichtet über seinen Aufstieg in einer Partei und deren Umfeld, die von den meisten außerhalb als eine tumbe Ansammlung von gröhlenden Skinheads betrachtet wird, doch im Inneren einer Ideologie folgt, die auf eine vollständige Umgestaltung der Gesellschaft hin zu einem totalitären Kollektivismus abzielt auf Basis von Nationalismus und Rassismus. Er beschreibt die Gefahren dieser Ideologie, die durch die Banalisierung der NPD in der Außensicht und durch die Weigerung zur politischen Beschäftigung mit ihr strukturell missverstanden wird. An keiner Stelle macht Stefan Rochow einen Hehl aus seiner Täterrolle: er wurde nicht verführt sondern war ein Verführer. Beinahe schmerzhaft oft weist er darauf hin, immer in dem Bemühen, sein Buch nicht zu einer Abrechnung mit alten politischen Weggefährten zu machen sondern die eigene Schuld (ein Begriff der gesellschaftlich nur noch selten auftaucht, in dem Buch aber oft häufig Verwendung findet) zu erläutern, auch zu erklären. Man bekommt durch die teils sehr detaillierten Schilderungen der politischen Wahlkampf- und Parlamentsarbeit einen Eindruck von den Zuständen in der Partei aber vor allem von der inneren Verfasstheit des Autors, seinen beginnenden Zweifeln und seinem Weg zurück zum Christentum, ausgelöst nicht zuletzt durch die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst.
Bei diesem Thema wird auch deutlich, wie sehr eine rassistisch-nationalistische Einstellung, für die die NPD eintritt, im Widerspruch zum christlichen Glauben steht. Rochow beschreibt diesen Zusammenhang an verschiedenen Stellen seines Buches, sodass die Ablehnung seines christlichen Glaubens durch frühere Parteifreunde, ganz abgesehen von der Heirat seiner Frau, die ein Kind, dass sie gemeinsam mit einem Türken hatte, mit in die Ehe bringt, den Leser am Ende kaum noch überrascht sondern nur noch als menschenverachtend aber in sich konsequent erscheint. Jedem Christen sollte nach der Lektüre dieses Insiderberichts klar sein, dass sich ein Kokettieren mit der NPD wegen deren vermeintlich konservativen oder patriotischen Positionen fast grundsätzlich verbietet was nicht bedeutet, dass man sich mit den Positionen nicht auseinandersetzen muss um die dahinter stehenden Gefahren zu verstehen.
Seine Rückkehr zum Glauben, seinen Weg bis zur Konversion zur katholischen Kirche beschreibt Stefan Rochow in sehr persönlichen Worten: wenn die Beschreibung der Laufbahn in Burschenschaften, NPD-Jugendorganisationen und der NPD selbst in Teilen als sehr sachlich und mit für den Leser vielleicht unübersichtlichen Details über die handelnden Personen empfunden wird (mir erging es jedenfalls so, wobei einige Beschreibungen sicher notwendig sind um die Verflechtungen des Autors in die Szene und seine Schwierigkeiten beim Ausstieg zu verstehen), wird im letzten Teil des Buches deutlich, wo das Herz Stefan Rochows heute schlägt: für Christus und mit Christus und der Kirche! Er spart nicht mit Hinweisen auf die aktuelle politische Situation und es ist beruhigend, keinen Bericht von einer Wendung vom Saulus rechts zum Saulus links zu verfolgen, sondern von einer Synthese seiner Erfahrungen und der Umsetzung unter dem Primat des katholischen Glaubens: auch ein Ex-NPD-Funktionär kann konservativer Christ, Katholik und Papstanhänger sein und sich dadurch vielleicht sogar noch deutlicher von seiner früheren politischen Position distanzieren als wenn er nun einer neuen kollektivistischen Ideologie, vermeintlich entgegengesetzt folgt.
Das macht seine Position einerseits in der aktuellen politischen Landschaft schwer vermittelbar: distanziert er sich auch genug, ist sein Bemühen um Engagement in der Kirche und letztlich dieses Buch vielleicht doch nur der Versuch, sich gesellschaftlich reinzuwaschen? Ist er für Vereine, Organisationen, selbst für potenzielle Arbeitgeber vertretbar? Andererseits wird dieses Zeugnis gerade durch diesem Zwiespalt glaubhaft: hier sucht ein Mensch nicht nach gesellschaftlicher Anerkennung, die würde er außerhalb des konservativen Spektrums von Kirche und Politik sicher eher finden er sucht nach der Wahrheit, für sein Leben und auch für diese Gesellschaft.
Zu Beginn seines Buches beschreibt Stefan Rochow seinen christlichen Kinderglauben mit den Worten: Ich schlafe mit dem Wissen ein, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Auf mich passt jemand auf. Am Ende des Buches und damit seiner bisherigen Biographie ist der Autor in gewisser Weise offenbar wieder dort angekommen durch Lebenserfahrung gestärkter Glaube eines Kindes an unseren Vater im Himmel, ein Vertrauen, dass ihn in die Lage versetzt, seinen Weg weiterzugehen und seine Suche fortzusetzen, auch wenn er den wesentlichen Fund Christus selbst bereits gemacht hat.
Das Buch ist kein theologisches Standardwerk, stilistisch bin ich mehr als einmal über häufige Tempuswechsel, die wohl in dem Wunsch, die Ereignisse besser vor dem geistigen Auge aufscheinen zu lassen, verwendet wurden, gestolpert. Seinen Wert bezieht es nicht aus theologischer Fundierung oder literarischem Stil sondern als glaubhaftes Zeugnis eines Christen, der seine Fehler, seine Sünden, seine Schuld eingesteht, bereut und dafür gerade steht. Es kann eine Mahnung sein an alle, die aufgrund mangelnden Erfolgs bei der Verfolgung politischer oder gesellschaftlicher Ziele auf die totalitäre Karte setzen wollen, und es ist sicher eine Mahnung an jeden von uns, den Lebensweg eines Menschen in Gänze zu betrachten und nicht aus der Vergangenheit voreilige Schlüsse, gar Verurteilungen abzuleiten. An anderer Stelle habe ich mal den Satz gehört: Jeder Heilige hat eine Vergangenheit und jeder Sünder hat eine Zukunft dieser Satz erscheint mir für ein Fazit dieses Buches passend. Also: Lesen!
Das Buch ist Ende März im Gerhard Hess Verlag unter dem Titel Gesucht Geirrt Gefunden Ein NPD-Funktionär findet zu Christus erschienen und für 18,90 als broschierte Ausgabe erhältlich.
Detlef Nolde
Zitat Papsttreuer: „… es ist beruhigend, keinen Bericht von einer Wendung vom Saulus rechts zum Saulus links zu verfolgen, … hier sucht ein Mensch nicht nach gesellschaftlicher Anerkennung, die würde er außerhalb des konservativen Spektrums von Kirche und Politik sicher eher finden er sucht nach der Wahrheit, für sein Leben und auch für diese Gesellschaft …“
Eine sehr angenehme Buchbesprechung, deren Grundtendenz richtungweisend für den Umgang mit diesem Thema sein sollte, leider jedoch nicht ist. Wer nach einer Abkehr vom Neonazismus oder dessen Umfeld sich patriotischen und konservativen Positionen zugezogen fühlt, hat es schwer. Als jemand, der Stefans Lebensweg gut nachvollziehen kann weil der meinige ähnlich verlief, kann ich jedoch nur empfehlen, die neugefundene geistige Freiheit nicht abermals resp. anderen Götzen zu opfern.